lautstark. 09.06.2022

Das fordert die GEW NRW von der neuen Landesregierung

ChancengleichheitBildungsfinanzierungSozial- und ErziehungsdienstLehrkräftemangelFachkräftemangelJA13Weiterbildung

Gute Bildung beginnt mit guter Arbeit

Wer Menschen für den Arbeitsplatz Bildung gewinnen will, muss für gute Bedingungen sorgen – von der Kita bis zur Erwachsenenbildung. Bildung muss deshalb für die neue Landesregierung oberste Priorität haben, fordert Ayla Çelik, Vorsitzende der GEW NRW. Die Hausaufgaben für die schwarz-grüne Koalition stehen bereits fest.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2022 | Besser arbeiten: Arbeitsplatz Bildung attraktiver machen
  • Autor*in: Ayla Çelik
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Wir müssen in NRW endlich zu einer Politik kommen, die Bildung Vorfahrt einräumt, anständige Rahmenbedingungen schafft und über Chancengleichheit in der Bildung nicht nur redet, sondern sie auch umsetzt. Bildungschancen sind Lebenschancen, deshalb müssen sie handlungsleitend sein! Bildung muss endlich raus aus dem Krisenmodus. Die Folgen jahrelanger Einsparungen und chronischer Unterfinanzierung der öffentlichen Bildung sind in der Corona-Pandemie den Beschäftigten und den Kindern und Jugendlichen auf die Füße gefallen. Jetzt müssen Investitionen in die öffentliche Bildung erfolgen, um zum einen die Kinder im schulischen Umfeld zu fördern und zum anderen den Beschäftigten die Rahmenbedingungen zu bieten, ihrem Auftrag bestmöglich gerecht zu werden.

In den Bildungsstandort NRW investieren

In der Pandemie und besonders in der Vorwahlkampfphase der NRW-Landtagswahl im Mai 2022 haben politische Akteur*innen ein für sie neues Thema entdeckt: gleiche Bildungschancen. Dabei ist die Frage danach seit Jahrzehnten die zentrale bildungspolitische Frage! Spätestens mit den Ergebnissen von PISA 2000 hätte es selbst für die letzten, die glaubten, das deutsche Bildungswesen fördere sozialen Aufstieg, klar sein müssen: Das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung ist eine Illusion, darf aber keine bleiben.

Das Bildungssystem steht vor einer notwendigen Transformation, die wir als GEW NRW mitgestalten wollen. Wir fordern von der neuen Landesregierung eine Trendwende, den notwendigen Neustart, damit unsere Bildungseinrichtungen nicht länger Bildungsbenachteiligung verwalten, nicht das Misslingen dokumentieren, sondern zu Orten werden, wo das Gelingen organisiert wird.

Daher erwarte ich von der Landesregierung, dass sie alles dafür tun wird, um Nordrhein-Westfalen fit für die Zukunft zu machen. Dazu gehört, dass systemrelevante Berufe endlich wertgeschätzt werden. Dazu gehört, dass wir die Menschen in diesen Berufen entlasten, dass wir diese Berufe (auch finanziell) attraktiver gestalten und die Arbeitsbedingungen deutlich verbessern. Als Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft fordere ich, dass endlich in Bildung, endlich in die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen investiert wird. Transformation und den strukturellen Wandel in NRW gelingend gestalten bedeutet Investitionen in einen guten Bildungsstandort NRW.

Was Eltern, Kitakinder, Schüler*innen, Erzieher*innen, Lehrkräfte und andere Beschäftigte im Bildungswesen brauchen und erwarten, sind systemische Verbesserungen und Investitionen in die öffentliche Bildung, damit die Bildungseinrichtungen tatsächlich den Aufstieg durch Bildung möglich machen und die Beschäftigten nicht länger den Mangel verwalten!

Damit gute Bildung eine Chance hat, wird es höchste Zeit, dass die neue Landesregierung ihre Hausaufgaben erledigt.

