lautstark. 09.12.2022

Arbeitsplatz Schule: Attraktivität sinkt!

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Kommentar zu Veränderungen in der Arbeitswelt

Verbeamtet, gut bezahlt, im Ruhestand sicher versorgt, nachmittags frei und elf Wochen Ferien im Jahr. Gestalten Lehrer*innen zudem ihre Arbeit nicht immer schon eigenverantwortlich und zeitlich flexibel? Ist das nicht New Work? Wir machen den Realitätscheck: Kann der Arbeitsplatz Schule angesichts der Veränderungen der Arbeitswelt mithalten?

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  • Ausgabe: lautstark. 06/2022 | New Work in Schule: Wie willst du arbeiten?
  • Autor*in: Michael Schulte
  • Funktion: Geschäftsführer der GEW NRW
Min.

Wer nicht mit Scheuklappen durch die Welt geht und wissenschaftliche Erkenntnisse, zum Beispiel zur Arbeitsbelastung, zur Kenntnis nimmt, kann keinen Zweifel haben, dass die eingangs geschilderten Vorurteile ein Zerrbild sind. Der Arbeitsplatz von Lehrer*innen ist seit Jahren nicht mehr attraktiv, der Personalmangel ist nicht zufällig. Belegt wird das durch die Bezahlung, den baulichen Zustand von Schulen und Klassenzimmern, die digitalen Arbeitsmöglichkeiten, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt, sowie durch mangelnde Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten.

Und nun noch das: Die Arbeitswelt ändert sich dramatisch.Die Generation, die heute ihr Arbeitsleben plant oder beginnt, hat deutlich andere Erwartungen an den eigenen Arbeitsplatz. Örtliche und zeitliche Flexibilisierung von Arbeit, agile und projektbasierte Organisationsformen, Wertebasierung von und Sinnstiftung durch Arbeit sowie partizipative Entscheidungsmechanismen und Formen der Selbstorganisation gelten als entscheidend für attraktive Zukunftsmodelle der Erwerbsarbeit. Dann hat der öffentliche Dienst, dann hat Schule verloren. Dann wird sich der Personalmangel langfristig verstärken.

Arbeitszeit

Schauen wir auf die Arbeitszeit. Seit Menschengedenken gilt für Lehrer*innen das Pflichtstundenmodell – nur Hamburg macht es anders. Wirft man einen Blick in die einschlägige Rechtsverordnung in NRW, dann ginge es auch hier anders. In dieser Verordnung gibt es die Möglichkeit, in einer einzelnen Schule eine Pflichtstunden-Bandbreite anzuwenden, es ist gar die Möglichkeit der Erprobung neuer Arbeitszeitmodelle vorgesehen. Die Akzeptanz ist gleich null. Niemand will es, niemand macht es. Warum? Weil es in den Kollegien keinerlei Vertrauen gibt, dass eine Veränderung der Arbeit, der Arbeitszeit oder der Arbeitszeitmodelle Vorteile für sie hat. Oder dass gar die begründete Hoffnung besteht, so könnten die Arbeitszeit und die Arbeitsbelastung gesenkt werden. Dazu passt, dass mit großem Misstrauen reagiert wird, wenn im schwarz-grünen Koalitionsvertrag steht: „Wir initiieren einen Dialog mit den Verbänden über die Definition der Lehrerarbeitszeit, um sie an die aktuellen Erfordernisse anzupassen.“

Vereinbarkeit

Auch bei dem Bemühen um eine bessere Vereinbarkeit von Familie beziehungsweise Care-Arbeit oder Ehrenamt und Job wurde es in den vergangenen Jahren nicht besser. Änderungen waren immer Sparmodelle. Die Flexibilisierung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl wurde ausgeweitet, um Unterrichtsausfall angesichts des dramatischen Personalmangels zu reduzieren. Aktuell steht im Raum, Teilzeitmöglichkeiten einzuschränken. Die Wünsche der betroffenen Kolleg*innen müssen zurückstehen. Nicht attraktiv, nicht mehr zeitgemäß – kontraproduktiv, wenn es darum geht, den Arbeitsplatz langfristig attraktiver zu gestalten. 

Aufstieg und Karriere

Beförderungsmöglichkeiten sind zum Beispiel  an den Grundschulen de facto nicht vorhanden. Aufgaben wie die Fachleitung im Bereich der Grundschule und der Sekundarstufe I sind skandalös unterbezahlt. Und was fällt der Landesregierung ein, um die nun anstehende Korrektur der teils verfassungswidrigen Bezahlung der Leher*innen in NRW zu „refinanzieren“? Eine Reduzierung der Beförderungsmöglichkeiten im Landeshaushalt.

Führung und Hierarchie

Wäre doch das Qualitätstableau umsetzbar, hätten Schulleiter*innen doch die Zeit, so zu agieren, wie dort normativ beschrieben ist, vieles wäre besser. „Die Schulleitung folgt klaren Zielvorstellungen für die Weiterentwicklung der Schule, insbesondere des Unterrichts, und für die Gestaltung der Entwicklungsprozesse. Die Schulleitung sorgt dafür, dass die Ziele der Schule partizipativ entwickelt werden. Die Schulleitung sorgt für Klarheit und Eindeutigkeit der Ziele der Schule. Die Schulleitung verfügt über Strategien, gemeinsame Ziele für die Weiterentwicklung der Schule nachhaltig umzusetzen.

Die Schulleitung sichert die Rahmenbedingungen für Kooperationen der unterschiedlichen Gruppen und sorgt dafür, dass an der Schule teamorientiert gearbeitet wird. Die Schulleitung pflegt die Kommunikation mit dem schulischen Personal. Die Schulleitung wirkt darauf hin, dass Konflikte nach verabredeten Verfahren bearbeitet werden. Die Schulleitung steuert die Schulentwicklungsprozesse im Kontext des Lehrens und Lernens im digitalen Wandel.“ So steht es zu lesen. Realität ist: Die Schulleitung verwaltet den Mangel und kämpft mit der überbordenden Bürokratie, wie Abfragen und Statistiken belegen. Attraktiv ist anders.

Hoffnung im Kleinen?

Im Koalitionsvertrag ist nicht erkennbar, dass die schwarz-grüne Landesregierung diese Sicht der Dinge teilt und Korrekturen anstrebt. Besteht Hoffnung im Kleinen? In attraktiven Unternehmen ist häufig das Bemühen erkennbar, Kriterien nachhaltiger Lebensgestaltung Rechnung zu tragen. Was essen wir am Arbeitsplatz? Wie organisieren wir den Weg zur Arbeit? Viele Schulen haben Verpflegungsangebote entsprechend geändert. Das Land jedoch scheitert am Angebot von Jobrad und Jobticket für seine Beschäftigten in den Schulen. Ein Trauerspiel.