lautstark. 06.12.2021

Jüdisches Leben in Deutschland

AntidiskriminierungAntirassismus

Miteinander reden statt übereinander

#2021JLID – das steht für 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Dieses Festjahr geht im Sommer 2022 zu Ende, doch seine Botschaft bleibt: Das Judentum war und ist konstitutiv für unser Land. Höchste Zeit, es in all seinen Facettenbesser kennenzulernen!

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  • Ausgabe: lautstark. 07/2021 | Bildung, Religion, Politik: Eine Frage des Glaubens?
  • Autor*in: Sylvia Löhrmann
  • Funktion: Generalsekretärin des Vereins „321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“
  • Unterstützung von: Julia Hendrich | Felix Bjerke
  • Funktion: Fachberater*innen bei #2021JLID
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Im Jahr 2021 leben Jüdinnen*Juden1 nachweislich seit mindestens 1.700 Jahren auf dem Territorium des heutigen Deutschland. Das Datum 321 geht zurück auf ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin, das besagt, dass jüdische Menschen städtische Ämter in den Stadträten bekleiden durften und sollten – also auch in Köln, woher die Anfrage kam. Es belegt, dass jüdische Gemeinden bereits seit der Spätantike integrativer Bestandteil der europäischen Kultur waren und sind. Das Judentum gehört also nicht nur zu Deutschland, es war und ist konstitutiv für unser Land!

Lebendige jüdische Gegenwart vermitteln

Jüdisches Leben ist aber nicht nur von religiösen und kulturellen Traditionen geprägt, sondern zeichnet sich auch durch seine Vielfalt und Diskursfreudigkeit aus. Diese Vielseitigkeit im Rahmen des aktuellen Festjahres sichtbar und erlebbar zu machen, ist eines der Ziele von #2021JLID. Zudem setzen über 2.000 Veranstaltungen ein deutliches Zeichen gegen jegliche Form von Antisemitismus – mit Konzerten, Lesungen, Ausstellungen, Filmen, Podiumsdiskussionen und Bildungsprojekten.

Gerade im schulischen Bereich wird jüdisches Leben häufig auf die Shoah, Pogrome und Antisemitismus reduziert. Doch vor allem junge Jüdinnen*Juden wollen nicht permanent als ÜBERlebende, sondern als LEBENDE wahrgenommen werden. Natürlich muss das größte Menschheitsverbrechen weiterhin thematisiert werden, doch gilt es, keine Stereotypen zu reproduzieren. Jüdinnen*Juden wollen keine Opfer sein, sondern ihre Gegenwart aktiv gestalten.

„Die Geschichte des Judentums ist mehr als eine Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Opfergeschichte“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Kultusminister*innenkonferenz (KMK) von 2016 zur Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in der Schule. Sie zielt darauf ab, das Judentum in seiner Diversität und Authentizität zu thematisieren, um ein lebendiges und differenziertes Bild zu vermitteln. Wie vielfältig jüdische Identitäten sind, ist beispielsweise in der Videoclip-Reihe Jewersity und den wöchentlichen Podcasts jüdischer Journalist*innen auf www.2021jlid.de zu erleben.

Fachlicher Input für Pädagog*innen

Viele Unterrichtsmaterialien vermitteln bislang jedoch einen eher begrenzten Einblick ins jüdische Leben. Gleichzeitig sind Schulen immer noch Orte, an denen antisemitische Inhalte nicht nur reproduziert, sondern sogar von Lehrkräften kommentarlos gebilligt werden. Insofern verfehlen Schulen ihr Ziel, einen sicheren Raum für jüdische Schüler*innen zu schaffen, und unterstützen damit antisemitische Haltungen. Doch wie kann jüdisches Leben in seiner Diversität mit Schüler*innen thematisiert werden? Wie gelangen Kolleg*innen an entsprechende Unterrichtsmaterialien? Wo gibt es Expert*innen, die unterstützen?

Eine Vielzahl der bereits entstanden schulbezogenen Angebote sind kostenlos, digital und online auf www.2021jlid.de/bildung abrufbar. Zudem werden Best-Practice-Beispiele von ihren Entwickler*innen im Rahmen der „Digitalen Impulse“ per Zoom vorgestellt und anschließend im Bildungsportal hochgeladen. Dabei handelt es sich etwa um Methodenkoffer, digitale Ausstellungen, Filmmaterial oder auch Begegnungsangebote. Es ist großartig, wie viele Akteur*innen schon engagiert auf dem Weg sind!

Kennenlernen auf Augenhöhe

Begegnungen zwischen jüdischen und nicht jüdischen Menschen im schulischen Kontext finden aber auch analog statt – beispielsweise in Kooperation mit „Bildungspartner NRW“ beim Fachtag „Jüdisches Leben in NRW“, der am 8. Dezember in Düsseldorf stattfinden sollte, pandemiebedingt aber auf Mai/Juni 2022 verschoben wurde. Die über Jahrzehnte etablierte Kontakthypothese, nach der durch Begegnung mit Menschen Vorurteile abgebaut werden, wird hier kritisch hinterfragt und das nötige didaktische und pädagogische Vor- und Nachbereiten von Begegnungspädagogik konstruktiv diskutiert werden. Workshops wie „Meet a Jew“, „Jüdische Nachbarn“ oder Angebote der Synagogengemeinde Köln ermöglichen ein Kennenlernen auf Augenhöhe.

Oder, um es noch einmal mit der gemeinsamen Erklärung von 2016 zu sagen: „Wer lernt, sich in die Perspektive eines anderen Menschen und seine kulturelle und religiöse Orientierung zu versetzen, lernt Respekt und Wertschätzung.“ Das wünschen wir uns für dieses Festjahr und darüber hinaus. Wir freuen uns, wenn sich alle Mitglieder der Schulgemeinschaft mit offener Neugier auf diesen Perspektivwechsel einlassen.