lautstark. 05.10.2021

Mehr Rückhalt und Sichtbarkeit für queere Lehrkräfte

AntidiskriminierungQueer und DiversityAusbildungFortbildung

LSBTIQ* an Schulen

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an Schulen wird immer noch zu wenig umfassend berücksichtigt. Wir haben mit Bodo Busch von der AG LSBTI* der GEW NRW darüber gesprochen, was sich ändern muss, damit Vielfalt in Schule in allen Bereichen einbezogen wird, und wie queere Lehrkräfte unterstützt werden können – für sich und als Beispiel für Schüler*innen.

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  • Ausgabe: lautstark. 06/2021 | Gender und Diversity: Wen siehst du?
  • im Interview: Bodo Busch
  • Funktion: Mitglied in der AG LSBTI* der GEW NRW
  • Interview von: Vanessa Glaschke
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Nach einer Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus 2017 gehen nur 43,5 Prozent der LSBTIQ*-Lehrkräfte an ihren Schulen offen mit ihrer sexuellen Identität um. Was braucht es, damit sexuelle Vielfalt in Schule besser gelingt?

Bodo Busch: Meiner Meinung nach braucht es vor allem Sichtbarkeit und Rückhalt. Sichtbarkeit von LSBTI*-Personen im Schulprogramm, im Kollegium sowie in Unterrichtsmaterialien hilft allen, zeigt aber LSBTI*-Personen unter Lehrenden und Lernenden, dass sie nicht die Einzigen sind. Im Kollegium ist es natürlich schwerer vorstellbar, sichtbar zu werden, wenn sonst niemand sichtbar ist. Während unserer alljährlich im Rahmen des Veranstaltungsprogramms zum ColognePride angebotenen Kleingruppen Diskussionen für queere Kolleg*innen wird oft als Motiv für ein Sich-Zeigen thematisiert, wie hilfreich es für die eigene Entwicklung gewesen wäre, wären in jungen Jahren Beispielpersonen sichtbar gewesen. Und auch für erwachsene Kolleg*innen kann das Wissen eine Entlastung sein, nicht die einzige queere Person im Kollegium zu sein.

Rückhalt braucht es vor allem angesichts der häufigen Befürchtungen, wegen des Queerseins abgewertet oder gar angegriffen zu werden. Das fängt bei klarer Positionierung gegen Diskriminierung im Schulprogramm an und muss sich natürlich fortsetzen, wenn solche Befürchtungen sich im Einzelfall einmal bewahrheiten sollten. Dann braucht es klare Signale der Leitung, dass solche Abwertungen oder Angriffe nicht geduldet werden.

Die GEW fordert seit 2013, dass das Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften Pflichtthema wird. Welchen Stellenwert hat das Thema dort bislang und wo siehst du weiteren Handlungsbedarf?

Bodo Busch: Die erste Phase der Lehrkräfteausbildung findet an Hochschulen statt, an denen teilweise Zentren für Gender Studies eingerichtet sind. Aber es hängt von der jeweiligen Studienordnung ab, ob Veranstaltungen dieser Zentren im Rahmen der Lehrkräfteausbildung genutzt werden beziehungsweise die Institute eigene Veranstaltungen anbieten oder LSBTI*-Aspekte integrieren müssen. Das betrifft den pädagogischen, fachspezifischen und fachdidaktischen Teil des Studiums. Fachspezifisch bieten sich etwa Geschichte, Gesellschaftswissenschaft oder Literatur an, fachdidaktisch könnten LSBTI*-Aspekte beispielsweise bei der Konzeption von Materialien und Aufgaben oder bei der Sensibilisierung für Gruppeneinteilungen berücksichtigt werden. Ich frage mich, ob sich solche Pflichtteile beispielsweise bei der Akkreditierung der Studiengänge durchsetzen lassen.

Für die zweite Phase der Lehrkräfteausbildung sind zwei Zentren für schulpraktische Lehrkräfteausbildung (ZfsL), Hagen und Lüdenscheid, Kooperationen mit dem Programm „Schule der Vielfalt“ eingegangen, sodass es dort Angebote für die angehenden Lehrkräfte gibt. In Engelskirchen, Leverkusen und Köln gibt es aus Ressourcenmangel an Freistellung für „Schule der Vielfalt“ bisher nur einzelne Veranstaltungen. Die meisten ZfsL werden bisher jedoch nicht erreicht.

Es ist also sowohl in der ersten als auch in der zweiten Phase noch viel Luft nach oben: Notwendig wäre, dass LSBTI*-Aspekte verstärkt berücksichtigt und strukturell in die Ausbildung eingebunden werden.

Und welche Angebote zum Themenbereich sexuelle Vielfalt gibt es für Lehrkräfte nach ihrer Ausbildung?

Bodo Busch: Fortbildungen für ausgebildete Lehrkräfte, auch für Fach- und Seminarleitungen, bieten beispielsweise die Kompetenzteams Gender und Diversität der Bezirksregierungen an. Und auch das Netzwerk „Schule der Vielfalt“ richtet sich mit seinem Angebot „Gender and Queer Education“ an Beschäftigte im Bildungsbereich. Aber das sind gerade einmal erste Ansätze einer strukturellen Verankerung in der Fortbildung.

Wie unterstützt die GEW NRW LSBTIQ*-Lehrkräfte mit Beratung und Fortbildungen sowie beispielsweise bei Fragen zum Coming-out?

Bodo Busch: Zum einen gibt es die Veranstaltungen zum ColognePride. Dort tauschen wir uns zum Thema „Coming-out in der Schule!?“ mit queeren Kolleg*innen im geschützten Rahmen unter Gleichen ergebnisoffen aus. Zum anderen bieten auch drei über die GEW NRW organisierte Lehrkräftegruppen mit monatlichen Treffen im Raum Köln, im Münsterland und im Ruhrgebiet die Möglichkeit für Erfahrungsaustausch an. Seit dem Sommer finden diese Zusammenkünfte auch wieder vor Ort und nicht nur virtuell statt. Über NRW hinaus empfehlen wir die Bundestreffen der lesbischen* Lehrerinnen und der schwulen* Lehrer zu Himmelfahrt und Pfingsten in der Akademie Waldschlösschen.

LSBTIQ*-Lehrkräfte befürchten, wegen ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden. An wen können sie sich in solchen Fällen wenden und wie helfen Beschwerdestellen weiter?

Bodo Busch: Bei Schwierigkeiten bietet die AG LSBTI* der GEW NRW kollegiale Beratung – falls nötig, auch im Zusammenspiel mit der GEW-Rechtsberatung und GEW-Personalratsmitgliedern.

Beschwerdestellen der Arbeitgeber für Beschäftigte bei Benachteiligung und Belästigung werden zwar seit 2006 nach § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgeschrieben, wurden für NRW-Lehrkräfte aber erst 2020 auf den Internetauftritten von vier der fünf Bezirksregierungen veröffentlicht. Für Arnsberg haben wir noch keine Angabe finden können. Über diese Benennung hinaus haben wir noch keine Erfahrungen mit den Beschwerdestellen gemacht und raten, im Diskriminierungsfall die AG LSBTI*, spezialisierte Antidiskriminierungsberatungen wie „Vielfalt statt Gewalt“ und ein Personalratsmitglied des Vertrauens einzubeziehen. Beschwerden sind immer parallel über Beschwerdestelle und Personalrat möglich.