lautstark. 29.04.2021

Sozialarbeit in der Bochumer Hustadt: ganz nah dran

Soziale ArbeitMigration und FluchtFrauen

Gemeinsam den Alltag meister

Ob Rollenkonflikt oder Schulprobleme: Für viele Familien in der Bochumer Hustadt ist Hevidar Yildirim eine wichtige Stütze in Krisensituationen. Die 32-jährige Sozialarbeiterin hilft den Menschen im Viertel, ihren Alltag zu meistern – und fördert dabei vor allem Mädchen und Frauen mit Migrationsgeschichte.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2021 | Arm und Reich: Schieflagen ausgleichen
  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Die Arbeit liegt direkt vor der Tür. Mit zügigem Schritt verlässt Hevidar Yildirim ihr Büro. Die drei Jungs vor den Fenstern des Stadtteiltreffs, gerade noch in ihr Fußballspiel vertieft, zögern keine Sekunde: Sie laufen zu ihr. „Hey, wie geht’s?“, ruft der eine. „Ganz gut, und dir?“, antwortet die Sozialarbeiterin mit einem Lächeln.

Situationen wie diese sind der zierlichen jungen Frau, die den Interkulturellen Stadtteiltreff des Vereins IFAK leitet, nur allzu vertraut. Denn der Kontakt zu den Menschen des Viertels ist eng und persönlich – auch in Corona-Zeiten. „Vor der Pandemie sind die Leute in mein Büro gekommen“, sagt Hevidar Yildirim. „Heute klopfen sie an mein Fenster oder schreiben mir WhatsApp-Nachrichten.“

Ein Stück Heimat in der Fremde

Gemeinsam mit einem fünfköpfigen Team organisiert die Sozialarbeiterin ein großes Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationsgeschichte. Deren Bedürfnisse kann Hevidar Yildirim gut nachempfinden: 1994 flüchtete sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus der Türkei nach Bochum. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, sich hier ein neues Leben aufzubauen.“ Auch deshalb ist der Stadtteiltreff für viele Menschen ein Ort der Sicherheit.

Vormittags kommen Frauen zum Frühstück oder in die Tanzstunde. Nachmittags ist der Treff für Kinder und Jugendliche geöffnet. Sie finden dort wechselnde Freizeitangebote, können aber auch Nachhilfe in Anspruch nehmen oder im Computerraum für Referate recherchieren. Darüber hinaus gibt es Veranstaltungen, die das interkulturelle Zusammenleben im Viertel fördern. „Wir organisieren beispielsweise Kulturabende, zu denen Frauen aus verschiedenen Ländern ihre Rezepte mitbringen“, erzählt Hevidar Yildirim. „So lernen sie nicht nur ihre Nachbarschaft kennen. Sie erfahren zudem, dass man auch in der Fremde ein Stück seiner Heimat bewahren kann.“

Soziale Benachteiligung abbauen

Auch Bildung ist ein wichtiger Teil der Sozialarbeit im Stadtteil. Das IFAK-Team organisiert Sprachkurse und Informationsabende, etwa zu gesunder Ernährung, und hilft bei der Kommunikation mit Behörden. Denn viele Menschen im Stadtteil sprechen (noch) wenig Deutsch – und erfahren soziale Benachteiligung, weiß Hevidar Yildirim. „Ich erlebe, dass Kinder in der Schule benachteiligt werden, weil ihre Eltern sich nicht dagegen wehren können. Oder dass Jugendliche keine Ausbildung finden, weil Arbeitgeber beim Blick auf die Adresse direkt eine Absage schicken.“ Gerade in großen Familien fehle es zudem an materiellen Ressourcen. Auch hier hilft der Verein: „Wir leihen Laptops, Fahrräder und Bücher aus, und dieses Angebot wird unfassbar gut angenommen.“ Der Bedarf sei sogar noch größer, betont die Sozialarbeiterin.

Traditionelle Geschlechterrollen durchbrechen

Vor allem die Stärkung von Mädchen und Frauen ist der Bochumerin eine Herzensangelegenheit. „In vielen Kulturen ist es nicht üblich, dass Frauen ein eigenes Konto haben oder mit Freundinnen ein Café besuchen“, sagt Hevidar Yildirim. Sie klärt die Bewohnerinnen des Viertels deshalb über ihre Rechte in Deutschland auf, organisiert Bildungsfahrten und kämpft dafür, dass auch Mädchen die Chance auf eine gute Ausbildung bekommen. Im Stadtteiltreff werden Kinder früh an das Thema herangeführt. Koch- und Theater-Workshops machen Geschlechterrollen sichtbar. „Nur so kann man diese Rollen durchbrechen“, ist Hevidar Yildirim überzeugt.

Zum 1. Juni 2021 wird die Sozialarbeiterin die Hustadt verlassen, um sich einer neuen beruflichen Herausforderung zu stellen. Die Bewohner*innen des Viertels vermisst sie schon jetzt. „Ich habe hier einen der schönsten Jobs gemacht, die ich bisher hatte. Und das liegt vor allem an der Fürsorge der Menschen.“

Hintergrund

IFAK e.V. – Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe und Migrationsarbeit

Die IFAK ist eine gemeinnützige, parteipolitisch neutrale und religiös ungebundene Selbstorganisation von Zugewanderten und Einheimischen auf kommunaler Ebene. Mit Einrichtungen, Projekten und Maßnahmen in verschiedenen Bochumer Stadtteilen fördert die IFAK das Zusammenleben und die Akzeptanz und Toleranz von Zugewanderten und Einheimischen, stärkt Migrant*innen und baut Benachteiligungen ab.

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