lautstark. 29.04.2021

Freie Kitawahl für alle?

Frühkindliche Bildung

Betreuungssituation im Elementarbereich

Wie steht es um das Kitawahlrecht von Eltern? Und wie wirkt es sich auf die Zusammensetzung einer Kita aus? Diesen Fragen geht Nora Jehles, Bildungsforscherin für den frühkindlichen Bereich, auf den Grund.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2021 | Arm und Reich: Schieflagen ausgleichen
  • Autor*in: Nora Jehles
  • Funktion: Bildungsforscherin an der TH Köln zu Kinderarmut und frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung
Min.

Eltern haben die Wahl, wie sie ihre Kinder vor dem Schulbeginn betreuen lassen: Neben der grundsätzlichen Frage, ob eine Kita oder eine Kindertagespflegestelle für die Familie richtig ist, stellen sich für die Eltern beispielsweise auch die Fragen nach pädagogischen Konzepten, Öffnungszeiten oder der Trägerschaft der Einrichtung. Die Entscheidung, welche Kita ein Kind besucht, liegt – im Prinzip – bei den Eltern. Daraus folgt, dass sich die Zusammensetzung der Kinder in den Kitas unterscheidet zum Beispiel im Hinblick auf ihre soziale oder ethnische Herkunft. So gibt es einerseits Kitas, die von vielen Kindern aus sozial benachteiligten Familien besucht werden, und andererseits Kitas, in denen viele privilegierte Kinder aus wohlhabenden und hochgebildeten Familien betreut werden. Daraus resultieren sehr unterschiedliche Sozialisationsbedingungen und Lernumwelten für die Kinder und ebenso verschiedene Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte.

In der Diskussion um die Ursachen der unterschiedlichen sozialen und ethnischen Zusammensetzung von Kitas, auch Kitasegregation, wird der Fokus häufig auf die Eltern und ihr Wahlverhalten gelegt. Kitasegregation ergibt sich aber nur dort aus dem Wahlverhalten der Eltern, wo das Angebot an Kitaplätzen die Nachfrage übersteigt. Andernfalls sind es vielmehr die Einrichtungen, die über die Aufnahme eines Kindes in eine Kita entscheiden.

Großer Mangel an Betreuungsplätzen

Über das Verhältnis von Angebot und Nachfrage gibt eine repräsentative Elternumfrage des Deutschen Jugendinstituts (DJI) Aufschluss, die die Betreuungswünsche der Eltern den tatsächlichen Betreuungsquoten gegenübergestellt. Dabei zeigt sich, dass vor allem Betreuungsplätze für unter dreijährige Kinder fehlen. Zudem wird im Vergleich der Bundesländer deutlich, dass in NRW im Jahr 2019 die meisten Betreuungswünsche unerfüllt blieben: Knapp die Hälfte (48 Prozent) der Eltern mit Kindern unter drei Jahren wünscht sich einen Betreuungsplatz, aber nur 28 Prozent der unter Dreijährigen werden in einer Kita oder in einer Kindertagespflegestelle betreut. Außerdem ist der Mangel an Betreuungsplätzen in NRW seit 2017 um 5,2 Prozentpunkte gestiegen.

Dieser Platzmangel setzt Eltern unter Druck und gipfelt in absurden Szenen, wie 2017 in Leipzig, als rund 450 Eltern vor einer Kita Schlange standen, um ihr Interesse an einem von 165 Betreuungsplätzen zu bekunden.

Somit wird die Frage nach dem Zugang zu einem Kitaplatz eine Frage nach dem Wissen über das Platzangebot und des Aktionsradius: Privilegierte Eltern sind oft besser darüber informiert, wie sie einen Kitaplatz bekommen, bewerben sich um Plätze in mehreren Einrichtungen und können weitere Wege sowie höhere Kosten in Kauf nehmen, um eine Betreuung für ihr Kind zu realisieren. Benachteiligte Familien sind eher auf wohnortnahe Betreuungsplätze angewiesen und ein Platzmangel in der nahegelegenen Einrichtung kann die Inanspruchnahme eines Kitaplatzes schließlich verzögern oder sogar verhindern.

Rahmenbedingungen für unterschiedliche Lebenssituationen

 Es stellt sich nun die Frage, was getan werden kann, wobei der Grundsatz hier lauten sollte: Das eine tun und das andere nicht lassen. Einerseits brauchen die Kitas Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, auf die unterschiedlichen Lebenssituationen von Familien einzugehen, zum Beispiel durch eine bedarfsgerechte Ressourcenausstattung für zusätzliches Personal – dies erfolgt in NRW in Ansätzen bereits durch verschiedene Landesprogramme. Andererseits müssen mehr Betreuungsplätze geschaffen werden, damit Familien nicht in einen Wettbewerb zueinander treten, sondern alle Familien unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund einen Betreuungsplatz für ihr Kind bekommen.