lautstark. 22.06.2021

Tarifrunde TV-L: GEW bereitet Arbeitskampf 2.0 vor

TarifrundeGehaltStreik

Tarifauseinandersetzung im Herbst 2021

Forderungsdisksussionen und die Mobilisierung der Kolleg*innen: Das sind bis Ende August die vorrangigen Themen der GEW, um sich auf die Tarifrunde im Herbst 2021 für die Beschäftigten der Länder (TV-L) vorzubereiten. Darüber und über die Argumente der Gegenseite haben wir mit GEW-Verhandlungsführer Daniel Merbitz gesprochen.

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  • Ausgabe:
  • im Interview: Daniel Merbitz
  • Funktion: GEW-Verhandlungsführer und Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der GEW
  • Interview von: Vanessa Glaschke
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Anfang Mai hat ein bundesweites Treffen der GEW zur Vorbereitung der Tarifrunde stattgefunden. Wer war daran beteiligt und was sind die Hauptergebnisse?

Daniel Merbitz: Wir haben uns beim Vorbereitungstreffen breit aufgestellt und neben unserer Bundestarifkommission auch Mitglieder von Fachgruppen und aus anderen Vorstandsbereichen eingeladen. Wir wollen in dieser schwierigen Tarifrunde frühzeitig möglichst viele Menschen einbinden. Deshalb waren die Präsentation und Diskussion erster Pläne für unsere bundesweite Kampagne ein wichtiges Thema unseres Treffens. Denn wir möchten mit unseren Forderungen gut sichtbar sein und allen Beschäftigten Lust machen, sich einzubringen.

In mehreren Arbeitsgruppen haben wir besprochen, wie wir die unterschiedlichen Beschäftigtengruppen einbeziehen können. Wie können wir zum Beispiel Beamt*innen, die kein Streikrecht haben, an der Tarifrunde beteiligen? Wie können wir die Kolleg*innen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst der Länder noch stärker einbeziehen und welche Themen beschäftigen die Lehrkräfte? Und wie können wir Kolleg*innen überhaupt für die Tarifrunde motivieren? Wir wollen neue Wege gehen, aber auch bewährte Strukturen erhalten und aktivieren, beispielsweise die Vertrauensleute.

Und natürlich haben wir die Forderungsdiskussion eröffnet. Jetzt heißt es: in den Landesverbänden debattieren, diskutieren, miteinander ins Gespräch kommen.

Und damit haben die Landesverbände, beispielsweise NRW, bereits begonnen: Kannst du zusammenfassen, worum es in diesen vorbereitenden Gesprächen geht?

Daniel Merbitz: In mehreren Landesverbänden gab es schon Veranstaltungen, bei denen diskutiert wurde, welche Forderungen wir erheben wollen und wo der Schuh aus Perspektive des jeweiligen Landes drückt. Dabei geht es von der Bezahlung über die Arbeitsbelastung bis hin zu vielen Detailfragen wie Streichungen bestimmter Protokollnotizen im Tarifvertrag Entgeltordnung für Lehrkräfte (TV EntgO-L). Und es geht auch um ganz konkrete Tarifforderungen nach Mindesteingruppierungen und linearer Entgelterhöhung. Aber wie gesagt: Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. In der Sitzung unserer Bundestarifkommission Ende August bündeln wir alles und beschließen die Forderungen.

Du hast gesagt, dass es eine schwierige Tarifrunde wird. Ist die Corona- Pandemie der Hauptgrund dafür?

Daniel Merbitz: Es könnte sein, dass es die schwierigste Tarifrunde seit fast 20 Jahren wird. Es gibt natürlich ein ganzes Bündel von Herausforderungen, aber an erster Stelle steht die Pandemie. Es ist nach wie vor sehr schwierig, in direkten Kontakt zu unseren Mitgliedern und den Beschäftigten zu kommen. Auch wissen wir noch nicht, in welchem Umfang überhaupt Kundgebungen und Versammlungen im Herbst durchführbar sein werden. Deshalb gehen wir mit den Landesverbänden neue Wege. Das digitale Format wurde und wird stärker eingesetzt – für Mitgliederversammlungen, Vertrauensleute-Runden und Tarifkonferenzen. Aber wir wissen auch, wie wichtig die persönlichen Begegnungen sind. Wir werden die Möglichkeiten dafür nutzen, soweit es die Umstände erlauben. Corona kann uns nicht stoppen! Wir organisieren gemeinsam den Arbeitskampf 2.0 und werden zeigen, dass wir auch unter schwierigen Bedingungen handlungsfähig sind.

