lautstark. 29.04.2021

Erwachsenenbildung: So gelingt E-Learning

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Die Grundgesetze des digitalen Raums

Digitale Lernformate sind auch in der Erwachsenenbildung nicht mehr wegzudenken. Guido Brombach, Experte für den Bereich Lernen und Digitalisierung, erklärt, was Bildner*innen beachten sollten.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2021 | Arm und Reich: Schieflagen ausgleichen
  • Autor*in: Guido Brombach
  • Funktion: Erziehungswissenschaftler, Bildungsreferent der IG Metall für Digitale Kommunikation und Medien
Min.

Erziehungswissenschaftler, Bildungsreferent der IG Metall für Digitale Kommunikation, Lernen und Medien

Erwachsene haben in den letzten 20 Jahren im Umgang mit Technik und digitalen Netzen die Metakompetenz „Lernen lernen“ erworben. Die Beschaffung von Informationen ist eine notwendige Voraussetzung, um zu lernen. In Zeiten, wo das Digitale allgegenwärtig ist, nutzen die einen Bildungs-Apps, die anderen wiederum soziale Netzwerke oder Kommunikationsplattformen wie WhatsApp, um sich mit Informationen zu versorgen. Wir alle haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um an die Informationen zu gelangen, die nötig sind, um die an uns gestellten Aufgaben zu lösen. Sei es die Reparatur der Fahrradgangschaltung, bei der ein YouTube-Tutorial hilft, oder die Auseinandersetzung mit der Rolle der Onlineplattformen im Datenkapitalismus auf Nachrichtenwebsites.

Technik unterstützt den heutigen Lernprozess

Graham Attwell nennt das „Personal Learning Environment (PLE)“, deutsch: persönliche Lernumgebung. Damit sind die spezifischen (analogen und digitalen) Lernräume und -medien gemeint, in denen Menschen gelernt haben zu lernen. Lernen bleibt in diesem Verständnis biografisch erlernt und verankert. Allerdings geht das Konzept der PLE davon aus, dass Lernen heute fast immer technisch vermittelt geschieht, der Lernprozess also von Technik unterstützt wird.

Da alle Teilnehmenden ihre individuellen PLE mitbringen, muss auch die Weiterbildung mit diesen unterschiedlichen Voraussetzungen im Seminar umgehen. Würde sie ausschließlich auf nicht digitale Wissenskonstruktion und -anwendung zurückgreifen, würde sie den PLE ihrer Teilnehmenden nicht gerecht werden. Adaptiert sie stattdessen die PLE, kommt es im konstruktivistischen Sinne zur Passung mit den eigenen Konstrukten und wirkt sich lernfördernd aus.

Entstehung der digitalen Kultur

Was müssen Bildner*innen bei der Vermittlung von Wissen in der Weiterbildung via digitaler Medien also bedenken? Zusammen mit der Verbreitung der Netze sind Informations- und Kommunikationsräume entstanden, die nicht mehr als Werkzeug entwickelt wurden und einen vollkommen eigenen Raum hervorgebracht haben. Heute sprechen wir von einer digitalen Kultur, einem Raum, der im digitalen Medium entsteht und längst jenseits der einst entwickelten Werkzeuge ein Eigenleben entfaltet hat, sodass einfache Ableitungen aus der Kohlenstoffwelt zum Digitalen unmöglich werden. 

Aber was genau sind die Grundgesetze des digitalen Raums und wie konterkarieren sie unsere angestammten Lernprozesse und Bildungssysteme? Im Folgenden werden die sechs Regeln kurz beschrieben, die das Digitale aufstellt und wie sie pädagogisch zu beantworten sind.

Public by Default – Regeln und Vertrauenskultur
Das Digitale ist öffentlich! (Öffentlichkeit meint hier eine digitale Öffentlichkeit, keine massenmediale Öffentlichkeit.) Der Seminarraum ist deshalb kein Schutzraum mehr, in dem alles Gesagte verbleibt, weil es immer einen Klick von der Veröffentlichung entfernt ist. Es braucht Regeln für den Seminarraum und eine Vertrauenskultur. Darüber hinaus kann in ausgewählten Fällen die (Netz-)Öffentlichkeit genutzt werden, um den Lernprozess zu unterstützen.

Copy by Default – Selbstgemachtes und Meinung
Im Bildungsbereich ist die Kopie ein Zeichen dafür, dass die Kopierenden keine eigene Denkleistung
vollbracht haben. Dabei zeigt es nur, wie die Bildung sich ändern muss. Es braucht sogenannte Anti-Copy-Paste-Aufgaben, bei der die Lernenden eine Leistung erbringen müssen, die vorher niemand ins Internet geschrieben haben kann. Etwas selbst machen oder eine eigene Meinung formulieren, sind zwei Beispiele für Anti-Copy-Paste-Aufgaben.