Fachkräftemangel bekämpfen, Entlastung schaffen

Ob in der Kita oder der Schule: Der Personalmangel ist das größte Problem. Gebraucht wird eine Gesamtkonzeption, die kurz- und mittelfristige Lösungen beinhaltet, schnelle Entlastungen vorsieht und so den Rahmen für eine gute Bildung in NRW bildet.

In der Grundschule, den Schulformen der Sekundarstufe I, in der sonderpädagogischen Förderung und im MINT-Bereich des Berufskollegs wird der Personalmangel zum Beginn des Schuljahres 2022 / 2023 allen Prognosen zufolge gravierend sein. Da zum neuen Schuljahr zusätzlich circa 40.000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in NRW beschult werden müssen, wird sich die Personalnot kurzfristig weiter verschärfen. Besonders gravierend ist die Personalnot an Grundschulen in sozial benachteiligten Stadtteilen; die soziale Kluft vergrößert sich dort aktuell dramatisch.

Und wie steht es um den Nachwuchs im Bildungssektor? Die grundständige Lehrer*innenausbildung an den Universitäten entwickelt sich krisenhaft: Die Zahl der Absolvent*innen ist in den vergangenen zehn Jahren immer weiter zurückgegangen; gleichzeitig ist die Zahl der Studienabbrüche hoch. Was kann und muss die Landesregierung vor diesem Hintergrund gegen den Lehrkräftemangel tun? Die GEW NRW fordert folgende kurzfristig wirksame Maßnahmen:

  • Stärkung multiprofessioneller Teams an allen Schulen, insbesondere an Grundschulen
  • vom Land finanzierte Verwaltungsassistenzen an jeder Schule, um Lehrkräfte deutlich von Verwaltungsarbeit zu entlasten
  • mehr Stellen für Lehrer*innen und andere pädagogisch Beschäftigte an die Schulen geben, damit sie die Stellen ausschreiben und die schulspezifischen Bedarfe besser gedeckt werden können
  • eine (Nach-)Qualifizierung von Seiteneinsteiger*innen
  • ein vollständig besetztes Sekretariat auch für kleine Schulen

Um dem Lehrkräftemangel langfristig etwas entgegenzusetzen, fordert die Bildungsgewerkschaft:

  • eine weitere deutliche Erhöhung der Studienkapazitäten für Grundschulen und sonderpädagogische Förderung
  • verstärkte Anstrengungen zur Vermeidung von Studienabbrüchen, unter anderem durch Ausbau der Beratungs- und Betreuungsinfrastruktur
  • Einfachlehrämter für den MINT-Bereich, um den Seiteneinstieg bei Gewährleistung der vollen Lehramtsbefähigung zu ermöglichen
  • berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen sowie Coaching für Seiteneinsteiger*innen in den ersten zwei Berufsjahren
  • eine verbesserte Berufseinstiegsphase für alle neu eingestellten Lehrer*innen

Gute Arbeit gerecht bezahlen: JA 13 und mehr

Die GEW NRW erwartet von der neuen Landesregierung, dass sie die besoldungsrechtlichen Konsequenzen aus der Lehrerausbildungsreform des Jahres 2009 zieht, nach der alle Lehrämter gleichwertig sind. Deshalb muss als Einstiegsbesoldung beziehungsweise -vergütung endlich mit A 13Z beziehungsweise EG 13 für alle eingeführt werden! Natürlich muss die Korrektur aufgrund der Einführung gleichwertiger Lehrämter Folgen für die Besoldungsstruktur haben, um das Abstandsgebot einzuhalten.

