lautstark. 09.06.2022

Was bringt der neue TVöD in der Praxis?

TarifrundeGehaltSozial- und Erziehungsdienst

Tarifeinigung für den Sozial- und Erziehungsdienst

Aufwertung und Entlastung waren die Schlüsselwörter in den Verhandlungen für den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst Bund und Kommunen (TVöD) im Frühjahr 2022. Wir fassen zusammen, was das Ergebnis in der Praxis bedeutet.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2022 | Besser arbeiten: Arbeitsplatz Bildung attraktiver machen
  • Autor*in: Sherin Krüger
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
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Mehr Einkommen

Die Entgeltgruppen S 2 bis S 11a erhalten ab 1. Juli 2022 eine Zulage von monatlich 130 Euro – davon profitieren Beschäftigte in Erziehungsberufen wie Erzieher*innen und Kinderpfleger*innen. Die Entgeltgruppen S 11b bis S 12 sowie S 14 und S 15 (Fallgruppe 6) bekommen monatlich 180 Euro mehr – dazu zählen unter anderem Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen. Ausbilder*innen erhalten ein Plus von 70 Euro pro Monat, wenn die Praxisanleitung mindestens 15 Prozent ihrer Gesamttätigkeit ausmacht.

Angelika Brodesser ist frisch gewähltes Mitglied im Leitungsteam des Referats Jugendhilfe und Sozialarbeit der GEW NRW. Sie meint: „Die jeweiligen Zulagen sind eine sinnvolle Anerkennung. Diese Anerkennung gerät jedoch schnell in Vergessenheit, wenn Kolleg*innen dann doch alleine eine Gruppe betreuen oder für die Anleitung von Auszubildenden kaum Zeit bleibt.“

Mehr Regeneration

Zu 30 Kalendertagen Urlaub im Jahr kommen im neuen TVöD ab sofort für alle Beschäftigten zwei Entlastungstage on top. Zwei weitere gibt’s – wenn gewünscht – bei der Teilumwandlung der monatlichen Zulage. Alle Beschäftigten, für die der TVöD mit der S-Tabelle gilt, profitieren von der neuen Regelung.

Daniel Merbitz ist GEW-Verhandlungsführer und nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht, dem Fachkräftemangel weiter entgegenzuwirken. Er meint: „Die zusätzlichen Entlastungstage dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.“

Mehr Zeit

In NRW standen Beschäftigten im Erziehungsdienst bisher 19,5 Stunden pro Jahr zur Qualifizierung und Vorbereitung zur Verfügung. Mit dem neuen TVöD sind es jetzt 30 Stunden, die sie für ihre pädagogische Arbeit nutzen können.

Stefan Raffelsieper ist Erzieher in Bonn und freut sich nur mäßig über das Tarifergebnis. Er sagt dazu: „Dass wir nun mehr Zeit für pädagogische Arbeit haben, klingt erst einmal toll. Der Tarifvertrag definiert aber nicht, welche Aufgaben zur Qualifizierung und Vorbereitung gehören. Die Träger zählen in der Praxis gern sämtliche tagesaktuelle Organisation, Elterngespräche oder Teamsitzungen dazu. Für all das sind 35 Minuten in der Woche viel zu wenig. Erzieher*innen müssen also weiterhin ihre Mittagspause opfern, um den Betrieb am Laufen zu halten.“

Mehr Karrierechancen

Ab 2024 können Beschäftigte in der S-Tabelle schneller aufsteigen. Die Stufenlaufzeiten werden kürzer und eine höhere Eingruppierung wird erleichtert. Die Aufstiegsmöglichkeiten orientieren sich an neu formulierten Merkmalen der einzelnen Berufsgruppen.

Was fehlt in den Ergebnissen?

Die Platzanzahl in der jeweiligen Einrichtung ist nach wie vor maßgeblich für die Eingruppierung von Kitaleitungen. Werden weniger Kinder aufgenommen, weil es beispielsweise mehr Kinder mit Förderbedarf in einer Gruppe gibt, sinkt ihr Einkommen. Die GEW möchte erreichen, dass Leitungen und ihre Stellvertreter*innen nach ihren Aufgaben und Kompetenzen bezahlt werden. Das ist in dieser Tarifrunde noch nicht gelungen; allerdings wurde das Risiko einer Herabgruppierung durch eine Neuregelung gesenkt.

Nach 30 Jahren Wiedervereinigung passt für die GEW die Unterscheidung bei den Stunden für Qualifizierung und Vorbereitung zwischen Ost und West nicht zusammen. Die separaten Regelungen könnten im TVöD vereinheitlicht werden.

Eine berechtigte Forderung der Beschäftigten sind kleinere Gruppen, die für mehr Entlastung sorgen würden. Die Gruppengröße und der Betreuungsschlüssel in Kitas sind allerdings nicht im Tarifvertrag geregelt, sondern in 16 Landesgesetzen. Die GEW kämpft weiter für eine einheitliche Regelung im TVöD und bis dahin macht sie sich auf Landesebene für kleinere Gruppen stark.

Regelungen für Leitungen im Ganztag und Schulassistenzen wurden in den Tarifverhandlungen 2022 nicht besprochen, es besteht aber die Zusage für die nächste Runde im Jahr 2026.

Und wie geht es weiter?

Die jetzt erzielte Einigung hat eine Laufzeit von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2026. Allerdings war die Verhandlungsrunde im Frühjahr 2022 eine außerordentliche, sodass die nächste schon im Januar 2023 startet. Dann sind alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen von den Tarifverhandlungen betroffen und können von den Ergebnissen profitieren. Die Entgelttabellen sind zum 31. Dezember 2022 kündbar.

Schon Anfang 2023 können wir für noch mehr Aufwertung und Entlastung gemeinsam auf die Straße gehen!