lautstark. 07.12.2021

Präsenzsemester: Digitale Konzepte integrieren

CoronaWissenschaft und ForschungHochschullehre

Die positiven Veränderungen müssen in die Präsenz mitgenommen werden

Susanne Kurz ist Leiterin des IT-Zertifikats der Philosophischen Fakultät und Dozentin für Medieninformatik und Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln. Sie bricht eine Lanze für den Präsenzunterricht und fordert, digitale Konzepte aus der Pandemie gezielt in die Präsenz zu integrieren.

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  • Ausgabe: lautstark. 07/2021 | Bildung, Religion, Politik: Eine Frage des Glaubens?
  • im Interview: Susanne Kurz
  • Funktion: Dozentin für Medieninformatik an der und Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln
  • Interview von: Annette Etges
  • Funktion: freie Fotografin
Min.

Wie erlebst du die Rückkehr zum Präsenzunterricht an deiner Hochschule?

Susanne Kurz: Ich habe mich sehr auf die Rückkehr zum Präsenzunterricht gefreut, auch weil ich gemerkt habe, wie sehr die Studierenden darunter leiden, dass sie immer zu zuhause sitzen. Die Erstsemester-Studierenden haben überhaupt kein Gefühl dafür, was es bedeutet zu studieren! 

Andererseits habe ich mich sofort gefragt: Wie wird es hier vor Ort geregelt? Halten sich die Leute an 3G? Und wie können wir das überprüfen? Die Regelung, die die Uni Köln getroffen hat, finde ich ziemlich gut. Die Gebäude, in denen sich die großen Hörsäle befinden, und auch andere große Einrichtungen werden von Security-Personal betreut. Da wird 3G direkt am Eingang kontrolliert. Das finde ich gut. 

Bei den kleineren Räumen ist man als Lehrende*r selbst verantwortlich und das gestaltet sich schwierig. Was mache ich zum Beispiel mit denen, die zu spät kommen? Dann habe ich mein Seminar schon angefangen und muss mich unterbrechen, um zu überprüfen. Das fand ich schon sehr anstrengend. Inzwischen habe ich mit meinen Studierenden ein Verfahren, das gut funktioniert und nicht zu viel Seminarzeit klaut.

Und wie läuft es mit der Maskenpflicht?

Susanne Kurz: Bei uns muss in allen Räumlichkeiten der Hochschule Maske getragen werden und daran halten sich alle Studierenden. Das finde ich sehr diszipliniert. Ich hoffe, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft wieder ohne Masken in Veranstaltungen sitzen können. Ich mache viel agilen Unterricht und bin auf die Rückmeldungen der Studierenden angewiesen. Und das funktioniert zu einem so großen Teil über die Mimik – das fehlt mir aktuell sehr. 

Ich selbst kann im Hörsaal die Maske abnehmen, weil der Abstand zu den Studierenden groß genug ist. Sonst könnte ich auch gar nicht so lange reden, da fehlt einem die Luft. Wenn ich in die Reihen gehe, setze ich meine Maske auf. Das finde ich unproblematisch.

Wie wird der Präsenzunterricht an deiner Hochschule umgesetzt?

Susanne Kurz: Ich wünschte, wir hätten noch mehr Präsenzveranstaltungen! Wir können aber sehr viele Räume nicht nutzen, weil die gesetzlichen Lüftungsvorgaben dort nicht eingehalten werden können. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass die Studierenden zum Teil gar nicht kommen möchten. Sie haben gar nicht so großes Interesse an Präsenzunterricht, sondern haben sich gut darauf eingerichtet, von zuhause aus zu studieren.

Würdest du dir wünschen, dass es trotz Präsenz weiterhin ein Onlineangebot gibt?

Susanne Kurz: Das ist eine schwierige Frage, die wir im Institut mehrfach diskutiert haben. Ich biete Programmierkurse weiterhin virtuell an und das läuft ziemlich gut, weil da sowieso alle an ihren Rechner sitzen müssen. Ich kann viele Inhalte direkt über den Bildschirm teilen und das Onlineformat hat durchaus Vorteile. 

