lautstark. 09.12.2022

Teamarbeit an der Green Gesamtschule in Duisburg

EntlastungChancengleichheitGesamtschule

Wertschätzung und Offenheit prägen den Schulalltag

Im Team arbeiten, den Schulalltag gemeinsam und einheitlich gestalten – und das nicht durch privates Engagement nach Dienstschluss, sondern zu festgelegten Zeiten im Stundenplan: Was nach einer Wunschvorstellungklingt, ist an der Green Gesamtschule in Duisburg Realität. Mit seiner strukturierten Form der Teamarbeit trotzt das Kollegium widrigen äußeren Umständen, es berichtet von hoher Arbeitszufriedenheit und guten Bildungschancen für alle.

Download pdf | 2 mb
  • Ausgabe: lautstark. 06/2022 | New Work in Schule: Wie willst du arbeiten?
  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Die Stimmung am Tisch ist ausgelassen, Kaffee und Lebkuchen verströmen vorweihnachtlichen Duft. Im Schulleitungsbüro der Green Gesamtschule geht es um Komplimente – ein aktuelles Thema in der Klasse 5e. „Viele Kinder wussten nicht, was Komplimente sind. Da würde ich gerne ansetzen“, sagt Simone Kaiser-Gülicher, eine von drei Lehrkräften, in der heutigen Teamsitzung. Sie unterrichtet Mathe in der 5e und sitzt beratend mit am Tisch. Nicole Schlette hält ihr zwei eng beschriebene gelbe Zettel entgegen. „Bei mir in Englisch lief es gar nicht so schlecht: ‚You look beautiful today‘“, liest die Schulleiterin vor und blickt in die Runde. Cenk Kavakbasi nickt zustimmend. Der Klassenlehrer der 5e sitzt am Laptop und tippt eifrig mit. Wie jede Teamrunde folgt auch diese einer festen Tagesordnung – Protokoll zum Nachlesen inklusive. 

Austausch in den pädagogischen Teams ist fester Bestandteil im Stundenplan

Jeweils 90 Minuten sind im fünften Jahrgang für den wöchentlichen Austausch vorgesehen. Er ist fester Bestandteil des strukturierten Organisations- und Unterrichtskonzepts, das die Schule seit ihrer Gründung verfolgt. Der Schwerpunkt liegt auf der Unterrichtsentwicklung: „Nichts verhindert Störungen so effektiv wie guter Unterricht, davon sind wir überzeugt“, sagt Nicole Schlette. Dabei geht das Kollegium auch in puncto Wissensvermittlung einen teamorientierten Weg: Beim kooperativen Lernen arbeiten Schüler*innen in wechselnden Kleingruppen zusammen und stellen ihre Ergebnisse anschließend im Klassenverband vor. „So lernen sie, mit anderen zu interagieren, wertschätzendes Feedback zu geben und Probleme gemeinsam zu lösen“, sagt Simone Kaiser-Gülicher. „Das bereitet sie auf das weitere Leben vor und wirkt einer Ellenbogenmentalität entgegen.“

Gerade in den unteren Jahrgangsstufen erhalten Kinder und Jugendliche intensive Unterstützung auf diesem Weg – eine Phase, in der auch den begleitenden Lehrkräften besonders viel Raum für Teamarbeit eingeräumt wird. Die fünften bis siebten Klassen sind jeweils mit zwei gleichberechtigten Klassenlehrer*innen besetzt. In den Teamsitzungen für die Jahrgänge 5 und 6 kommen sie mit zwei weiteren Mitgliedern des Kollegiums zusammen – aus der Schulleitung, der Schulsozialarbeit oder dem Moderator*innenteam für das kooperative Lernen. Auch für den Austausch in höheren Jahrgangsstufen sowie über Jahrgangsgrenzen hinweg gibt es feste Zeiten in den Stundenplänen. Einmal pro Halbjahr finden außerdem kollegiale Unterrichtshospitationen statt. „So entsteht immer wieder eine gute Durchmischung von erfahrenen und neuen Kolleg*innen“, erzählt Nicole Schlette.

Teammodell zieht Lehrkräfte wie Schüler*innen an und erleichtert den Seiteneinstieg

Das Konzept geht auf. Trotz begrenzter finanzieller Mittel, teilweise maroder Räume und eines Einzugsgebiets inmitten sozialer Brennpunkte ist die Gesamtschule ein begehrter Anlaufpunkt für neue Kolleg*innen und Vorbild für andere Schulen. Für ihre besondere Zusammenarbeit im Team wurde sie im vergangenen Jahr sogar mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Dabei sei ein solcher Erfolg anfangs überhaupt nicht vorhersehbar gewesen, erinnert sich Nicole Schlette. Denn bei der Gründung der Schule entstand das Teammodell vor allem auch als pragmatische Antwort auf eine Notsituation. 

