lautstark. 22.06.2021

Gesund arbeiten in Schule – auch in der Pandemie

Arbeits- und GesundheitsschutzCoronaBelastungEntlastungDigitale Ausstattung

Expert*innen der GEW NRW für Arbeits- und Gesundheitsschutz im Interview

Weit überhöhte Arbeitszeiten, eklatante Unterbesetzung und stetig wachsende Anforderungen durch das Land als Arbeitgeber – Harda Zerweck, Beate Damm und Uwe Schledorn kennen die Belastungen von Lehrkräften und Schulleitungen. Sie sind Fachleute der GEW NRW für Arbeits- und Gesundheitsschutz und unterstützen die Kolleg*innen vor Ort auch jetzt, in der Corona-Pandemie.

Download pdf | 4 mb
  • im Interview: Beate Damm | Harda Zerweck | Uwe Schledorn
  • Funktion: Expert*innen der GEW NRW für Arbeits- und Gesundheitsschutz
  • Interview von: Anja Heifel-Rohden
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die bestehenden Stressfaktoren?

Beate Damm: Die Anforderungen wurden weiter erhöht und die Belastungen sind nochmals enorm gestiegen. Die Hauptgefährdungen für die Gesundheit der Beschäftigten liegen in den Bereichen emotionale Belastungen, Work-Privacy-Conflict, Entgrenzung, quantitative Anforderungen, fehlende Erholungsmöglichkeiten, Präsentismus und der Unfähigkeit abzuschalten.

Welche neuen Stressfaktoren bringt der Distanzunterricht mit sich?

Uwe Schledorn: Den Kolleg*innen fehlt Vorbereitungszeit für die ständig geänderte Unterrichtsorganisation und für die neuen Aufgaben des digitalen Unterrichtens. Es gibt zwar umfangreiche digitale Fortbildungsinhalte, die aber in sehr kurzer Zeit bei gleichzeitiger Unterrichtsverpflichtung wahrgenommen werden müssen. Gleichzeitig fehlt die technische Ausrüstung: Kolleg*innen haben zum Beispiel nur ungeeignete digitale Endgeräte oder arbeiten an viel zu kleinen Bildschirmen. Die schulinternen Konzepte für den Distanzunterricht mussten in kurzer Zeit erstellt werden, inklusive der üblichen schulinternen Abstimmungsprozesse und der Information der Eltern. Dabei sind die Kolleg*innen in ständiger Sorge um die psychische und physische Gesundheit der Schüler*innen sowie um deren Lernfortschritte. Weiterhin sind sie ständig darum bemüht, die Schüler*innen in dieser Ausnahmesituation zu unterstützen.

Was konntet ihr als Referat Arbeits- und Gesundheitsschutz unternehmen, um einen besseren Schutz der Kolleg* innen zu erreichen?

Beate Damm: Das Referat hat die GEW NRW und ihre Personalrät*innen unterstützt bei der Analyse der COPSOQ*-Berichte und der Ableitung der erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der gesundheitlichen Gefährdungen. Zur Erinnerung: COPSOQ ist ein Fragebogen zur Erhebung der psychosozialen Belastung von Lehrkräften. Das Referat hat außerdem mitgewirkt an Informationen für die Beschäftigten, damit deren Recht auf Gesundheitsschutz beachtet wird und sie es auch selbst für sich einfordern können. In der Pandemie gehören dazu Schutzausrüstungen und Vorsorgeuntersuchungen wegen des Tragens von FFP2- Masken sowie Tests für Beschäftigte und Schüler*innen. Schwangere müssen vom Präsenzunterricht befreit werden – ohne Attestpflicht. Für kein Mitglied des Kollegiums darf es durch die Erteilung von Distanz- und Präsenzunterricht zu doppeltem Einsatz kommen. Darüber hinaus haben wir Checklisten zur Gefährdungsbeurteilung in der Corona- Pandemie mitentwickelt.

Außerdem bietet das Referat Schulungen für Mitglieder von Personal- und Lehrerräten an sowie Vorträge für die GEW vor Ort auf Anfrage.

Was muss im System Schule besser werden, damit – auch in Krisensituationen – gutes und gesundes Arbeiten möglich ist?

Harda Zerweck: Vor allem müssen mehr Lehrkräfte an den Schulen eingestellt werden. Die GEW setzt sich schon seit Langem für mehr Studienplätze ein. Zurzeit ist das besonders im Bereich der Lehrämter Grundschule und Sonderpädagogische Förderung nötig. Zur Überbrückung muss additiv qualifiziertes Personal unbefristet eingestellt werden. Solange ein Lehrkräftemangel herrscht, muss die Aufgabenmenge so verringert werden, dass sie ohne gesundheitliche Gefährdung leistbar ist. Der Arbeitgeber muss endlich die Arbeitsbedingungen ändern, statt wie bisher fast ausschließlich verhaltenspräventive Maßnahmen anzubieten.

Lehrkräfte brauchen uneingeschränkten Zugang zu Informationen für ihre Gesunderhaltung. Im Bildungsportal NRW des Schulministeriums sind diese jedoch häufig nur im geschützten Bereich zu finden. Lehrkräfte müssen zurzeit erst ihre Schulleitung um einen Code bitten, um zum Beispiel an Infos der B·A·D GmbH zur Verwendung von FFP2-Masken zu kommen.

Last, but not least: Die Zuständigkeiten im Arbeits- und Gesundheitsschutz auf den unterschiedlichen Ebenen müssen für ganz NRW eindeutig geregelt werden. Die Letztverantwortung für den Gesundheitsschutz der Lehrkräfte und Schulleitungen trägt das Land NRW als Arbeitgeber. Die Übertragung auf die Schulleitungen ist nachrangig und darf nur dann gelten, wenn diese Mittel und Entscheidungskompetenzen haben.

Die zweite Befragungsrunde mit COPSOQ ist in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Münster erfolgt. In den übrigen Bezirken wird die Erhebung noch durchgeführt. Wird die Belastung unter Corona dabei miterfasst?

Uwe Schledorn: Referat und Personalräte haben in Düsseldorf erreicht, dass der coronaspezifische Fragenteil verbessert wurde und die Schulen mehr Zeit für die Auswertung und Ableitung schulinterner Maßnahmen bekommen. COPSOQ ist ein geeignetes Instrument, um psychosoziale Belastungen zu erfassen und auch die erforderlichen Maßnahmen für bessere Rahmenbedingungen abzuleiten. Aber bisher hat das Schulministerium ausschließlich Maßnahmen zur Verhaltensprävention wie Rückenschulung, Resilienz und Stimmtraining angeboten. Solange das Land die schlechten Rahmenbedingungen unverändert lässt, ist das Recht der Lehrkräfte auf wirksamen Gesundheitsschutz gemäß Arbeitsschutzgesetz nicht erfüllt. Auch wenn Verantwortliche im Ministerium und Politiker*innen dies nicht hören wollen: Zum Stressabbau brauchen Lehrkräfte kleinere Klassen, zusätzliche Anrechnungsstunden und weniger Pflichtstunden!