lautstark. 17.06.2020

Hochschule und Corona: „Aus der Komfortzone geschubst“

CoronaDigitalität im UnterrichtHochschullehreWissenschaft und Forschung

Erfahrungen einer Dozentin mit der Online-Lehre

Das erste digitale Sommersemester an den Hochschulen in NRW ist fast um. Für viele Dozierende war die Umstellung von der klassischen Präsenz- auf die reine Onlinelehre ein Sprung ins kalte Wasser. Dr. Ann Marie Krewer, Lehrkraft für besondere Aufgaben und Leiterin des Institutes SO.CON an der Hochschule Niederrhein, erzählt im Interview, wie sie die Umstellung auf die Distanzlehre erlebt hat.

Download pdf | 3 mb
  • Ausgabe: lautstark. 04/2020 | Gemeinsam durch die Krise
  • im Interview: Ann Marie Krewer
  • Funktion: Lehrkraft für besondere Aufgaben
  • Interview von: Denise Heidenreich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Statt Präsenzlehre war auch an der Hochschule Niederrhein plötzlich Online-Lehre angesagt. Wie haben Sie persönlich diese Umstellung erlebt?

Ann Marie Krewer: Ganz klar, ich wurde aus meiner Komfortzone geschubst – der Gedanke, jetzt innerhalb von kurzer Zeit meine Lehre komplett online zu organisieren, war schon herausfordernd für mich. Ich gebe es ehrlich zu: Vor der Corona-Situation habe ich mich nur wenig mit digitalen Unterrichtsmöglichkeiten beschäftigt. An unserer Hochschule nutzen wir zwar schon länger die Lernplattform Moodle, bisher habe ich diese aber eher als Ergänzung angesehen – beispielsweise damit Studierende dort Arbeitsergebnisse hochladen können, um zusammen ein Glossar zu erstellen, sodass wir eine gemeinsame Seminardokumentation haben.

Ein Blick auf Ihre Lehre – wie sieht diese zurzeit aus?

Ann Marie Krewer: Ich nutze das Video-Konferenzsystem Zoom als Raum für meine Veranstaltung „Soziale Ungleichheit aus der Genderperspektive“. Dort erkläre ich die Inhalte und die Studierenden können Fragen stellen. Auch die Möglichkeit, alle Teilnehmer*innen in kleine Gruppen zu unterteilen, wende ich gerne an, um den interaktiven Austausch zu fördern. Dazu setze ich Moodle als Arbeitsplattform ein. Es ist mir wichtig, einen guten Mix aus synchronen und asynchronen Arbeitseinheiten hinzukriegen, sodass auch Studierende, die aufgrund der aktuellen Situation nur eingeschränkt an den Online-Veranstaltungen teilnehmen können, die Inhalte und Aufgaben zu gegebener Zeit erarbeiten können.

Wurden Sie bei der Umstellung durch Ihre Hochschule unterstützt?

Ann Marie Krewer: Ja, sehr gut sogar – ich habe mich zu keinem Zeitpunkt allein gelassen gefühlt. Wir haben zum Beispiel anfangs versucht, mit Adobe Connect zu arbeiten, das hat aber überhaupt nicht funktioniert, weil das Programm ständig zusammengebrochen ist. Deshalb haben wir schnell auf Zoom umgeschwenkt und wurden pünktlich zum Semesterbeginn mit eigenen Hochschul-Lizenzen ausgestattet. Es gab viele Seminare, in denen wir die Grundlagen lernen konnten und auch jetzt finden immer wieder kleinere Veranstaltungen statt, in denen Lehrende, die schon intensivere Erfahrungen gesammelt haben, diese an andere weitergeben. Auch zu Moodle gab es vielfältige Unterstützung, um sich tiefer einzuarbeiten.

Wie hat sich die Vorbereitung Ihrer Arbeit verändert?

Ann Marie Krewer: Gerade am Anfang war es schon ein höherer Arbeitsaufwand. Ich habe eine sehr interaktive Lehrveranstaltung, die den Austausch und die Diskussion der Studierenden erfordert. Dazu gehören zum Beispiel Aufstellungsübungen oder Bilder beziehungsweise Poster, die in Gruppenarbeit gemeinsam erstellt werden sollen. Aber ich habe mich der Aufgabe gestellt und die Inhalte so umstrukturiert, dass es für eine digitale Veranstaltung passt. Im Unterschied zu einem Präsenzseminar, in dem sich vieles auch ungeplant entwickeln kann, muss ich noch stärker auf die Struktur achten. Jede einzelne Viertelstunde ist jetzt durchgeplant und es ist ganz wichtig, genau zu wissen, wann ich welches Dokument einsetze.

Welche Hürden sehen Sie bei der Distanzlehre?

Ann Marie Krewer: Ich finde es anstrengender, die ganze Zeit am Bildschirm zu sitzen als mich durch einen echten Raum zu bewegen. Also beschäftige ich mich damit, welche auflockernden Elemente ich einbauen kann. Zudem sind die Studierenden viel stärker auf mich als Lehrende fokussiert, wenn sich die Studierenden in der Runde gegenübersitzen, kommen sie viel schneller miteinander ins Gespräch. Wobei hier auch eine Entwicklung stattfindet: Jetzt, nach einigen Wochen, beginnen sie langsam auch untereinander auf Wortbeiträge zu reagieren, aber ich muss immer noch viel mehr Input geben und Impulse setzen. Außerdem fehlen mir die Mimik und Gestik der Teilnehmer*innen sowie die Resonanz.

Unterm Strich: Werden Sie auch nach Corona an digitaler Lehre festhalten?

Ann Marie Krewer: Ich denke, ich werde auch zukünftig einen 50:50-Mix aus Präsenz- und Onlinelehre umsetzen, um so das Beste aus beiden Bereichen miteinander verbinden zu können. Ich möchte auf jeden Fall die Möglichkeit des asynchronen Arbeitens viel stärker als früher miteinbauen – Tests, Quizze, „Fill in the blank“-Texte oder Gruppenarbeiten über die Moodle-Plattform.