„Wir sind 2015 als Sekundarschule gestartet und hatten zunächst den Ruf einer Resteschule. Keiner wollte zu uns kommen – weder Schüler*innen noch Kolleg*innen. Deshalb mussten wir uns etwas einfallen lassen“, sagt die Schulleiterin. Wir – das waren am Anfang vor allem Martina Zilla Seifert, die die Schule bis Februar 2021 geleitet hat, und ein kleines Gründungsteam. Rund 50 Prozent des Kollegiums seien damals als Seiteneinsteiger*innen gestartet. „Über das Teammodell konnten wir sie schnell und effektiv für den Schulalltag qualifizieren.“ 

Auch Simone Kaiser-Gülicher hat als Quereinsteigerin in den Lehrerberuf gefunden. Heute wirkt es, als hätte die Diplom-Pädagogin und -Psychologin nie etwas anderes getan, als den Schulalltag zu gestalten – so auch in der Teamsitzung für die 5e. Immer wieder bringt sie neue Ideen für die kommende Woche ein. „Kommt, ich zeigʼ euch das am besten in meiner Klasse“, sagt sie dann, läuft mit eiligen Schritten zur Tür und fordert die Kolleg*innen auf, ihr zu folgen.  

Kollegium verständigt sich auf gleiche Regeln und Unterrichtsabläufe

Über lange Flure führt der Weg zum Klassenraum der 9a. Der Unterricht ist längst vorbei, die Stühle stehen ordentlich auf den Gruppentischen. Auf den Fensterscheiben leuchten bunt bemalte Friedenstauben, auf dem Pult stehen ein Margeritenbäumchen und ein Adventskranz. Gerahmte Postkarten lassen die positive Stimmung erahnen, die hier mit jedem neuen Tag Einzug hält. „Guten Morgen, Lieblingsklasse“ ist da zu lesen oder „Schaffʼ dir ein wärmendes Herz“. 

Man merkt, dass man etwas bewirken kann, und das schafft eine ganz besondere Form der Zufriedenheit.

An der langen Wand, gleich neben der Tür, finden sich wichtige Informationen für Schüler*innen: Stundenplan, Aufgaben und Methoden übersichtlich präsentiert – ein Standard, den es inzwischen in jedem Klassenraum der Schule gibt. Denn über das Teammodell hat sich das Kollegium auch auf gemeinsame Regeln und Unterrichtsabläufe für alle geeinigt. Dazu gehört, dass Cappys, Mützen und private Handynutzung im Unterricht tabu sind – und dass Gewalt an der Schule keinen Platz hat. „Wer schlägt, geht für den restlichen Tag nach Hause, da gibt es keine Diskussion“, betont Nicole Schlette. Das Kollegium arbeite daran, immer stärker zu einem pädagogisch einheitlichen Handeln zu kommen – auch wenn das bei 1.140 Schüler*innen und über 90 Lehrkräften inzwischen eine Herausforderung bedeute. Doch die intensive Teamarbeit und gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Schulleben mache sich immer wieder aufs Neue bezahlt.

Gerade in der Corona-Zeit hat uns das Teammodell gerettet: Wir konnten auf unsere Strukturen zurückgreifen und sie genauso fortführen wie vorher, nur eben nicht in der Schule, sondern per Video.

Teamzeiten geben Zeit zum Nachdenken und Raum für Kreativität

„Gerade in der Corona-Zeit hat uns das Teammodell gerettet: Wir konnten auf unsere Strukturen zurückgreifen und sie genauso fortführen wie vorher, nur eben nicht in der Schule, sondern per Video“, sagt Simone Kaiser-Gülicher. So habe sich niemand allein gefühlt, „weder die Kinder noch wir“. Auch Cenk Kavakbasi hat den Teamgeist an der Green Gesamtschule von Anfang an als etwas Besonderes empfunden. „Hier macht jede*r richtig viel und bringt sich ein – wir haben viele Kolleg*innen, die ihren Job als Berufung sehen.“ Nicole Schlette formuliert es so: „Die festen Teamzeiten sind sehr zielführend: Statt von Klasse zu Klasse zu hetzen, hat man Gelegenheit, in Ruhe nachzudenken und kreativ zu sein. Man merkt, dass man etwas bewirken kann, und das schafft eine ganz besondere Form der Zufriedenheit.“

Hier macht jede*r richtig viel und bringt sich ein – wir haben viele Kolleg*innen, die ihren Job als Berufung sehen.

Diese Zufriedenheit geben die Lehrkräfte auch an die Schüler*innen weiter. Wertschätzung und Offenheit prägen die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen – für viele eine ganz neue Erfahrung. „Ein Teil unserer Schüler*innen kommt aus prekären Verhältnissen und hat wenig Selbstbewusstsein. Ihnen wurde immer wieder gesagt, dass sie höchstens die Hauptschule schaffen können – und dann sitzen sie bei uns und diskutieren plötzlich auf einem unglaublich hohen Niveau“, sagt Nicole Schlette. Lange kämpfte sie mit ihren Kolleg*innen dafür, dass die Umwandlung von der Sekundar- zur Gesamtschule gelingen konnte.

„Uns war von Anfang an klar: Wenn unsere Jugendlichen die Chance auf ein Abitur haben sollen, dann geht das nur an der eigenen Schule. Und dafür brauchten wir eine eigene Oberstufe. Wir mussten also zur Gesamtschule werden.“ Die kontinuierliche Netzwerkarbeit in verschiedenen Gremien führte schließlich zum Wachstum der Schule – und zur erfolgreichen Umwandlung. 2024 wird der erste Oberstufenjahrgang der Green Gesamtschule seine Abiturzeugnisse entgegennehmen – darunter viele Jugendliche, die als erste in ihren Familien die allgemeine Hochschulreife schaffen werden. Für Nicole Schlette beweist allein die Aussicht darauf, woran sie von Anfang an geglaubt hat. „Unsere Schüler*innen sind kreativ, schlau und haben unglaublich viel Potenzial.“