lautstark. 29.04.2021

Studieren in der Corona-Pandemie

ChancengleichheitWissenschaft und ForschungAusbildungCoronaDigitale Ausstattung

Die Schuldenberge wachsen

Die finanzielle Situation vieler Studierenden hat sich in der Corona-Krise zugespitzt. Nicht bei allen können die Eltern einspringen: Wer aus sozial schwächeren Verhältnissen kommt, droht durchs Raster zu fallen.

Download pdf | 3 mb
  • Ausgabe: lautstark. 03/2021 | Arm und Reich: Schieflagen ausgleichen
  • Autor*in: Nadine Emmerich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Sozialberaterin Antje Westhues hat bereits drei Studierende betreut, die Privatinsolvenz beantragen mussten. Die Schulden von Student*innen, mit denen die AStA-Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum derzeit zu tun hat, gehen teils bis in den fünfstelligen Bereich. „Im Durchschnitt sind es rund 5.000 Euro“, sagt sie. „Viele überziehen ihre Kreditkarten bis zum Limit.“

Mit der Corona-Pandemie und dem ersten Lockdown erhöhte sich das Arbeitspensum in der AStA-Sozialberatung. Das lässt sich in genauen Zahlen messen: Die Zahl der Studierenden, die bei Antje Westhues Anträge auf Übernahme des Sozialbeitrags stellen, steigt. Für das Sommersemester 2021 liegen rund 200 Anträge vor, vor Corona waren es in der Regel 160 bis 180.

Dass die Pandemie soziale Ungleichheiten verschärft, hat sich längst gezeigt. Diese Entwicklung macht auch vor den Hochschulen nicht halt – auch wenn sich konkrete Vergleiche zwischen ärmeren und reicheren Studierenden schwer formulieren lassen. „Die Reichen kommen ja nicht zu uns“, sagt Antje Westhues. Was sich indes sagen lässt: Für diejenigen, die schon vorher gerade so zurechtkamen, wird es existenzbedrohend. Studierende, die nach Abzug von Miete und Krankenversicherung komplett blank sind, verweist die Sozialberaterin auch an die Bochumer Tafel.

Auch Katharina Pohlschmidt, Sozialreferentin an der Universität Duisburg-Essen, hat seit Beginn der Pandemie deutlich mehr zu tun: „Früher haben wir im Härtefallausschuss 40 Anträge im Monat bearbeitet, jetzt sind es 60 pro Woche“, erzählt sie. Die Gründe für die Finanznöte sind bekannt: Viele Studierende arbeiteten vor der Pandemie in der Gastronomie und verloren mit dem Lockdown ihre Jobs. BAföG beziehen nach Angaben der GEW ohnehin nur noch rund elf Prozent der Studierenden.

Bei Sebastian Flack von der AStA-Lebensberatung an der Ruhr-Uni Bochum ging es im vergangenen Jahr in fast jedem Gespräch um Geldsorgen. „Bei einigen gibt es sehr große Ängste. Ich kenne jemanden, der hat sich deswegen monatelang quasi eingeschlossen.“ Er beobachtet zudem: Akademiker*innenkinder würden von ihren Eltern oft insgesamt mehr unterstützt, nicht nur finanziell. „Da gibt es ein ganz anderes Verständnis von Bildung.“

Geld für Technik fehlt

Unterschiede mit Blick auf den Geldbeutel der Studierenden werden Katharina Pohlschmidt zufolge auch an anderer Stelle deutlich: Als die Hochschulen auf digitale Lehre umstellten, zeigte sich, dass viele Studierende technisch dazu gar nicht ausreichend ausgestattet waren. Eine Umfrage der Universität Duisburg-Essen im Sommersemester 2020 ergab: Jeder beziehunsgweise jedem Fünften fehlte mindestens ein Gerät, um die studienbedingten Aufgaben erledigen zu können – und das Geld, diese Technik anzuschaffen.

Als Reaktion auf die Umfrageergebnisse startete die Universität Duisburg-Essen einen Laptopverleih, über den 63 Geräte zur Verfügung stehen. „Im Wintersemester wurden so gut wie alle Geräte ausgeliehen“, sagt Katharina Pohlschmidt. „In Anbetracht der aktuellen Antragslage gehen wir davon aus, dass die Anzahl im Sommersemester nicht ausreichen wird.“

Zwar gibt es Unterstützung und staatliche Hilfen auch für Studierende. So wurde mit der Verlängerung der Regelstudienzeit die BAföG-Förderungsdauer ausgeweitet, es kann eine Überbrückungshilfe von bis zu 500 Euro monatlich beantragt werden und öffentliche Institutionen gewähren Übergangskredite. Die GEW NRW kritisiert diese Angebote jedoch als unzureichend. 