Daneben müssen weitere ungeklärte Fragen im Bereich Besoldung und Bezahlung angegangen werden:

Im Laufe der Legislaturperiode muss die Bezahlung der Werkstattlehrer*innen, die vornehmlich am Berufskolleg beschäftigt sind, und die der Fachlehrer*innen, die vornehmlich in der sonderpädagogischen Förderung arbeiten, neu geregelt werden. Eine Eingangsbesoldung nach A10 ist nach der derzeitigen Rechtslage möglich und der aktuellen Ausbildungs- und Aufgabenbeschreibung angemessen.

Die Besoldungsstruktur in der Lehrer*innenausbildung muss reformiert werden, zum Beispiel durch die Einführung eines Beförderungsamtes für Fachleiter*innen im Bereich der Grundschule und der Sekundarstufe I.

Ungleiches ungleich behandeln

Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist die Achillesferse der nordrhein-westfälischen Schul- und Bildungspolitik. Eine schlichte Ausweitung des Talentschulversuchs ist nicht zielführend. Der methodische Ansatz des neuen Sozialindexes muss weiterentwickelt werden. Entscheidend ist, dass mehr Stellen und tatsächlich mehr Personal an Schulen an „schwierigen“ Standorten landen. Zusätzliche Stellen müssen eindeutig beziehungsweise ausschließlich zum Ausgleich besonderer Lagen der Schulen zur Verfügung gestellt werden.

Noch mehr Baustellen in der Schulpolitik

  • Ein neues System der Schulfinanzierung muss im Laufe der Legislaturperiode verabredet sein.
  • Eine Reform der Schulaufsicht ist erforderlich. Der bisherige Diskussionsprozess diente primär der Problembeschreibung, eine Reformbereitschaft war leider nicht erkennbar.
  • Eine Nachsteuerung bei der Digitalisierung ist zwingend: Fehlender Support, mangelnde Leistungsfähigkeit von LOGINEO, Unklarheit über die Verstetigung der erfolgten Investitionen, Zuständigkeitschaos, ungeeignete Endgeräte – die Probleme sind der Landesregierung bekannt.
  • Die Anrechnungsstunden müssen erhöht, die Leitungszeit muss verbessert werden.
  • Um den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz gut umsetzen zu können, muss die Offene Ganztagsschule zu einer tatsächlichen Bildungseinrichtung weiterentwickelt werden.
  • Wir brauchen eine Reform des Einschulungsalters; der Stichtag muss (wieder) vorgezogen werden.
  • Die neue Landesregierung muss das sogenannte heimliche Schulgeld reduzieren. Gemeint sind damit Kosten, die Eltern beispielsweise für privaten Nachhilfeunterricht bezahlen.
  • Das Fach Sozialwissenschaften muss wieder eingeführt werden. Gegen seine Abschaffung hatte die GEW NRW mit der Kampagne „#SowiBleibt“ protestiert.

Beste Bildung für die Kleinsten

  • Der Personalschlüssel für pädagogisches Personal muss verbessert werden.
  • Verwaltungsstellen und Hauswirtschaftskräfte in den Kitas müssen finanziert werden.
  • Die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) mus ausgebaut und weiterentwickelt werden. Die ausbildenden Kitas brauchen eine bessere Unterstützung.

Hochschulpolitik: Arbeiten mit Perspektive ermöglichen

  • Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene muss die Politik alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Befristungspraxis an den Hochschulen einzudämmen.
  • Die Arbeitssituation studentischer und wissenschaftlicher Hilfskräfte muss verbessert werden. Die GEW NRW macht sich in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder stark für einen eigenen Tarifvertrag für diese Beschäftigtengruppe: den TV Stud.

Finanzierung der Weiterbildung sichern

  • Die dauerhafte Dynamisierung der Finanzierung für die gemeinwohlorientierte Weiterbildung muss im reformierten Weiterbildungsgesetz festgeschrieben werden.
  • Die neue Landesregierung muss dringend alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um die prekäre Beschäftigung in der Weiterbildung zu reduzieren.
  • Der Innovationsfonds muss mit Blick auf Förderdauer, Förderumfang und Eigenanteil neu geregelt werden.