lautstark. 23.03.2023

Studieren im Ausland: Josef in Glasgow

Ausbildung

Papers, Pubs und jede Menge Perspektiven

Josef hat es gewagt, das Abenteuer Ausland. Gleich dreimal und Runde vier ist schon in Planung. Ein Jahr Schottland direkt nach dem Abitur. Später folgen ein Master in Glasgow und fünf Monate Praktikum in Brüssel. Josefs Motivation: „Die neuen Perspektiven aufs Leben, die persönliche und berufliche Weiterentwicklung sind einfach unbezahlbar.“

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2023 | Wie willst du studieren?
  • Autor*in: Sherin Krüger
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

In Schottlands größter Stadt erinnert das Universitätsgebäude an Harry Potters Hogwarts. „Es fehlt eigentlich nur noch ein Quidditch-Spiel zwischen den verschnörkelten Türmen“, lacht Josef Kraft, der 2018 für seinen Master nach Glasgow ging und dort mehr als nur Credits sammelte. Was er für sich aus einem Jahr Studium im Ausland mitnehmen wollte, hatte er vorher gut überlegt: „Das lege ich allen Studierenden ans Herz: Macht euch ein paar Gedanken darüber, wie ihr die Zeit im Ausland gestalten möchtet.“ Und Pläne können sich schließlich immer noch ändern.

Engagement, Fleißarbeit und ein bisschen Glück

Für viele Studierende bleibt das Auslandsstudium ein unerfüllter Traum. Die Möglichkeiten sind vielfältig, Stipendien und andere Unterstützungsangebote kommen aber oft nicht bei ihrer Zielgruppe an. Josef reflektiert sein großes Glück, kann auf der anderen Seite persönliches Engagement und viel Fleißarbeit bestätigen: „Du musst dich schon reinhängen, eine Menge organisieren und fragen, immer wieder nachhaken: bei Dozierenden, Stiftungen, deiner Gewerkschaft oder anderen Organisationen“, erzählt er.

2013 startet Josef ins Lehramtsstudium für die Sekundarstufe II an der Universität Siegen. Er möchte später Englisch unterrichten und dafür sind ohnehin drei Monate Aufenthalt im englischsprachigen Ausland Pflicht. Mit einem selbst organisierten sozialen Jahr im Süden Schottlands nach dem Abitur im Gepäck träumt er schnell von mehr: „Tatsächlich war die Option, später im Ausland arbeiten zu können, mitverantwortlich für meine Entscheidung, Lehrer zu werden.“ Ein bisschen gedulden muss er sich: Sechs Bachelor- und vier Mastersemester verbringt Josef noch in NRW.

Geld verdienen und das richtige Stipendium finden

„Gewerkschaft und Beruf gehörten für mich schon immer zusammen“, berichtet Josef. Mit seinem Eintritt in die GEW schon während des Studiums nimmt alles seinen Lauf: Er sitzt im Landesausschuss der Studierenden in NRW und schmeißt das Hochschulinformationsbüro an der Uni Siegen – beste Voraussetzungen für das Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung (HBS). Er bekommt die Zusage für die Förderung im Masterstudium in Höhe des BAföG-Satzes sowie ein monatliches Büchergeld. Doch kann er damit auch ein Studium im Ausland finanzieren? Josef hängt sich rein und arbeitet in der gewerkschaftlichen Bildung als Berufsschulteamer, womit er Geld verdienen und sparen kann. 

„An der Uni Siegen hatte ich einen fantastischen Vertrauensdozenten. Ich erzählte ihm von meinem Wunsch. Drei Stunden später habe ich sein Büro mit einem Jahresplan verlassen und bewarb mich für den Studiengang International Relations in Glasgow“, erinnert sich Josef. „In Großbritannien dauert der Masterstudiengang nur ein Jahr. Das eröffnet viele Möglichkeiten: Du kannst deine dreimonatige Pflichtzeit im Ausland verbringen, ein Semester daraus machen oder einen kompletten Abschluss erwerben. Es kommt ganz darauf an, was du von deinem Auslandsaufenthalt erwartest – beruflich und persönlich.“

Unzählige E-Mails später: Master in Glasgow

Für die Bewerbung in Schottland muss Josef viel Papierkram erledigen, aber die unzähligen E-Mails und Anträge lohnen sich: Anfang August 2018 erhält Josef die Zusage aus Glasgow und das Go der HBS, die in seinem Fall die Studiengebühren der schottischen Uni komplett übernimmt. Anfang September startet das Semester und damit sein zweites Abenteuer Ausland. Seinen Master of Research in International Relations hat er im September 2019 in der Tasche.

