lautstark. 28.04.2020

Jungs e. V. – Im Einsatz gegen Rollenklischees

Soziale Arbeit

Weniger Macho, mehr Respekt vor sich und anderen

Jungen sind Machos. Jungen sind gewalttätig und sexistisch. Wirklich? Oder wollen sie damit nur einem Rollenbild entsprechen, was ihnen von der Gesellschaft aufgedrängt wird? An diesem Punkt setzt „Jungs e. V.“ an. Der Duisburger Verein existiert seit 1998. Er bietet Jungen pädagogische Projekte aus geschlechtersensibler Sicht. Im vergangenen Jahr wurde das Team dafür mit der Mevlüde-Genç-Medaille ausgezeichnet.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2020 | Respekt ist Wertschätzung
  • Autor*in: Iris Müller
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Viele Jungen haben das Gefühl, sie müssten bestimmte Klischees erfüllen: stark sein, Fußball mögen und die Farbe rosa ablehnen. Der Verein „Jungs e. V.“ arbeitet dagegen: „Jungen sollen merken, dass sie sich nicht behaupten müssen“, erklärt Vorstandsmitglied Holger Venghaus. Hervorgegangen ist der Verein aus einem Arbeitskreis engagierter Männer. Finanziert wird „Jungs e. V.“ vom Jugendamt der Stadt Duisburg durch Spenden und Projektgelder. Sven Leimkühler arbeitet im Jungenbüro der Stadt. Er ist der einzige hauptamtliche Mitarbeiter des Vereins, der Rest wird von Ehrenamtlichen getragen, die wiederum von Honorarkräften unterstützt werden. „In vielen Städten gibt es entsprechende Arbeitskreise, aber eben keinen Verein“, sagt Holger Venghaus. Er betont, dass in der Arbeit sehr viel Herzblut und innere Überzeugung stecke.

Konkret bildet der Verein Jungenarbeiter aus – das sind zum Beispiel Studenten oder angehende Erzieher. In der Ausbildung geht es unter anderem um Biografiearbeit: „Nur wer sich selbst richtig kennt und reflektiert, kann auch mit Jungen arbeiten“, erklärt Venghaus, dem es wichtig ist, dass die Jungenarbeiter sich Gedanken über ihre eigene Geschlechtlichkeit gemacht haben. Es geht in der Ausbildung aber auch um Methoden, um Antigewalttraining und Sexualpädagogik. Die ausgebildeten Jungenarbeiter gehen dann an Schulen und Jugendzentren. Dort bieten sie Workshops, AGs und Projekte an. Ihre Zielgruppe sind Jungen ab dem Grundschulalter. In dem Zusammenhang sei es ideal, wenn auch für Mädchen ein entsprechendes Angebot gemacht werde. In Duisburg kooperiert „Jungs e. V.“ mit dem Verein „Mabilda e. V.“, der ebenfalls mit Workshops und verschiedenen Projekten Mädchenbildungsarbeit leistet.

Selbstwertgefühl steigern und Vertrauen aufbauen

Es geht darum, andere Rollenbilder auf Augenhöhe zu vermitteln. Das funktioniert am besten in einer geschlechtshomogenen Gruppe und auf der Basis von Freiwilligkeit. Was wird also konkret gemacht? „Wir reden und hören zu, wir thematisieren Probleme und erarbeiten Lösungen“, erzählt Holger Venghaus, der als Sozialarbeiter selbst schon eine Reihe von Jungengruppen angeleitet hat. Es gehe um Themen wie Respekt, Disziplin und Aufmerksamkeit. Das alles funktioniere aber nur, wenn der Spaß nicht zu kurz kommt. So kocht er auch manchmal mit seiner Gruppe, macht Ausflüge und Fahrradtouren. Holger Venghaus: „Wenn man über eine gewisse Zeit mit den Jungen zusammenarbeitet, erlebt man sie ganz anders, weil sie sich nicht behaupten müssen.“ Er weiß, dass man an den Stärken der Jungen arbeiten muss, denn dann steige das Selbstwertgefühl und die Jungen würden respektvoller mit sich und anderen umgehen. „Wer seine eigenen Stärken kennt, muss andere nicht niedermachen“, weiß der Sozialarbeiter und spricht damit auch das Thema Mobbing an. Wichtig sei, dass die Jungenarbeiter deutlich machen, dass sie auf der Seite der Jungen sind, und ein Klima schaffen, in dem sich die Jungen gut aufgehoben fühlen. Daraus entwickele sich ein super Vertrauensverhältnis.

