lautstark. 28.04.2020

Schule: Keine Chance für sexualisierte Gewalt

Queer und DiversityAntidiskriminierungFrauenSozialpädagogik

Handlungsleitfaden für Lehrkräft

In unseren Schulen sind sexistische, homo- und transfeindliche Übergriffe verbaler, gestischer oder auch körperlicher Art keine Seltenheit unter Schüler*innen. Was kann eine Schule tun, um dieser Gewalt entgegenzutreten und ein Klima von Achtsamkeit und Respekt aufzubauen? Sechs Schritte helfen Lehrkräften auf dem Weg zu diesem Ziel.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2020 | Respekt ist Wertschätzung
  • Autor*in: Dr. Birgit Palzkill
  • Funktion: ehemalige Lehrerin, aktuell Fortbildnerin, Supervisorin und Wissenschaftlerin
Min.

Sexualisierte Gewalt unter Schüler*innen zeigt sich am häufigsten in verbalen Abwertungen wie „Hure, Weichei, Schwuli, alte Lesbe“ und sexuellen Kommentaren oder Witzen, die im Unterricht oder in den Pausen offen oder versteckt zugerufen werden, sowie in entsprechenden Gesten. In der 2018 von Sabine Masche und Ludwig Stecher veröffentlichten SPEAK-Studie zu den Erfahrungen Jugendlicher mit sexualisierter Gewalt gaben von 2.719 befragten Schüler*innen 41 Prozent der Mädchen und 26 Prozent der Jungen an, bereits in dieser Form beleidigt worden zu sein. Mehr als die Hälfte dieser Vorkommnisse fand dabei in der Schule statt. Vor allem dann, wenn sie gehäuft auftreten, beeinflussen solche Erfahrungen die Lern- und Entwicklungschancen der betroffenen Schüler*innen mehr, als gemeinhin angenommen wird. Lehrkräfte sind also besonders gefragt, jeglichen Formen sexualisierter Gewalt entgegenzutreten.

1. Wahrnehmungsbereitschaft entwickeln

Zu oft wird sexualisierte Gewalt unter Schüler*innen von Lehrkräften nicht als solche wahrgenommen, negiert, bagatellisiert oder für normal erklärt. Diese als sogenannte Neutralisierungsstrategien bekannten Verhaltensweisen sind weit verbreitet. Sie tragen dazu bei, sich an sexualisierte Gewalt zu gewöhnen und sogar deutliche Übergriffe aus der Wahrnehmung auszublenden. Der erste Schritt liegt daher darin, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, den Neutralisierungsstrategien entgegenzutreten und Sensibilität sowie Handlungsbereitschaft aufzubauen.

2. Stellung beziehen und Handlungsbereitschaft zeigen

Sexualisierte Gewalt läuft oftmals im Verborgenen ab und Schüler*innen beschweren sich in der Regel nur dann bei der Lehrperson darüber, wenn sie davon ausgehen können, dass ihre Beschwerde nicht bagatellisiert wird und dass die Lehrperson etwas zur Veränderung der Situation unternimmt. Die Lehrkraft sollte daher sexualisierte Gewalt deutlich als solche benennen und klarmachen, welche Konsequenzen es hat, wenn beispielsweise sexistische und abwertende Begriffe benutzt werden. Geschieht dies schon beim ersten Anlass und wird die angekündigte Konsequenz auch in die Praxis umgesetzt, entstehen Normen. Es zeigen sich große Auswirkungen bezüglich eines respektvollen Umgangs miteinander.

3. Vorbild sein und das eigene Verhalten reflektieren

Interventionen der Lehrkraft zeigen bei den Schüler*innen nur dann Wirkung, wenn sie diese glaubhaft und authentisch vertritt. Dies setzt voraus, sich selbst von allen Formen sexualisierter Gewalt zu distanzieren und sich nicht unbewusst mit übergriffigen Schüler*innen zu solidarisieren oder gar selbst die Integrität von Kindern und Jugendlichen zu verletzen.

4. Durchsetzungskompetenz entwickeln

Es erfordert viel Kraft, Ausdauer und Durchsetzungskompetenz von einer Lehrkraft, denen, die sich diskriminierend und respektlos verhalten, immer wieder Grenzen zu setzen. Ein Training zum Erwerb der hierbei notwendigen verbalen und nonverbalen Fähigkeiten erleichtert es Lehrkräften erfahrungsgemäß sehr, Grenzen kraftsparend und effektiv zu setzen – beispielsweise durch Fortbildungen zum Konzept der Kontrolliert eskalierenden Beharrlichkeit nach Rudi Rhode und Mona Sabine Meis, Trainings zur Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg oder Selbstbehauptungskurse, die auf den Prinzipien achtsamer Selbstbehauptung von Birgit Palzkill und Heidi Scheffel aufbauen.

5. Sich im Kollegium verständigen

Die Möglichkeit der einzelnen Lehrkraft hängt dabei in großem Ausmaß davon ab, ob die Schule explizite Diskriminierungsverbote und Regeln zum achtsamen Umgang miteinander diskutiert und in die Schulordnung aufgenommen hat. Darin sollte beispielsweise vereinbart werden, mit welchen Konsequenzen Schüler*innen rechnen müssen, die sich diskriminierend und grenzverletzend verhalten. Zudem gilt es, Strukturen und Verfahren festzulegen, die den Umgang mit Verstößen regeln, zum Beispiel Beschwerdewege aufzuzeigen und Ansprechpersonen zu benennen.

6. Inklusive geschlechterbewusste Pädagogik verankern

Der Nährboden für sexualisierte Gewalt ist eine binäre, hierarchische und heterozentrische Geschlechterordnung, in der Frauen und Mädchen benachteiligt sowie von der Norm abweichende Menschen wie Lesben, Schwule, Trans* oder Inter* diskriminiert werden. Um sexualisierter Gewalt nachhaltig entgegenzutreten gilt es, ihr diesen Nährboden zu entziehen. Dies bedeutet, die beschriebenen interventiven Maßnahmen in ein Gesamtkonzept inklusiver geschlechterbewusster Pädagogik einzubetten, die sich geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und der Gleichberechtigung aller Geschlechter verpflichtet sieht.