Für Josef steht fest: Hätte er sich vorher nicht so intensiv mit seinem Studium im Ausland auseinandergesetzt, wäre es für ihn nie so gewinnbringend geworden: „Am Ende habe ich aus beidem das Beste gemacht. Akademisch und beruflich habe ich viel mitgenommen, aber vor allem habe ich so viele unterschiedliche Menschen und ihre Perspektiven kennengelernt.“ Freundschaften und eine Fernbeziehung über tausende Kilometer, die bis heute halten, sind dabei entstanden. 

Neue Kontakte knüpfen und alte pflegen

Josef macht die Erfahrung, dass im engen Austausch mit Dozent*innen nicht nur Fragen besprochen und Pläne erarbeitet werden können, sondern die Hilfsbereitschaft groß ist. Den Kontakt zur Uni Siegen hält er immer aufrecht und von einer angesehenen Dozentin in Glasgow bekommt er den wertvollsten Tipp für sein Auslandsjahr: „Wenn dich jemand in den Pub einlädt, sag niemals Nein!“

So verbringt Josef viel Zeit in den Pubs im West End, dem Hipsterviertel in Glasgow. Die vielen Nachmittage und Abende, die er und seine Kommiliton*innen zusammen büffeln, schweißen die rund 30 Studierenden zusammen. „Das Studium war schon intensiver, als ich es aus Deutschland kannte. Wir hatten wöchentliche Leselisten mit bis zu 500 Seiten, hinzu kamen die sogenannten Paper, die im Schnitt alle zwei Wochen abgegeben werden mussten. In der Zeit habe ich gelernt, auf den Punkt zu schreiben und gute Formulierungen zu finden – das hat mich total weitergebracht“, erzählt Josef. „Ich habe auf einem anderen Niveau gelernt und definitiv meine Komfortzone verlassen.“

Während des Masterstudiums wohnt Josef auf dem Unicampus in einer WG mit Studierenden aus Indien, China, Südkorea und den USA. „Zwölf Quadratmeter mit integriertem Badezimmer für umgerechnet 500 Euro im Monat! Da habe ich mich wohl übers Ohr hauen lassen“, weiß er heute. „Ich würde allen empfehlen, sich für die Wohnungssuche im Ausland Zeit zu nehmen, zu vergleichen und mit Leuten zu sprechen, die vor Ort schon Erfahrung gesammelt haben.“

Praktikum in Brüssel und danach Plan B

Das britische Schulsystem lernt Josef als School Teamer für den Scottish Trades Union Congress (STUC) kennen – sozusagen den schottischen DGB. Eine gewerkschaftliche Heimat für die Zeit findet er bei Unite the Union, der er sich in seinem Auslandsjahr anschließt. Seine Masterarbeit schreibt er über die internationale Zusammenarbeit von britischen Gewerkschaften und zieht viel Inspiration daraus. „Ihr habe ich es wohl zu verdanken, dass ich nach der Zeit in Glasgow für ein Praktikum nach Brüssel gehen durfte“, erzählt er. In Europas Hauptstadt arbeitet er fünf Monate, bevor er ein Jobangebot in der gewerkschaftlichen Bildung in Deutschland bekommt.

Josef wäre sicher weiter durch Europa gezogen oder in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig gewesen, hätte die Corona-Pandemie seine Pläne nicht durchkreuzt. Gut, dass er in der Zwischenzeit die letzte Hausarbeit fürs Lehramtsstudium abgegeben hatte und seine Masterarbeit aus Glasgow in Siegen anerkannt worden war. So verfolgt Josef seinen ursprünglichen Plan und beginnt im September 2020 sein Referendariat an einer Gesamtschule. Pläne können sich eben auch mal ändern.