Volltext durchsuchbar
Volltextsuchen über Suchmaschinen sind im Netz allgegenwärtig. Während früher Informationen ausschließlich in gedruckter Form vorlagen und eine gut geführte Papierablage nötig war, wird heute die Kompetenz benötigt, digitale Dokumente im Internet zu finden. Die Erwachsenenbildung muss ihre Teilnehmenden deshalb auf eine Holschuld vorbereiten. Die „richtigen“ Informationen kommen nicht automatisch zu einem, sondern müssen gefunden und, ebenso wichtig, bewertet und kontextualisiert werden.

Vernetzt und Verlinkt
Das Web ist ein Hypertext. Das heißt, Inhalte werden über Links miteinander verbunden. Inhalte, die nicht verlinkt sind, sind praktisch nicht auffindbar. In der Kohlenstoffwelt haben die Dinge naturgemäß keine Beziehung zueinander. Die Verlinkung im Digitalen schafft beliebig viele Bezüge, die immer nur einen Klick voneinander entfernt sind. Bildung wird dadurch selbstbestimmter. Texte verlieren ihre Linearität zugunsten der Vernetzung vieler verschiedener Formate und Informationen. Lernprozesse wurden in den letzten Jahren nur schwer daran angepasst, weil häufig das Lehrbuch die Referenz zum abrufbaren Wissen war. Bildner*innen sollten berücksichtigen, dass Hypertexte unendlich viele Lernpfade anbieten können, ohne dabei für den Lernenden komplexer zu werden.

Raum- und Zeitsouveränität
Der größte Vorteil von E-Learning-Trainings ist die zeitliche und örtliche Unabhängigkeit. Damit ist auch schon die größte Konkurrenz zu traditionellen analogen Seminarangeboten im Bildungszentrum benannt. In der Verbindung von ortsgebundenen Seminaren und Internet liegt jedoch die große Stärke der Raum- und Zeitsouveränität. Conferencing-Tools, die Referent*innen ins Seminar einbinden und den Teilnehmenden einen Austausch ermöglichen, gehören ebenso dazu wie Livestreams, um Kolleg*innen einzubeziehen, die für den Kongress keinen Platz mehr bekommen haben. 
Lernprozesse erfordern das gemeinsame Miteinander, dessen Infrastruktur die Bildungszentren bereitstellen. Lernprozesse im digitalen Raum können daran anschließen.

Berechenbarkeit
Der Computer ist als Universalmaschine entwickelt worden. Mit ihm sollte eine Maschinengeneration entstehen, die kein Werkzeug, sondern eine Steuerungs- und Produktionsmaschine sein sollte. Seine Verarbeitungsprozesse sind binär, basieren auf Mathematik und damit auf einer universellen Basis. Was berechenbar ist, ist von der Universalmaschine bearbeitbar. Was nicht berechenbar ist, wird berechenbar gemacht. Zeitgemäße Bildung heißt deshalb auch, Macht über die Universalmaschine zu gewinnen, um sie an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Erst dann werden wir uns fragen können, ob wir wirklich alles digitalisieren, also berechenbar machen können, oder in welchen Bereichen die Mathematik an ihre Grenzen stößt und nur unzureichend die Wirklichkeit repräsentiert.

Hintergrund

Weiterbildungsgesetz

Die Novellierung des Weiterbildungsgesetzes bringt nicht die Verbesserungen, die von der Politik angekündigt und versprochen worden waren. Der Fachgruppenausschuss Erwachsenenbildung der GEW NRW hat den Novellierungsvorschlag unter die Lupe genommen. Das Ergebnis fällt mehr als ernüchternd aus.

PRO

  • Förderfähigkeit von neuen Veranstaltungsformaten, beispielsweise digitale Bildungsveranstaltungen

KONTRA

  • Die Zukunftsfähigkeit der Weiterbildung durch Sicherung ausreichender Haushaltsmittel (1 Prozent des Bildungsetats) wird nicht gewährleistet.
  • Es ist kein Finanzierungsmodell enthalten, das Festanstellungen für Lehrkräfte ermöglicht und eine Differenzierung nach der Situation der Kursleiter*innen berücksichtigt.
  • Eine Begrenzung beziehungsweise sozialverträgliche Ausgestaltung der Teilnahmegebühren ist nicht berücksichtigt.
  • Eine Stärkung des hauptamtlich pädagogischen Personals (HPM) nach § 13 ist nicht vorgesehen. Die GEW NRW fordert mindestens drei HPM je Einrichtung und Reduzierung des Leistungsumfangs auf 1.000 Unterrichtseinheiten je HPM.
  • Die Einführung einer Mindestqualifikation (Masterabschluss) für hauptamtlich pädagogisches Personal, wie von der GEW NRW gefordert, wird nicht erwähnt.
  • Eine gesicherte Finanzierung des Zweiten Bildungswegs (§ 6 Lehrgänge), die Festanstellung für Lehrende möglich macht, ist nicht Teil der Novellierung.

Max-Georg Beier, GEW-Experte für den Bereich Weiterbildung