lautstark. 23.03.2023

Studierende in Krisenzeiten

AusbildungBelastungBildungsfinanzierung

Knappe Grundfinanzierung und fehlender Puffer

Seit der Coronakrise ist für viele Studierende Schluss mit lustig: Nach den Einkommensverlusten während der Lockdowns machen ihnen nun steigende Mieten und teure Preise das Leben schwer.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2023 | Wie willst du studieren?
  • Autor*in: Nadine Emmerich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Erst die Corona-Pandemie mit Jobverlusten und einsamen Digitalsemestern, dann der Krieg in der Ukraine, explodierende Energiepreise und insgesamt steigende Lebenshaltungskosten: „Die vergangenen Jahre waren einige der schwierigsten zum Studieren“, sagt Harald Kaßen, Bereichsleiter der sozialen und psychologischen Beratung beim Studierendenwerk Essen-Duisburg. 

Wir versuchen, nur die notwendigsten Preissteigerungen bei Mieten und Mensen weiterzuleiten. Aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt, auch für uns steigen die Kosten.

„Geldsorgen kennen Studierende zwar seit Jahren, aber jetzt haben sich die Probleme noch mal verschärft. Vor allem Wohnen wird immer teurer“, ergänzt Anna Cannavo, Jugendbildungsreferentin bei der GEW NRW. Die Folgen machen sich nicht nur auf dem Konto bemerkbar: „Je mehr Faktoren es gibt, die vulnerabel machen, desto anfälliger werden die Studierenden auch für psychische Probleme“, weiß Imke Rolf von der psychologischen Beratung des Studierendenwerks Dortmund.

„Im Moment sind finanzielle Sorgen aber die belastendsten. Studierende haben keinen Puffer. Jede Krise, die sich auf ihren Haushalt auswirkt, bringt sie aus der Balance“, erklärt Jörg J. Schmitz, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Studierendenwerke NRW. Weil die meisten Student*innen keinen Spielraum hätten, um ihre Kosten zu senken, müssten sie mehr arbeiten. „Das verlängert die Studienzeit oder verschlechtert das Studienergebnis.“ Zahlen zu möglichen Studienabbrüchen, die zeitlich den aktuellen Krisenlagen zuzuordnen sind, liegen den Studierendenwerken noch nicht vor. 

Mehr Geld vom Land für die Studierendenwerke

„Wir versuchen, nur die notwendigsten Preissteigerungen bei Mieten und Mensen weiterzuleiten“, betont Jörg J. Schmitz. „Aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt, auch für uns steigen die Kosten.“ Die Studierendenwerke überarbeiteten die Speisepläne ihrer Mensen, ließen teure Produkte weg, reduzierten die Öffnungszeiten und nahmen sogar Kühlschränke vom Strom. Dennoch kamen die Einrichtungen um Erhöhungen nicht herum: Das Mensaessen kostet jetzt 10 bis 20 Prozent mehr. Die Kaltmieten der Wohnheime seien zwar nur gering erhöht worden. Die Nebenkosten müssten die Studierendenwerke allerdings per Gesetz real weitergeben. „Wir mussten um bis zu 50 Euro pro Zimmer erhöhen.“ 

Für Studierende mit akuten Finanzierungsproblemen organisieren oder betreiben die Werke Hilfen und Hilfsinstrumente. Dazu gehören ein Nothilfefonds und eine Darlehenskasse. „Überall verzeichnen wir steigende Antragszahlen“, sagt Jörg J. Schmitz.

Immerhin tat sich auf landespolitischer Ebene etwas: 2023 gab es eine Erhöhung des Landeszuschusses für die Studierendenwerke um drei Prozent auf rund 46 Millionen Euro sowie eine Zusage, auch in den kommenden Jahren regelmäßig etwas draufzulegen. Zudem arbeitet die Landesregierung Jörg J. Schmitz zufolge an einem millionenschweren Sonderhilfsprogramm. Die angekündigten Mittel seien zwar noch nicht genau berechnet: „Aber sie sind grundsätzlich hoch und eine angemessene Unterstützung für die Studierendenwerke, damit wir nicht alles an die Studierenden weitergeben müssen.“

Studierende warten auf die Energiepreispauschale

Die GEW NRW hingegen ist mit der Unterstützung durch die Politik weniger zufrieden. Anna Cannavo kritisiert, dass Studierende seit Monaten auf die 200-Euro-Energiepreispauschale warteten, die ihnen die Bundesregierung im Herbst 2022 versprochen habe. Während Arbeitnehmer*innen und Rentner*innen die Zahlung längst auf dem Konto hätten, könnten Studierende erst seit dem 15. März 2023 Anträge stellen. Wann mit dem Geld zu rechnen sei, sei unklar.

Die GEW-Expertin moniert zudem, die bürokratischen Hürden der Antragstellung seien hoch: Studierende müssten ein BundID-Konto zur Identifizierung anlegen, für das wiederum ein Onlineausweis oder ein ELSTER-Zertifikat nötig sei. „Das finde ich nicht besonders praktikabel.“ Grundsätzlich sei die Maßnahme zwar gut, da die Studierenden das Geld dringend benötigten. „Aber es ist auch keine Lösung, vor allem nicht für das komplette Jahr.“

Die GEW NRW fordert seit Jahren ein höheres und elternunabhängiges BAföG für mehr Studierende. Auf Bundesebene verlangte die GEW jüngst von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), einen Gesetzentwurf für eine 29. BAföG-Novelle vorzulegen, mit der Bedarfssätze und Freibeträge an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden.

