lautstark. 09.12.2022

Wie kommt das Konzept von New Work in die Schule?

WeiterbildungMitbestimmung

Schultransformation ist eine gesellschaftliche Aufgabe

Das Konzept von New Work ist in Organisationen angekommen und Transformationsprozesse sind in vollem Gange. Schule bereitet junge Menschen auf das Leben und die Arbeitswelt vor. Die Frage liegt nahe: Wie sieht die zukunftsweisende New School für agile Lehrkräfteteams und selbstbestimmte Schüler*innen aus? Wir haben mit Bildungsinnovatorin Margret Rasfeld und Coachin Romy Möller gesprochen.

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  • Ausgabe: lautstark. 06/2022 | New Work in Schule: Wie willst du arbeiten?
  • im Interview: Margret Rasfeld, Romy Möller
  • Funktion: Bildungsinnovatorin, Coachin
  • Interview von: Simone Theyßen-Speich
  • Funktion: Diplom-Journalistin
Min.

Das Konzept von New Work ist in Organisationen angekommen und Transformationsprozesse sind in vollem Gange. Schule bereitet junge Menschen auf das Leben und die Arbeitswelt vor. Die Frage liegt nahe: Wie sieht die zukunftsweisende New School für agile Lehrkräfteteams und selbstbestimmte Schüler*innen aus? Wir haben mit Bildungsinnovatorin Margret Rasfeld und Coachin Romy Möller gesprochen.

Inwiefern lässt sich das Konzept von New Work auf Schule übertragen und wie muss sich das Verständnis von Arbeit und Schule ändern, um die Idee von New Work umsetzen zu können?

Romy Möller: Warum sollte es denn nicht übertragbar sein? New Work ist kein Tool, sondern eine Haltung. Der Begriff geht auf Frithjof Bergmann zurück, der schon in den 1970er-Jahren festgestellt hat, dass Arbeit dem Menschen dienen muss und nicht umgekehrt. Wir müssen einen Arbeitsort schaffen, wo Menschen ihre Potenziale ausleben, ihre Freiheit nutzen und etwas zur Gesellschaft beitragen können. Wenn wir Schule also als Organisation ansehen, müssen wir den Arbeitsort Schule so gestalten, dass Lehrer*innen und das nicht pädagogische Personal sich dort einbringen können. Margret Rasfeld: Das Verständnis von Arbeit und Schule muss sich grundlegend ändern, damit im Sinne von New Work Menschen Freude und Sinn in der Arbeit finden und Verantwortung übernehmen. Kreativität, Agilität, Teamwork und Problemlösefähigkeit werden zentral. Schule ist jedoch immer noch auf Fachwissen, Einzelleistung und Dauerbewertung durch Ziffernnoten fokussiert und entlässt junge Menschen, die im Erfüller*innenmodus mit Fehlerangst stecken.

In welchen Bereichen kann New Work gut, in welchen weniger gut in Schule umgesetzt werden?

Margret Rasfeld: Musterbrüche durch neue Lernformate können maßgeblich helfen, das Neue umzusetzen. Der Kern und das Schwierigste in dem Transformationsprozess ist der notwendige innere Haltungswandel – die Grundlage für den Wandel der Schulkultur. Romy Möller: Man könnte natürlich Schule mit New Work komplett neu denken, das ganze System und die Rahmenbedingungen ändern. Etwa die Frage stellen, warum Schulleitungen ausgebildete Lehrkräfte sein müssen. Wenn man aber aus dem bestehenden System heraus verändern will, dann muss man im Kleinen schauen.

Frederic Laloux hat in seinem Buch Reinventing Organizations drei Prinzipien von New Work beschrieben: Selbstorganisation, Ganzheit und evolutionärer Sinn. Bei der Selbstorganisation sollten dort Entscheidungen getroffen werden, wo die Fachexpertise und die Kompetenz liegen. Beispielsweise könnten Jahrgänge ihre Stundenpläne selbst zusammenstellen und so flexibler sein. Konferenzen könnten so gestaltet sein, dass sich Lehrer*innen mehr einbringen können. Bei der Ganzheit geht es darum, dass sich die Menschen mit allem zeigen können, was sie bewegt. Das können wir durch Räume für Reflexion und Coaching fördern. Beim evolutionären Sinn im System Schule spielt zum Beispiel die partizipative Schulentwicklung eine Rolle. Wir sollten Schulen nach außen öffnen, Eltern einbeziehen oder zum Beispiel Runde Tische organisieren.

Welche Voraussetzungen braucht es, um New Work in Schule umzusetzen? 

