lautstark. 01.12.2020

Eltern stärken, Kinder fördern

ChancengleichheitFrühkindliche Bildung

Gleiche Chancen beim Schulstart

Die Familie spielt eine wichtige Rolle für die Bildungsbiografie. Kinder aus Elternhäusern, die armutsgefährdet sind, andere kulturelle Hintergründe mitbringen oder die deutsche Sprache nicht gut sprechen, sind in dieser Hinsicht oft benachteiligt. An dieser Stelle setzt das familY-Programm der Düsseldorfer Organisation EDUCATION Y an: Es hilft Eltern dabei, ihre Kinder in der sensiblen Übergangsphase von der Kita in die Grundschule gut zu begleiten.

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  • Ausgabe: lautstark. 07/2020 | Im Einsatz für Gerechtigkeit
  • Autor*in: Denise Heidenreich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Eine Herzensangelegenheit, um allen Kindern die gleichen Chancen für den Start in ihre Schullaufbahn zu ermöglichen – so bezeichnen die familY-Begleiterinnen Natalie Schimanowski und Sabrina Gibicar aus dem Kinder- und Familienzentrum Sonnenschein, einer Einrichtung des Essener Kinderschutzbundes, ihre Arbeit. „Viele Eltern sind verunsichert und wissen oft nicht, wie sie ihr Vorschulkind fördern sollen – etwa, weil sie selbst aus einem anderen Kulturkreis stammen oder ihre eigene Schulzeit schwierig war. In regelmäßigen Treffen mit uns und anderen Eltern lernen sie, die eigene Familie als Lernort zu begreifen“, erklärt Natalie Schimanowski, stellvertretende Leitung des Zentrums und seit 2019 zertifizierte familY-Begleiterin. Ihre Kollegin Sabrina Gibicar, die ihre Ausbildung zur familY-Begleiterin gerade abgeschlossen hat, ergänzt: „Durch Rollenspiele und Übungen bauen die Eltern Bildungskompetenz auf und erleben, wie sie ihr Kind auf vielfältige Weise unterstützen können – unabhängig von der Familiensituation.“

Familie im Fokus

Vor gut zehn Jahren wurde das familY-Programm von der Düsseldorfer Organisation EDUCATION Y entwickelt. 2011 folgten erste Standorte in Berlin, Düsseldorf und Kreis Lippe, an denen über kommunale Kooperationspartner Einrichtungen und Begleiter*innen gefunden wurden. In Sachen Erfolg sprechen die aktuellen Zahlen für sich: „Mittlerweile wird das Programm in   27 Kommunen angewandt. 2019 haben circa 196 pädagogische Fachkräften fast 800 Eltern mit dem Programm erreicht. Dies zeigt, dass die Familie als zentraler Bestandteil der Bildungsbiografie immer weiter in den Fokus rückt“, erklärt Julia Krämer-Deluweit, Bildungsreferentin des familY-Programms. In einer dreiphasigen, prozessbegleitenden Qualifizierung werden interessierte Teilnehmende aus Kita und Grundschule zu familY-Begleiter*innen ausgebildet. Diese wirken als Multiplikator*innen und führen bereits während ihrer Qualifizierung in ihren Einrichtungen Elterntreffen mit Vorschuleltern durch. „Theorie und Praxis ergänzen sich hier optimal und bringen wertvolle Erfahrungen – sowohl für die Begleiter*innen als auch für die Eltern. Das Programm trägt damit dazu bei, die Arbeit zwischen den Einrichtungen und den Eltern langfristig zu verbessern und die Übergänge von Vorschul- zu Schulkindern positiv zu besetzen. Unser klares Ziel ist es deshalb, dass die Arbeit mit den Eltern nach einer Förderphase in den Kommunen verstetigt und von den familY-Begleiterinnen selbstständig fortgeführt wird.“

Persönlicher Austausch in allen Bereichen

Diese positiven Auswirkungen können Natalie Schimanowski und Sabrina Gibicar bestätigen. „Ich habe schon immer schwerpunktmäßig mit den Kindern im letzten Kindergartenjahr gearbeitet und hier im Haus die Vorschulgruppe geleitet“, berichtet Sabrina Gibicar. „Die Ausbildung zur familY-Begleiterin war für mich eine perfekte Ergänzung, um auch mit den Eltern arbeiten zu können.“