Die Corona-Pandemie lässt Forderungen nach wertschätzender und gerechter Bezahlung dringender denn je in den Fokus rücken. Dennoch könnte es sein, dass das Ergebnis der Tarifrunde gerade wegen der Pandemie weniger rosig aussieht als gefordert. Auf welche Argumentation sollten sich die Tarifkämpfer*innen vonseiten der Arbeitgeber einstellen?

Daniel Merbitz: Wir werden auf Arbeitgeber – also die Landesregierungen und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) – und eifrige Politiker*innen treffen, die das Wort Schuldenbremse permanent im Munde haben und dabei nichts Gutes im Schilde führen werden. Dieses ökonomisch unsinnige und in Fachkreisen widerlegte finanzpolitische Instrument taugt nicht für eine nachhaltige Zukunft und erst recht nicht für eine effiziente Bewältigung der Pandemiefolgen. Die TdL wird – wie die kommunalen Arbeitgeber im letzten Jahr – die angeblich so sicheren Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ins Feld führen. Diese Argumentation erinnert mich fatal an das schwere Jahrzehnt nach der Wende bei uns im Osten, wo ich ursprünglich her stamme. Damals hieß es: Es sei kein Geld da, wir seien nur arme Nehmer-Länder und müssten doch Rücksicht nehmen. Wir sollten bitte an die Landeshaushalte denken. Ja, haben wir alles schon gehört. Dieser neoliberalen Rhetorik stellen wir Zusammenhalt, Miteinander und Fakten entgegen. Denn die Länder sind die Arbeitgeber mit der höchsten Befristungsquote. Eine prozyklische Lohnpolitik bremst die wirtschaftliche Erholung und vergrößert nur die Defizite.

Außerdem wird die TdL den Großkonflikt beim Thema Arbeitsvorgang suchen, also bei einem der relevanten Punkte, die die Regelungen der Eingruppierung beeinflussen. Ihr Ziel sind deutliche Verschlechterungen bei der Eingruppierung vieler Beschäftigter. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. Es wird also an dieser Stelle ein Abwehrkampf werden.

Welche Faktoren werden außerdem erschwerend hinzukommen?

Daniel Merbitz: Wir werden auch von den Eltern und der Öffentlichkeit Gegenwind bekommen, wenn wir wieder Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen bestreiken, die pandemiebedingt monatelang geschlossen waren. Und – dies gehört auch zur Lageeinschätzung – es ist kein Selbstläufer, dass unsere Mitglieder unserem Streikaufruf überhaupt folgen. Viele sind abgekämpft und ausgebrannt nach diesen anderthalb Jahren voller Extreme. Wir haben also nicht viele Freunde im Herbst. Außer die gute alte Vernunft. Denn es darf jetzt keinen Lohnknick geben. Wir brauchen eine starke Binnennachfrage sowie Wertschätzung und Anerkennung. Wir müssen die Attraktivität der pädagogischen Berufe steigern und dem Fachkräftemangel begegnen. Ein Baustein ist dabei natürlich eine gerechte Bezahlung. 

Wegen dieses Bündels an Herausforderungen muss klar sein, dass wir nichts geschenkt bekommen werden. Wir müssen das ehrlich kommunizieren: Nicht einen Cent wird es geben ohne Streiks. Das ist die Wahrheit. Doch wir nehmen diese Herausforderung an. Wir halten zusammen! Solidarität ist unsere Stärke!

Hintergrund

Mehr Attraktivität im öffentlichen Dienst: Fehlanzeige

Das Abschlussgespräch zwischen Landesregierung und Gewerkschaften über attraktivitätssteigernde Maßnahmen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist gescheitert. Unter anderem ging es dabei um Arbeitszeitreduzierung, Langzeitkonten und Verbesserungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Das, was nun im Rahmen der Attraktivitätsoffensive als Vorschlag vorliegt, ist für die Lehrkräfte in jeder Hinsicht enttäuschend. Es gibt weder eine Perspektive auf eine Verkürzung der Arbeitszeit noch auf eine verfassungsgemäße Bezahlung für alle Lehrämter im Eingangsamt. So wird der Fachkräftemangel nicht behoben“, bewertet die GEW-Vorsitzende Maike Finnern – zum Zeitpunkt des Gesprächs noch Vorsitzende der GEW NRW – das Ergebnis.

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