Romy Möller: Es braucht Bereitschaft auf allen Seiten, es braucht Mut, etwas Neues auszuprobieren. Oft werden Hierarchien aufgebrochen. Nicht die Chef*innen treffen die Entscheidung, sondern die Personen mit der besten Fachexpertise. Natürlich können bei diesem Transformationsprozess auch Konflikte entstehen. Das heißt, bevor man alte Strukturen einreißt, müssen neue Kommunikationskompetenzen sowie Raum und Zeit für die Entwicklung vorhanden sein.

Margret Rasfeld: Wenn man bei den Schüler*innen Kreativität, Selbstführung und Kommunikation in den Mittelpunkt stellen möchte, braucht man Lernformate, die darauf abzielen. Selbstorganisiertes Lernen heißt: Schüler*innen nehmen das Lernen selbst in die Hand, arbeiten selbstbestimmt, sind in der Lage, sich Zeitpläne zu machen, und lernen auch, andere um Hilfe zu bitten und Hilfe anzubieten. Beim Lernen in Projekten kommt hinzu, im Team die eigene Rolle zu finden, kritikfähig und lösungsfähig zu sein. Lehrer*innen sind dabei nicht mehr die, die unterrichten, bewerten und disziplinieren, sondern diejenigen, die aktivieren, begleiten und Feedback geben.

Wie kann der Transformationsprozess in Schule aussehen – sowohl von außen gesteuert als auch von innen motiviert?

Romy Möller: Transformation heißt für mich, etwas anzustoßen. Dabei müssen wir uns bewusst machen, dass jede Veränderung sich auf das ganze System auswirkt. Sei es eine Person, die agiert, oder seien es Rahmenbedingungen von außen. Zudem brauchen wir immer eine Motivation: Durch Corona waren wir gezwungen, die äußeren Strukturen an Schulen zu ändern. Aber auch dort, wo man vermeintlich zufrieden ist, gibt es eine Sehnsucht, etwas anders zu machen, eine intrinsische Motivation. Es braucht idealerweise ein Zusammenspiel von äußerer und innerer Veränderung.

Wenn wir Schule also als Organisation ansehen, müssen wir den Arbeitsort Schule so gestalten, dass Lehrer*innen und das nicht pädagogische Personal sich dort einbringen können.

Margret Rasfeld: Ein Transformationsprozess fängt bei den Menschen an und hat mit Werten, Bewusstsein und Haltung zu tun. Jede Lehrkraft kann im eigenen Unterricht beginnen, da sie dort Gestaltungsfreiheit hat. Wenn sich eine ganze Schule auf den Weg begibt, braucht es die Ebenen Individuum und Kollektiv, Strukturen und Prozesse und in der Schulkultur geteilte Werte sowie die geeignete Kommunikation und Beziehungskultur – und über allem als Quelle: Vision und Sinn.

Wie wird der Arbeitsplatz Schule in Zukunft aussehen? Und wie wird der Arbeitsort Schule durch New Work gestaltet sein?

Margret Rasfeld: Schicke tolle Gebäude allein helfen nicht. Die Evangelische Schule Berlin-Zentrum ist beispielsweise in einem alten DDR-Gebäude untergebracht. Trotzdem gilt sie als eine der innovativsten Schulen Deutschlands. Natürlich sind offen gestaltete Räume auch wichtig, aber es braucht vor allem neue Konzepte. Wir haben zum Beispiel für Schüler*innen die „Herausforderungen“ in den Stundenplan aufgenommen: Sie gehen drei Wochen lang mit 150 Euro in die Welt, raus aus der Heimatstadt, organisieren Leben und Übernachtung selbst. Dabei erfahren sie, welch großartiges Potenzial in ihnen steckt und dass das Leben nicht immer nach Plan läuft.

Romy Möller: Vielleicht muss man im Schulgebäude Wände rausreißen fürmehr Partizipation. Man muss aber auch die Schulkultur verändern, Werte und Wertschätzung fördern. Wenn alle in der Schule New Work leben wollen, dann müssen alle daran glauben, dass alle miteinander agieren können. Denn Transformation gelingt nur, wenn die innere und äußere, wenn die subjektive und kollektive Dimension angeschaut wird.

Wir stecken in riesigen Krisen, die wir lösen müssen. Da können wir es uns nicht leisten, dass bei Schüler*innen Kreativität und der Glaube an die eigene Wirksamkeit verloren gehen.

Welche Chancen und Risiken verbergen sich hinter einem solchen Verändrungsprozess von Schule?

