lautstark. 06.12.2021

Lehrkräftemangel: Arbeiten am Limit

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#IhrFehlt für gute Schule

Mit der Kampagne #IhrFehlt für gute Schule hat die GEW NRW nach den Sommerferien deutlich den Finger in die Wunde gelegt und medienwirksam auf den Lehrkräftemangel aufmerksam gemacht. Wie sich der Personalmangel im Arbeitsalltag an Grund- und Förderschulen konkret zeigt, beschreiben die Lehrerinnen Katrin Korte und Kirsten Tietze.

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  • Ausgabe: lautstark. 07/2021 | Bildung, Religion, Politik: Eine Frage des Glaubens?
  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

KATRIN KORTE

Die Herbstferien waren kaum vorbei, da musste Katrin Korte ihrer Klasse bereits den dritten Stundenplan für das laufende Schuljahr vorlegen. „Es ist mittlerweile nicht mehr ungewöhnlich, dass sich drei oder vier Lehrkräfte um ein und dasselbe Fach in einer Lerngruppe kümmern müssen. Nur so können wir sicherstellen, dass der Unterricht überhaupt erteilt werden kann“, sagt die 39-Jährige. Und das bringe eben immer wieder Veränderungen mit sich.

Lehrkräftemangel spitzt sich weiter zu

Seit 2010 arbeitet die Lehrerin an einer Gelsenkirchener Grundschule. Angesichts personeller Unterbesetzung, krankheitsbedingter Ausfälle und eines ständig wechselnden Stamms an Vertretungskräften lasse sich der Personaleinsatz in einer Klasse jeweils für höchstens vier Wochen überblicken. „Unter diesen Umständen eine individuelle Förderung für jedes Kind zu ermöglichen, ist praktisch unmöglich.“

Der Lehrkräftemangel an den Gelsenkirchener Grundschulen habe sich in den vergangenen fünf Jahren zugespitzt – mit gravierenden Folgen. „Wo wir früher im Team arbeiten konnten, muss ich heute als Teilzeitkraft mit zehn Unterrichtsstunden ganz alleine eine Klassenleitung stemmen“, erzählt Katrin Korte. Der Arbeitsaufwand für Konferenzen, Fortbildungen und Verwaltungsaufgaben falle zusätzlich an und verteile sich meist auf wenige Schultern.

Denn immer mehr Kolleg*innen seien nicht für die Grundschule ausgebildet oder nur übergangsweise vor Ort. „Für das Kollegium bedeutet das eine ständige Gratwanderung zwischen Motivation und Resignation.“ Motivation einerseits, weil die Freude an funktionierender Teamarbeit und einer positiven Resonanz von Eltern und Kindern immer wieder Kraft für die täglichen Herausforderungen gebe. Resignation andererseits, weil bei vielen Kolleg*innen der Glaube an zeitnahe Entlastung verloren gegangen sei. „Wir sprechen hier über eine Situation, die noch mindestens zehn, eher zwanzig Jahre andauern wird. Das hält keiner einfach so aus“, betont Katrin Korte.

Politik muss endlich handeln

Von der Politik wünscht sich die Gelsenkirchenerin deshalb, „dass unser Engagement endlich gesehen wird – nicht nur durch die längst fällige Angleichung der Bezahlung“. Studienplätze müssten signifikant aufgestockt und der Numerus clausus für das Grundschullehramt müsste abgeschafft werden. Zudem sollten die Gelder für unbesetzte Stellen an die Schulen fließen, fordert Katrin Korte. „Wir hätten damit wenigstens die Möglichkeit, helfende Hände aus anderen Professionen zu finden – sei es für den Offenen Ganztag, für das Sekretariat oder durch Krankenschwestern, die uns bei Corona-Tests und kleinen Unfällen im Schulalltag unterstützen.“

 

KIRSTEN TIETZE

Gäbe es ihre Kolleg*innen nicht – Kirsten Tietze hätte das ein oder andere Mal am liebsten hingeschmissen. „Ich bin sehr froh, in meinem Team zu arbeiten: Wir passen aufeinander auf und schauen, wie wir uns gegenseitig entlasten können“, sagt die Lehrerin der Hermann-Schmidt-Schule in Paderborn.

Seit 16 Jahren ist Kirsten Tietze an der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung beschäftigt. „Den Lehrkräftemangel gab es eigentlich immer“, berichtet die 44-Jährige. „Er ist mir nur anfangs weniger aufgefallen, weil ich so damit beschäftigt war, im Schulalltag anzukommen.“ Inzwischen aber seien die Auswirkungen für alle deutlich spürbar.

Vertretungskräfte können Arbeitslast nicht auffangen

„Früher waren wir in der Regel zu dritt in einer Klasse“, erinnert sie sich. „Heute können wir das längst nicht mehr flächendeckend ermöglichen – dafür fehlt einfach das Personal.“ Immer mehr Unterrichtsstunden müssten durch Vertretungskräfte abgedeckt werden. „Das können zum Beispiel Studierende oder Hauswirtschaftskräfte sein, die zunächst einmal keine Qualifikation für die Arbeit an einer Förderschule haben.“ Damit einher gingen immer wieder neue Einarbeitungsphasen und Zusatzaufgaben für die fest angestellten Kolleg*innen. „Da kann es dann vorkommen, dass man am Ende des Schuljahres alle Zeugnisse allein verantwortlich schreiben muss“, berichtet Kirsten Tietze.

Der Blick von außen bringe zwar neue, oft wertvolle Perspektiven. Trotzdem mache sich die hohe Arbeitslast bemerkbar: „Man muss sich immer wieder zugestehen: Es geht jetzt gerade nicht, mehr ist einfach nicht drin.“ In solchen Situationen sei das Wohl der Schüler*innen der entscheidende Antrieb: „Wenn ich sehe, dass sie von unserem Einsatz profitieren, gibt mir das neuen Schwung. Genau deshalb habe ich meinen Beruf gewählt.“

Lehrer*innenberuf muss attraktiver werden

Doch was muss sich verändern, damit diese Motivation auch in Zukunft bestehen bleibt? Für Kirsten Tietze ist zunächst ein grundlegender Imagewandel notwendig. „Unser Beruf muss attraktiv gemacht werden. In der öffentlichen Meinung existiert noch immer die Vorstellung, dass Lehrkräfte faul sind und die meiste Zeit Ferien haben.“ Um den Wegfall des Zivildienstes zu kompensieren, sei zudem ein verpflichtendes Sozialpraktikum denkbar – „damit junge Menschen eine Idee davon bekommen, was der Beruf überhaupt mit sich bringt“. Daneben spielten aber auch die Besoldung und Karrierechancen eine Rolle. Denn für manche sei es eben doch attraktiver, viel Geld in der Wirtschaft zu verdienen, als sich Tag für Tag unter widrigen Umständen im Schulalltag bewähren zu müssen.

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