Um diese für das Programm zu gewinnen, setzen die beiden Fachkräfte auf direkte Ansprache: „Wir gehen auf die Eltern zu und erklären im persönlichen Gespräch, worum es geht. Zusätzlich findet bei uns vor jedem Durchgang eine Infoveranstaltung statt, bei der die Eltern eigene Wünsche äußern und so die kommenden Treffen mitgestalten können“, erklärt Natalie Schimanowski. Diese sind in drei größere Themenblöcke gegliedert: Im ersten Block geht es darum, dass Kinder immer und überall lernen, im zweiten um die Einschulung und im dritten Block geht es um die Kinder, die bereits in der Schule sind. Zu allen Sitzungen werden stets alle Eltern, die ein Kind in der Einrichtung haben, eingeladen. „Deswegen gestalten wir die Einheiten so, dass wir die Eltern dort abholen, wo sie gerade stehen. In einer kurzen Einstiegsrunde kann jede Familie von ihren Sorgen und Bedürfnissen erzählen, dann folgen Übungen oder Rollenspiele, in denen wir einzelne Situationen unter die Lupe nehmen“, sagt Sabrina Gibicar. Die dabei aufkommenden Themen sind vielfältig und doch bei fast allen Familien gleich: Was muss mein Kind können, wenn es in die Schule kommt? Wie viel Mediennutzung ist gesund? Wie müssen wir unseren Tag umstrukturieren, wenn unser Kind eingeschult ist? Gehen wir zu Fuß in die Schule oder fahren wir mit der Bahn? „Fragen wie diese kommen bei fast allen Eltern auf. Gerade der Schuleintritt ist für viele Familien mit Sorgen verbunden. Deshalb laden wir auch häufig noch zu einer Sitzung Rektor*innen oder Schulsozialarbeiter*innen ein, um den Eltern Wissen aus erster Hand mitzugeben“, so Natalie Schimanowski.

Herausforderungen meistern, Bedürfnisse ernst nehmen

Dass ihre Arbeit mit einigen Herausforderungen verbunden ist, liegt für Sabrina Gibicar und Natalie Schimanowski auf der Hand. „Die Eltern kennen uns ja aus dem Kita-Alltag und dann plötzlich Rollenspiele und Übungen zu machen, fühlt sich erst einmal fremd an. Wichtig ist es, auch die Themen niederschwellig aufzubereiten und trotzdem bei den Bedürfnissen der Eltern zu bleiben“, weiß Sabrina Gibicar. Um das zu gewährleisten, setzen die familY-Begleiterinnen zum Beispiel auf die vereinfachte Sprache, bei der es darum geht, vieles zu visualisieren: „Um Feedback einzuholen, arbeiten wir zum Beispiel mit Zeichen wie ,Daumen hoch‘ – gerade bei Sprachbarrieren kann da jede Familie mitmachen“, so Sabrina Gibicar weiter. Auch die Methode des Elternratgeberkreises ist beliebt: „Wir werfen ein Problem in die Runde und fragen, wer das schon mal selbst erlebt habe? Dadurch sehen alle, dass andere genau dieselben Hürden nehmen müssen wie sie selbst. Gerade am Anfang ist es hilfreich, wenn wir viele Eltern haben, die sich gar nicht trauen, etwas zu sagen. Wenn es passt, erzähle ich auch gerne ein Beispiel von meiner eigenen Tochter – auch das ist immer ein guter Türöffner“, ergänzt Natalie Schimanowski. „Generell ist es wichtig, dass die Eltern wissen, dass sie sich in einem geschützten Raum befinden und die Dinge vertraulich behandelt werden.“

Fazit: Engagierte Begleitung fördert Bildungsgerechtigkeit

Das Ergebnis ihres Engagments ist eindeutig: „Die Eltern geben uns wirklich gutes Feedback und sind dankbar, dass sie Teil des Programms sein können. Sie werden als Lernbegleiter gestärkt und ihre Kinder erhalten die gleichen Chancen beim Schulstart“, so Sabrina Gibicar. Natalie Schimanowski resümiert: „Jede Familie hat unterschiedliche Voraussetzungen, aber durch das familY-Programm und die enge Zusammenarbeit mit der Schule kommen alle auf den gleichen Stand. Das Wissen darum sowie die positiven Rückmeldungen und der engagierte Einsatz unserer Eltern zeigen uns, dass wir mit unserer Arbeit auf dem richtigen Weg sind. Gleiche Bildungschancen für alle Kinder zu schaffen, gehört zu den primären Zielsetzungen der Essener Kinderschutzarbeit und zählt zu den Grundrechten der UN-Kinderrechte-Konvention.“

Familien im Mittelpunkt bei der GEW

Auch aus GEW-Sicht ist die Rolle der Familie in Sachen Bildung deutlich: „Familien sind entscheidende Knotenpunkte, die die Lebenssituation von Kindern und die damit verbundenen Teilhabe- und Bildungschancen beeinflussen. Kinder aus benachteiligten Familien sind dabei vielfältig betroffen: in Kita, Schule, Freizeit und auch im Freundeskreis. Denn obwohl sie selbst „unverschuldet“ in diese prekäre Lage gekommen sind, verfügen sie in der Regel noch über keine eigenen hinreichenden Möglichkeiten, dieser zu entkommen“, erklärt Gaby Mutschke, GEW-Mitglied und als Fach- und Dienstaufsicht der Kindertagesstätten beim Siegburger Amt für Jugend, Schule und Sport tätig. „Insofern sind gute Stützsysteme für Familien, die auf eine positive, proaktive Bildungsaspiration Einfluss nehmen, sehr hilfreich. Wichtig ist, dass der nachhaltige Anspruch von Programmen immer aus einer systemischen Perspektive betrachtet wird, indem möglichst verschiedene Akteure aktiv beteiligt werden: Familie, Politik, Wissenschaft, Bildungs- und Sozialinstitutionen wie auch Wirtschaft und Arbeitgeber*innen.“

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