Ausgezeichnet wurde der Verein im vergangenen Jahr mit der Mevlüde-Genç-Medaille. Der Name des Preises geht zurück auf das Ehepaar Genç, das zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verlor, als in der Nacht des 29. Mai 1993 vier rechtsextreme Jugendliche Brandsätze in das Haus der Familie in Solingen warfen. Mevlüde Genç und ihre Familie sind seitdem Botschafter der Integration und des guten Miteinanders geworden, trotz des Leids, das ihnen widerfahren ist. Die Mevlüde-Genç-Medaille der Landesregierung zeichnet Projekte und Vereine aus, die in diesem Geiste wirken. Dotiert ist sie mit 10.000 Euro und wurde im vergangenen Jahr erstmals vergeben.

Gleichberechtigt und respektvoll zusammenleben

Verdient hat sich das Team von „Jungs e. V.“ den Preis auch, weil es verschiedene traditionelle Männerbilder aller Milieus im Blick hat und so einen Beitrag für gelungene Inklusion für die Gesellschaft leistet. Deutlich wird das unter anderem am „HeRoes“-Projekt. Gegründet in Berlin, gibt es das Projekt mittlerweile auch in einigen anderen Städten Deutschlands – so eben auch in Duisburg.

Die „HeRoes“ engagieren sich für ein gleichberechtigtes und respektvolles Zusammenleben von Männern und Frauen. Mitmachen bei dem Projekt können Interessierte zwischen 16 und 27 Jahren, die eine internationale Familiengeschichte mitbringen. In einem Training, das sich über ein Jahr hinzieht, arbeiten die Ehrenamtlichen dann an Themen wie Unterdrückung, Gleichberechtigung, Respekt, Ehre und Gesprächsführung. Holger Venghaus erklärt: „Wir haben ein gemeinsames Problem in der Gesellschaft: Frauenfeindlichkeit und Femizide in allen sozialen Milieus. Das Besondere ist, dass diejenigen, die als Unterdrücker von Frauen wahrgenommen werden, mit der Teilnahme am HeRoes-Projekt Vorbilder werden – sowohl für die eigene Community als auch für die Mehrheitsbevölkerung.“ Einigen widerfährt nach Angaben des Sozialarbeiters Druck in der Familie und im Freundeskreis, wenige brechen das Training ab. Holger Venghaus: „Als Junge oder Mann für Gleichberechtigung zu stehen, ist leider selten akzeptiert.“ Diejenigen, die das Training durchziehen, gehen danach an Schulen und geben Workshops zu diesen Themen. Ihre Ziele: Rollenbilder von Männern in verschiedenen Kulturen und Milieus thematisieren, gesellschaftliche Strukturen hinterfragen, gegen Unterdrückung und Gewalt  stehen und offen mit anderen darüber reden. Holger Venghaus: „Wir begegnen den Belangen von jedem Einzelnen mit Offenheit und haben ein Ohr, auch für Zweifel und Ängste. Gleichzeitig positionieren wir uns klar, wenn uns Ungleichwertigkeitsvorstellungen begegnen. Wir wollen in unserem Projekt ein gesellschaftliches Zusammenleben vorleben, wie wir es uns wünschen.“ Die Gesellschaft sei dynamisch und das Thema Partizipation spiele eine immer größere Rolle für den Verein.

„Die Jugendlichen wollen zeigen, dass sie nicht so sind, wie die Gesellschaft denkt“, erklärt Holger Venghaus den Antrieb der Ehrenamtlichen. Darum sei es auch so wichtig, dass die HeRoes ehrenamtlich arbeiten, denn sie bringen die entsprechende Haltung mit und sind somit absolut authentisch. „Wenn die tiefe innere Überzeugung bei diesen Themen fehlt, geht das in einer Schulklasse daneben“, weiß der Sozialpädagoge. Das Ehrenamt sei daher an dieser Stelle unbezahlbar.

Lehrer als Vorbilder

Hervorzuheben ist außerdem das Gedenkstättenprojekt Junge Muslime in Auschwitz: Seit 2012 finden jährlich Fahrten mit intensiver Vor- und Nachbereitung für mehrheitlich muslimische Jungen statt. In den Jahren entstanden drei Theaterstücke und eine Videoreihe.

Holger Venghaus ist insgesamt sehr stolz, dass der Verein schon viel bewegt hat – mit wenigen Mitteln, aber viel Ehrenamt. „In Duisburg haben wir schon mehrere tausend Jungen erreicht“, weiß Holger Venghaus, der aber noch Potenzial sieht. An Schulen seien die Themen Mobbing, Gewalt und Sexismus stets aktuell. Jungen glauben immer noch oft, bestimmten Rollenbildern entsprechen zu müssen. „Wir bräuchten mehr Männer, die in diesem Bereich arbeiten“, sagt Holger Venghaus. Er findet, es wäre schon viel geschafft, wenn Männer, die als Lehrer an Schulen gehen, sich mit der Thematik auseinandersetzen würden und „als reflektierter Mann vor der Klasse stehen“.