Persönliche Themen dominieren in der Beratung

„Die finanziellen Belastungen für Studierende sind hoch, die Grundfinanzierung ist nach wie vor zu knapp“, sagt auch Harald Kaßen. Allerdings werde in seinen Gesprächen in der sozialen und psychologischen Beratung beim Studierendenwerk Essen-Duisburg noch nicht deutlich, dass es wegen der hohen Inflation derzeit „besonders brennt“. Die Jobverluste während der Corona-Lockdowns hätten die Studierenden noch stärker getroffen. Er räumt jedoch ein: Viele Probleme kämen auch erst zeitlich verzögert in den Beratungsstellen an.

Was die Studierenden beschäftigt und belastet, wird in der Einrichtung, die sowohl soziale als auch psychologische Beratung bietet, statistisch erfasst. Somit werden auch Entwicklungen abgebildet. Im Jahr 2022 nannten Harald Kaßen zufolge in der Sozialberatung 46 Prozent der Studierenden das Thema Kredite, 21 Prozent gaben Sozialleistungen an; 2021 waren es noch 54 beziehungsweise 44 Prozent. Bei diesen Angaben sind indes Mehrfachnennungen möglich. 

Die vergangenen Jahre waren einige der schwierigsten zum Studieren.

In der psychologischen Beratung zeigte sich: Ängste stiegen von 38 Prozent (2020) auf 62 Prozent (2021) und gingen dann zurück auf 54 Prozent (2022). Auch Kontaktprobleme und Isolation sind mit 12 Prozent (2022) nicht mehr so akut (2020: 26 Prozent, 2021: 27 Prozent). Familienkonflikte nahmen derweil von 28 Prozent (2020) auf 36 Prozent (2021) und zuletzt auf 48 Prozent (2022) zu. Wichtiges Thema bleibt Identität / Selbstwert mit 65 Prozent (2021: 78 Prozent, 2020: 83 Prozent). Über Gründe und Zusammenhänge dieser Zahlen lässt sich aber nur spekulieren. 

„In der psychologischen Beratung nehme ich nach wie vor sehr persönliche Themen wahr“, sagt Harald Kaßen und nennt jüngste Beispiele: ein Konflikt mit den Eltern, eine ADHS-Erkrankung und ihre Folgen, Antriebsprobleme bei einer Seminararbeit, Erschöpfung. „Die Leute kommen nicht mehr in Schwung“, stellt er fest. 2022 gaben 40 Prozent der Studierenden an, Lern- und Arbeitsstörungen zu haben; in den Vorjahren waren es 55 und 54 Prozent. 

Der Berater versucht, zusammen mit den Studierenden Verhaltensweisen zu analysieren: Woher kann das Gefühl der Überlastung kommen? Wie sieht der Tagesablauf aus? Gibt es einen Ausgleich? Ist eventuell eine Psychotherapie ratsam? „Es ist wichtig, gemeinsam Zielvereinbarungen zu entwickeln“, betont er. In der Sozialberatung kommt auch die Finanzierung des Studiums auf den Prüfstand: Gibt es BAföG-Ansprüche oder Stipendienmöglichkeiten? Kommt gar der sogenannte Härtefonds des Studierendenwerks Essen-Duisburg infrage?

Wer in der Corona-Krise mit dem Studium begann, dem fehlt jetzt oft die soziale Einbindung. Vielen fällt es nach wie vor schwer, aus der Isolation wieder rauszukommen.

Corona hallt nach

Psychologin Imke Rolf von der psychologischen Beratung des Studierendenwerks Dortmund beobachtet, dass die Kontaktbeschränkungen in der Pandemiezeit an vielen scheinbar nicht spurlos vorbeigegangen sind. „Wer in der Corona-Krise mit dem Studium begann, dem fehlt jetzt oft die soziale Einbindung. Vielen fällt es nach wie vor schwer, aus der Isolation wieder rauszukommen.“ Außerdem gebe es Ängste, sich auf dem Campus nicht zurechtzufinden oder bei einer Klausur in Präsenz zu versagen. 

Auch das Dortmunder Team berät vor allem bei Sorgen, die wohl typisch für Studierende sind: von Problemen mit Zeitmanagement und Arbeitsorganisation über Prüfungsstress und Überlastungssituationen bis hin zu Konflikten mit Partner*innen, Eltern oder der WG. Häufig vertreten sind auch Selbstzweifel, Zukunftsängste oder depressive Verstimmungen. „Die auslösenden Bedingungen können dabei vielfältig sein“, erklärt Imke Rolf. 

Die Tipps der Psychologinnen sind entsprechend individuell. „Bei Ängsten setzen wir bei der Selbstfürsorge an“, sagt Imke Rolf. „Wir raten dazu, eine Tagesstruktur aufzubauen, Kontakte zu pflegen, sich auf anstehende Aufgaben zu konzentrieren. Und nicht den ganzen Tag Nachrichten zu lesen, um nicht ständig in Alarmbereitschaft zu sein. Bei Organisationsproblemen unterstützen die Expertinnen dabei, einen konkreten Wochenarbeitsplan zu erstellen – und darin die Pausen nicht zu vergessen. „Denn viele junge Studierende übernehmen sich.“