lautstark. 07.12.2021

Präsenzsemester: Studierende in Wohnungsnot

CoronaWissenschaft und Forschung

AStA richtet Notschlafstelle ein

Tobias Zorn studiert Dolmetschen für Deutsche Gebärdensprache an der Universität zu Köln und ist Koordinator des Landes-ASten-Treffens NRW. Er hat beobachtet, wie schwierig die Lage für Studierende in der Pandemie geworden ist und erzählt von Wohnungsnot und Geldsorgen.

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  • Ausgabe: lautstark. 07/2021 | Bildung, Religion, Politik: Eine Frage des Glaubens?
  • im Interview: Tobias Zorn
  • Funktion: Student an der Universität zu Köln und Koordinator des Landes-ASten-Treffens NRW
  • Interview von: Annette Etges
  • Funktion: freie Fotografin
Min.

Wie erlebst du die Rückkehr zum Präsenzunterricht an deiner Hochschule?

Tobias Zorn: Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Studierenden sich sehr auf Präsenz freuen. Mir gehts auch so und diese ersten Tage an der Uni waren für alle was Besonderes. Dennoch kehrt mit den steigenden Zahlen auch die Angst zurück. Einige meiner Mitstudierenden sind tatsächlich an Corona erkrankt, richtige Konzepte dafür fehlten. Also es ist ein Mix aus Freude, chaotischer Stimmung und Angst. 

Wie wird der Präsenzunterricht an deiner Hochschule umgesetzt? 

Tobias Zorn: An der Universität zu Köln bekommen geimpfte Studis einen Sticker auf den Studierendenausweis und darüber läuft meistens die Kontrolle. Bei großen Veranstaltungen kontrolliert Sicherheitspersonal, bei kleinen die Lehrenden. Das klappt in der Regel sehr gut und es gibt bis jetzt wenige Beschwerden, dass die Hygienemaßnahmen irgendwo nicht funktionieren. Ich fühle mich sicher. Mein Studiengang Dolmetschen für Deutsche Gebärdensprache stellt aber nochmal eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund der Kommunikation mit gehörlosen Personen gilt bei uns keine Maskenpflicht

Würdest du dir wünschen, dass es trotz Präsenz weiterhin ein Onlineangebot gibt? 

Tobias Zorn: Ganz klares Ja. Ich hätte auch schon vor Corona gesagt, dass Onlineangebote super sind, als Zusatz zum Beispiel für Studierende mit Kind, Studierende mit Behinderung, Studierende im Arbeitsleben. Seien wir mal ehrlich: In den meisten großen Hörsälen sind mittlerweile Kameras installiert, mit denen man die Veranstaltung aufzeichnen kann. Man muss die Videos also einfach nur hochladen. Diese Angebote sollte man auch nach Corona beibehalten. Nichtsdestotrotz: Wir wollen zurück zur Präsenzuniversität – mit digitalen Zusatzangeboten.

Glaubst du Corona und die Distanz-Lehre beeinträchtigen deinen Studienerfolg negativ?

Tobias Zorn: Auf jeden Fall und ich glaube, das betrifft alle Studierenden. Die Umstellung auf Onlinelehre hat an den Hochschulen zwar weitestgehend gut funktioniert, aber die digitalen Veranstaltungen können die Präsenzlehre nicht ersetzen. Alle sind während der vergangenen drei Semester ins Hintertreffen gekommen. Dolmetschen für deutsche Gebärdensprache hat online natürlich gar nicht funktioniert ohne das Gegenübersein. Und so hat sich der Großteil des Studiengangs dazu entschieden, länger zu studieren.

Ich gehöre zum Landes-Asten-Treffen NRW und wir fordern, dass auch im Wintersemester 2021/2022 die Maßnahmen greifen, die für die letzten drei Semester galten: die verlängerte Regelstudienzeit, die Freiversuchsregelung, … Die Landesregierung NRW hat zwar ein Präsenzsemester ausgerufen, aber in der Praxis ist das überhaupt nicht der Fall. Wir schätzen das Verhältnis von Präsenz- zu Onlinelehre aktuell auf 50:50. Einzelne Fakultäten liegen sogar noch deutlich darunter. Die Humanwissenschaftliche Fakultät der Uni Köln hat zum Beispiel eine Präsenzquote von knapp 16 Prozent. Vom Präsenzsemester sind wir also meilenweit entfernt! Aber es geht auch nur bedingt besser, denn die Räume sind knapp und können mit deutlich weniger Personen genutzt werden als sonst. Damit war klar, dass ein großer Teil der Veranstaltung in Präsenz nicht möglich sein wird.

Gibt es noch etwas anderes, über das beim Thema Studieren in der Pandemie dringend gesprochen werden muss?

Tobias Zorn: Ein großes Problem ist die angespannte Wohnungssituation der Studierenden. Auch vor Corona war es in den großen Ballungsräumen sehr schwierig, eine Wohnung zu finden und dieses Problem hat sich weiter verschlimmert, weil plötzlich drei oder vier Semester auf einmal Wohnungen in derselben Stadt suchen. Zum Start des Präsenzsemesters waren einige Studierende nicht da, weil sie es einfach nicht geschafft haben eine Wohnung zu finden. Andere haben es geschafft, um dann vor Ort mit neuer Wohnung zu erfahren, dass es für sie doch keine Präsenzveranstaltung gibt.

Der AStA der Uni Köln hat jetzt wieder Notschlafstelle eingerichtet. Dort wird Betroffenen für vier Wochen wenigstens eine Bleibe in der Stadt Köln angeboten, damit sie überhaupt an Veranstaltungen teilnehmen können. Natürlich in der Hoffnung, dass sie nach diesen vier Wochen eine eigene Wohnung gefunden haben. Das schaffen aber auch nicht alle.

Aber es gab doch auch staatliche Hilfen für Studierende. Haben die nichts gebracht?

Tobias Zorn: Es gab die monatliche Corona-Überbrückungshilfe des Bundes, die allerdings krachend gescheitert ist. Man hat nur Geld bekommen, wenn man weniger als 500 Euro auf dem Konto hatte und dann wurde gestaffelt. Nur wer wirklich gar nichts, also 0 bis 100 Euro auf dem Konto hatte, bekam die vollen 500 Euro, die nicht mal ausreichen, um in manchen Städten die Miete zu decken – geschweige denn davon zu leben. Die Überbrückungshilfen sind inzwischen ausgelaufen. Der Bund hat quasi beschlossen: Corona ist jetzt für Studierende vorbei.