Romy Möller: Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir den sicheren Hafen verlassen, in dem wir uns befinden. Wir gehen irgendwohin, das Wie, Wo und Was kennen wir nicht. Das bedeutet Instabilität und kostet viel Energie, weil man ja auch scheitern kann, weil Frust und Unsicherheit entstehen können. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Veränderungsprozess gehalten und unterstützt wird. Margret Rasfeld: Der Veränderungsprozess ist alternativlos. Wir stecken in riesigen Krisen, die wir lösen müssen.

Da können wir es uns nicht leisten, dass bei Schüler*innen Kreativität und der Glaube an die eigene Wirksamkeit verloren gehen, sie ausgerichtet werden auf Bestnoten im Gleichschritt. Viele Kinder und Jugendliche sind in einer desaströsen psychosozialen Lage, 80 Prozent haben Zukunftsängste und sind durch Corona noch mehr als schon vorher psychosozial belastet, fühlen sich ohnmächtig, auch in der und durch die Schule. Es geht um einen Paradigmenwechsel. Wie können wir Kindern und Jugendlichen Hoffnung, Zuversicht, Wirksamkeit und Sinn ermöglichen? Wie können junge Menschen Gestaltungskompetenz erwerben und lernen, die Welt zu verändern?

Wie können Lehrkräfte in diesem Veränderungsprozess auf ihre mentale Gesundheit achten?

Romy Möller: Schultransformation ist eine Aufgabe, die Schule nicht allein und on top tragen kann. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Wenn wir wollen, dass Schule sich verändert, müssen wir dafür Ressourcen zur Verfügung stellen. Transformationsbegleiter*innen an den Schulen wären wichtig. Schulleitungen müssen Zeit für die Kolleg*innen haben, damit es nicht zum Rückzug oder zum Burn-out kommt. Margret Rasfeld: Lernen beruht auf Beziehung. Wenn Schule so organisiert wird, dass Lehrer*innen jede Stunde in eine andere Klasse rennen und 130 Schüler*innen am Tag haben, ist es schwer, zu den Schüler*innen Beziehungen aufzubauen. Arbeitet man in Jahrgangsteams und hat dadurch mehr Zeit für Schüler*innen, auch Zeit für Einzelcoachings, hält das auch die Lehrkräfte, für die Beziehungen wichtig sind, gesund. Beziehung und Sinn sind grundlegend.

Welche konkreten Erfahrungen haben Sie mit Schulen gemacht, die Sie begleiten?

Margret Rasfeld: In den Schulen haben wir die Konferenzen beispielsweise immer mit Wertschätzungs- und Dankesrunden begonnen. Es ist wichtig zu sehen, was alles Gutes um einen herum passiert. Man muss Räume für Beziehung öffnen, dafür Platz und Zeit schaffen. Beziehung ist die Antwort auf die Krisen der Zeit. Romy Möller: Ich erlebe Schulleitungen, die viel Kraft einbringen, um Schule anders zu denken. Aber Schulen sind oft auch im operativen Bereich verankert, sind in ihren Grenzen anstelle von „think out oft he box“. Ich würde Schulen mehr Mut und Visionen wünschen, die bestehenden Vorgaben anders auszuleben.

Wobei erleben Sie Aufbruchstimmung und wo wird Ihnen gespiegelt, dass die Transformation nicht gelingen kann?

Romy Möller: Es gelingt, wenn man bei den bestehenden Strukturen ansetzt und Veränderung im Gleichklang mit der inneren Einstellung sieht. Ich möchte aber auch betonen, dass Schulen den Weg nicht allein gehen müssen. Es gibt schon so viele gute Beispiele, ohne einzelne davon direkt als Blaupause für die eigene Schule zu verwenden. Es gibt das Twitter-Lehrerzimmer und auch in anderen sozialen Medien tauschen sich Lehrkräfte untereinander aus. Es ist wichtig, die Stärken zusammenzubringen.

Welche Rolle kommt den Schulleitungen zu?

Margret Rasfeld: Schulleitungen inspirieren mit Vision. Sie halten die Richtung, vertreten gemeinsame Werte, handeln aus dem Herzen, schauen, was die Kolleg*innen brauchen, sind Ermöglicher*innen. Grundlage hierfür ist das Bewusstsein, dass Schule ein wichtiger Teil der großen Transformation der Gesellschaft sein kann, Quelle von Sinn und eine Haltung der Wertschätzung von sich, von anderen und von der natürlichen Mitwelt. Romy Möller: Die Schulleitungen haben eine zentrale Rolle. Wenn sie nicht mitspielen, ist eine Veränderung im Ganzen fast unmöglich. Führung ist das A und O – in Schule, aber auch bei der Transformation.