„Die BAföG-Verlängerung hilft nur denen, die auch BAföG bekommen“, bemängelt Jugendbildungsreferentin Anna Cannavo – also wenigen. Kredite machten die finanzielle Notlage nur noch gravierender: „Man ist noch nicht im Berufsleben angekommen und hat schon einen großen Schuldenberg.“ Die Überbrückungshilfe sei relativ niedrig und müsse jeden Monat neu beantragt werden. Dazu müsse wieder und wieder belegt werden, dass das Konto leer sei. „Das sind unfassbar große Hürden.“

Anna Cannavo schätzt, dass sich finanzielle Unterschiede zwischen Studierenden nach der Pandemie noch verschärfen könnten, sollten sich digitale Formate an den Hochschulen etablieren. „Wer sich kein vernünftiges Endgerät leisten kann, wird abgehängt.“ Dabei sei es für viele schon ohne den Kauf teurer Technik schwer genug, ein Studium zu finanzieren.

Internationale Studierende besonders betroffen

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist nach Erfahrung von Antje Westhues zugleich auch eine zwischen deutschen und ausländischen Studierenden. Letztere sieht die Expertin in der Pandemie noch mal deutlich stärker betroffen. Viele der Studierenden, die sie berät, kommen aus Afrika oder Nahost. „Die können nicht mal eben wieder bei ihren Eltern einziehen, bekommen von diesen oftmals auch keine Unterstützung und haben hierzulande kaum Ansprüche auf Leistungen.“

Statistiken zeichnen derweil ein etwas weniger düsteres Bild, als es Studierendenvertretungen vor Ort erleben. Allerdings erfassen sie bisher meist nur das Sommersemester 2020. Zwar stellt auch das Deutsche Studentenwerk (DSW) fest, dass die Pandemie Studierende aus einkommensschwächeren Familien wirtschaftlich härter treffe und diese häufiger darüber nachdächten, aufzuhören. „Real gab es im Sommersemester 2020 aber nicht mehr Studienabbrüche“, sagt DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Daten aus dem Wintersemester 2020/2021 liegen noch nicht vor.

Jüngsten Umfragen des DSW zufolge machen sich 64 Prozent der Studierenden keine Sorgen darum, ob und wie sie ihr Studium finanzieren können. Knapp 37 Prozent gaben an, ihre finanzielle Lage habe sich verschlechtert. 30 Prozent liehen sich Geld von Eltern oder Verwandten, bis zu 20 Prozent fanden neue Nebenjobs. „Das Hauptproblem sind veränderte Rahmenbedingungen wie wieder zu Hause wohnen zu müssen oder gar nicht erst ausziehen zu können“, erklärt Achim Meyer auf der Heyde. „Da gibt es schon eine soziale Spaltung.“ Ihre Wohnsituation mussten rund 20 Prozent der Studierenden anpassen.

Anders als die GEW wertet das DSW die staatlichen Hilfen als ausreichend. „Das ist eine Überbrückungshilfe, keine Studienfinanzierung. Sie ist für den Ausfall einer Finanzierungsart gedacht – und dafür ganz gut konzipiert“, betont Achim Meyer auf der Heyde und rechnet vor: Studierende verdienten im Schnitt 380 Euro im Monat, die Überbrückungshilfe gehe bis zu 500 Euro.

BAföG-Reform gefordert

Allerdings räumt auch der Generalsekretär ein: „Das BAföG reicht vorne und hinten nicht aus und die Zahl der Geförderten sinkt weiter.“ Schon vor der Pandemie seien viele Studierende in einer dauerhaft prekären Notlage gewesen. „Diese Gruppe benötigt ebenso Hilfe. Hierzu brauchen wir dringend eine Reform der staatlichen Studienfinanzierung.“

Auch Anna Cannavo von der GEW NRW fordert: „Das BAföG muss für mehr Studierende geöffnet werden und elternunabhängig sein.“ Zudem sollte die Förderung nicht an die Regelstudienzeit, sondern an die durchschnittliche Studienzeit gekoppelt sein. „Junge Menschen sollten nach der Schulzeit auf eigenen Beinen stehen können.“