lautstark. 22.06.2021

Das Geschäft mit der Resilienz

Arbeits- und GesundheitsschutzBelastungEntlastung

Kritischer Blick auf den Hype

Die persönliche Widerstandskraft verbessern. Das psychische Immunsystem stärken. Belastung in positive Energie verwandeln. Resilienztrainings liegen im Trend und versprechen viel. Doch Erziehungswissenschaftlerin Eva Borst warnt davor,der neoliberalen Umdeutung von Resilienz auf den Leim zu gehen.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2021 | Stress und Achtsamkeit: Jetzt mal langsam!
  • Autor*in: Prof. Dr. Eva Borst
  • Funktion: Erziehungswissenschaftlerin
Min.

Resilienz ist auf dem Markt der Wohlfühlindustrie zu einem Versprechen mit ungewissem Ausgang geworden. Denn ob es tatsächlich gelingen kann, resilient gegen aktuelle oder zukünftige individuelle und gesellschaftliche Risiken zu werden, ist fraglich angesichts der Tatsache, dass der Begriff ursprünglich von der Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner stammt und den Zustand nach einem erlittenen Trauma beschreibt. Resilienz bedeutet psychische Widerstandsfähigkeit, die nach Emmy E. Werner unter Umständen nach einem Trauma eintreten kann, aber nicht muss. Nur etwa ein Drittel aller von ihr in den 1970er- und 1980er-Jahren untersuchten Kinder und Jugendlichen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung durch schwere Gewalterfahrungen unterschiedlicher Art waren in der Lage, mit den daraus resultierenden Konflikten so umzugehen, dass sie die Kontrolle über ihr Leben zurückgewannen. Ein Faktor dabei war die beharrliche Zuwendung einer oder mehrerer vertrauensvoller Personen.

Zumal Resilienz nicht unbedingt ein Leben lang andauert, ist das Versprechen auf Heilung oder gar die Bewahrung vor zukünftigem Unheil mit Vorsicht zu genießen. „In sieben Schritten zur Resilienz“ jedenfalls ist eine allzu eilfertige Werbung gegen etwas, das uns Pein bereitet und schon vor seinem Eintritt verhindert werden soll.

Zweifelhafter Selbstoptimierungshype

Der inflationäre Gebrauch des Begriffs ist vor allem dem Trend nach Effizienz und Optimierung in Schule und Beruf geschuldet. Denn wer möchte nicht zu denen zählen, die immer gut drauf sind und alles mit Leichtigkeit bewältigen? Der aktuelle Hype um Resilienz freilich ist gefährlich, weil er suggeriert, es käme allein auf uns selbst an, etwas zu verändern.

Was dabei aus dem Blick gerät sind Faktoren, die wir subjektiv nur sehr schwer zu beeinflussen vermögen, weil sie gesellschaftlichen Ursprungs sind und unser aller Leben nachhaltig beeinflussen. Ungerechtfertigte gesellschaftliche Bedingungen, die eigentlich einen sichtbaren politischen Widerstand erfordern würden, bleiben dabei außen vor. Ihre Lösung wird in die Verantwortung des Individuums gelegt, dem nur noch bleibt, seine Psyche so weit zu manipulieren, dass sie sich an die äußeren Umstände anpassen kann. Ein selbstbestimmtes Selbst, das zuweilen auch Eigenwilligkeiten entwickelt, die nicht mit den erwünschten gesellschaftlichen Verhaltensweisen übereinstimmen, geht so verloren. Nach dem Motto „Jeder ist seines Glückes Schmied“ nimmt die ohnehin schon zu beobachtende Vereinzelung der Menschen zu.

Resilienz als neoliberales Herrschaftsmittel

Was aber heißt das für das soziale Gefüge? Zunächst: Wir leben in einem neoliberalen Gesellschaftssystem, in dem Konkurrenz und Wettbewerb die vorherrschenden Erfolgsrezepte sind. Zweitens: Der Neoliberalismus ist bekannt dafür, dass er kein Verständnis für ein solidarisches Gemeinwesen aufbringt, profitorientiert arbeitet, partikulare Interessen bedient und stets Gewinnende und Verlierende hervorbringt. Angesichts dessen ist es äußerst komfortabel, schon beizeiten die Menschen auf zukünftige Bedrohungen vorzubereiten und ihnen nahezulegen, mit Resilienzkompetenz könnten sie besser als andere den Alltag bewältigen. So ist auch die Erziehungswissenschaft in Teilen bereit, sich für die Resilienzförderung auszusprechen, statt die kritische Urteilskraft von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Ein solchermaßen verstandener Resilienzbegriff ist ein Herrschaftsmittel, um nicht nur Kritikfähigkeit stillzustellen und gemeinwohlorientierte Solidarität zu unterbinden, sondern auch den Zugang zu den eigenen Verletzlichkeiten zu verhindern. Im Grunde geht es um Marktgängigkeit, die Schwächen nicht erlaubt.

Nichtsdestoweniger hat der Begriff der Resilienz dort seine Berechtigung, wo es um Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen und den daraus resultierenden Konflikten geht. Nicht aber ist er geeignet, präventiv auf potenzielle psychische Belastbarkeiten vorzubereiten.