Meine Präsenzveranstaltungen in den großen Hörsälen zeichne ich auf. Wir haben dort die Technik, mit der das einfach möglich ist, ohne dass ich mich selbst darum kümmern muss. Ich vermittle in den Hörsälen sehr kompakt viel Stoff in kurzer Zeit an viele Leute. Rückfragen sind da nur bedingt möglich. Mit der Aufzeichnung können alle nochmal in Ruhe gucken: Wie war das mit dem Tafelbild? Welche Erklärung gab es dazu? Gleichzeitig möchte verhindern, dass alle nur noch die Videos gucken wollen. Ich denke, dass sich das gegenseitig gut ergänzt, aber ein Video seiner Vorlesung anzubieten heißt nicht, dass die Studierenden nicht da sein müssen und stattdessen zum Beispiel arbeiten gehen können. Wir sind keine Fernuni und unsere Studienpläne sind auf ein Vollzeitstudium ausgerichtet.

Außerdem bin ich überzeugt: Den Studierenden entgeht so viel, wenn sie zuhause bleiben. Zum Beispiel eine Aufgabe im Hörsaal mit seiner*seinem Sitznachbar*in zu lösen. Wir alle dürfen uns das Miteinander nicht abgewöhnen – mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen.

Wie kannst du unter den aktuellen Bedingungen arbeiten?

Susanne Kurz: Inzwischen finde ich die Arbeitsbelastung nicht mehr höher. Für mich war es unfassbar belastend, dauerhaft und zu 100 Prozent von zuhause aus arbeiten zu müssen. Wir sind zu viert und haben das Glück, dass wir ein Reihenhaus mit kleinem Garten haben, aber trotzdem sind wir nicht darauf eingerichtet, dass alle von zuhause aus lernen und arbeiten.

Außerdem fehlte mir schnell der Austausch, der sich zufällig im Institut ergibt. Im Homeoffice und auch jetzt mit reduzierten Kontakten kriegt man einfach nichts mit. Und das vermisse ich schon sehr und empfinde es als belastend, dass diese soziale Komponente der Arbeit vor Ort einfach wegfällt. Und im Moment fehlt mir einfach die Perspektive, dass es bald wieder besser wird.

Nimmst du einen Unterschied zwischen Mittelbau und Professor*innen wahr?

Susanne Kurz: Nein, ich glaube, alle sind gleichermaßen belastet. Das kann ich zumindest über unser Institut sagen. Bei uns gibt es nicht diese wahnsinnigen Hierarchie-Sprünge und der Mittelbau kommt sich gegenüber den Professor*innen nicht vor wie Wissenschaftler*innen zweiter Klasse. Die Pandemie hat bei uns eher den Zusammenhalt gestärkt: Wir sitzen mehr oder weniger alle im selben Boot und müssen zusammen zusehen, wie wir das hinkriegen. Das ist sehr schön.

Gibt es noch etwas, was dir wichtig ist, wenn du an Hochschule in der Pandemie denkst?

Susanne Kurz: Ich möchte die Lanze für Präsenzunterricht brechen! Ohne zu sagen, dass der Präsenzunterricht all unsere Probleme löst. Aber ich glaube, es ist das, was unsere Studierenden brauchen.

Ich lehne die digitale Lehre nicht grundsätzlich ab. Corona hat uns gezwungen, uns in die digitale Lehre hineinzuwerfen und hat auch gute Dinge in Bewegung gebracht: Mütter mit ganz kleinen Kindern können jetzt zum Beispiel problemlos bei uns studieren, was vorher nicht so möglich war. Jetzt müssen wir die positiven Veränderungen aus der Pandemie in die Präsenz integrieren. Wir dürfen jetzt nicht einfach sagen: „Okay, jetzt ist Corona vorbei und wir machen alles wieder wie vorher. Das wäre sehr schade, sehr dumm und es würde viel Potenzial verloren gehen.