lautstark. 05.10.2021

Tarifrunde 2021: Mehr Lohn – jetzt erst recht!

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Ländertarifrunde gestartet

Eine Tariferhöhung in der Pandemie? Trotz Schuldenbremse? Die Arbeitgeberseite hält dagegen: Das Geld sei nicht da oder werde anderswo gebraucht. Stimmt nicht, meint Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung und erklärt, warum eine Lohnsteigerung gerade jetzt gebraucht wird.

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  • Ausgabe: lautstark. 06/2021 | Gender und Diversity: Wen siehst du?
  • Autor*in: Prof. Dr. Sebastian Dullien
  • Funktion: Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung
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Das sagen die Arbeitgeber

Corona hat die Wirtschaft zu stark geschwächt.

Die Pandemie war ein gewaltiger Schock für die deutsche Wirtschaft. Die Steuerausfälle und Mehrausgaben haben die staatlichen Finanzen getroffen. Die Kassen sind leer, Besserung ist nicht in Sicht. Es ist kein Geld da.

Das sagt der Wirtschaftsexperte

Zu niedrige Tarifabschlüsse gefährden die wirtschaftliche Erholung.

Die Pandemie war zwar ein massiver Schock für die Wirtschaft, aber er dürfte sich als vorübergehend erweisen: Nach gängigen Prognosen wird 2022 das Vorkrisenniveau wieder erreicht, die Weltwirtschaft wächst auch dank aufgestauter Nachfrage ebenfalls kräftig. Mit etwas Verzögerung dürften sich auch die Staatseinnahmen erholen. Tatsächlich würden in dieser Situation zu niedrige Lohnabschlüsse oder Sparprogramme der öffentlichen Hand die Erholung gefährden, weil sie die Nachfrage in einer empfindlichen Phase der Erholung bremsen würden.
 

Das sagen die Arbeitgeber

Die hohe Staatsverschuldung zwingt uns zum Sparen.

Viele Jahre werden die öffentlichen Haushalte die Tilgung der Corona-Schulden stemmen müssen. Allein der NRW-Rettungsschirm hat einen Umfang von 25 Milliarden Euro. Bundesweit wird die Schuldenquote auf über 70 Prozent steigen. Die unabdingbare und volkswirtschaftlich sinnvolle Schuldenbremse zwingt uns zur Sparsamkeit.

Das sagt der Wirtschaftsexperte

Einen Sparzwang gibt es nicht – das Wirtschaftswachstum wird die Schuldenquote senken!

Die Schuldenquote von etwas mehr als 70 Prozent ist kein Problem für die deutsche Wirtschaft. Die meisten Industrieländer haben deutlich höhere Schuldenquoten. Auch in Deutschland lag die Quote nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 deutlich höher. Die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte ist dank sehr niedriger Zinsen so niedrig wie seit einem halben Jahrhundert nicht. Ohne große Sparprogramme wird absehbar die Schuldenquote allein durch das Wirtschaftswachstum wieder fallen. Es besteht hier also kein Handlungsdruck.

Das sagen die Arbeitgeber

Wer jetzt im öffentlichen Dienst mehr Gehalt will, ist maßlos.

In Tarifrunden begründen Gewerkschaften ihre Forderungen stets mit dem gesamtwirtschaftlichen Spielraum. Für den öffentlichen Dienst kann das nicht gelten. Die große Sicherheit des öffentlichen Dienstes – nicht zuletzt in der Pandemie – und die zugleich hohe Staatsverschuldung lassen Gehaltssteigerungen nicht zu und lassen sie maßlos wirken.

Das sagt der Wirtschaftsexperte

Ohne Tariferhöhungen ist die wirtschaftliche Stabilität gefährdet.

Für die gesamtwirtschaftliche Stabilität sollten die Löhne und Gehälter in der Wirtschaft insgesamt mit der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent plus dem trendmäßigen Produktivitätswachstum von einem Prozent steigen. Wenn ein großer Sektor wie der öffentliche Dienst von dieser Leitlinie nach unten abweicht, besteht die Gefahr, dass das zum Vorbild für den Rest der Wirtschaft wird, damit die Nachfrage geschwächt und so die konjunkturelle Erholung gefährdet wird. 

Das sagen die Arbeitgeber

Wir brauchen Investitionen statt dicker Sparkonten.

Beschäftigte legen höhere Entgelte eher auf die hohe Kante. Das hat schon die Pandemie bewiesen. Dadurch gibt es keinen positiven Effekt für die Wirtschaft. Wir brauchen aber vor allem Investitionen.

Das sagt der Wirtschaftsexperte

Wer Investitionen will, muss auch in Bildung und qualifiziertes Personal investieren.

Die Trennung aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nach „Investitionen“ in Bauen und Anlagen auf der einen Seite und Personalausgaben auf der anderen Seite als „konsumtiv“ ist überholt. Bildung etwa ist volkswirtschaftlich betrachtet eher eine Investition, weil sie Erträge in der Zukunft bringt. Beschäftigte in den Planungsämtern sind notwendig, um Investitionen umzusetzen. Schon heute ist es für die öffentliche Hand zunehmend schwierig, qualifiziertes Personal zu finden. Zurückhaltung bei den Entgelten verschärft dieses Problem.