lautstark. 23.03.2023

Notschlafstelle für Studierende statt Traum-WG?

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Wohnen im Studium

Studierende geraten finanziell immer stärker unter Druck: Neben hohen Energie- und Lebensmittelpreisen sehen sie sich mit deutlich steigenden Mieten konfrontiert. Gerade in begehrten Universitätsstädten wie Köln gehören Zukunftsängste zum Alltag der angehenden Akademiker*innen. Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2023 | Wie willst du studieren?
  • Autor*in: Anne Peterson
  • Funktion: Freie Journalistin
Min.

„Große Probleme“ sieht der Studentenwohnreport 2022; das Deutsche Studierendenwerk warnt vor einer „existenziellen sozialen Notlage“. Und Vivien Hagner formuliert es so: „Da gibt es viele, die vor einer Wand
stehen und keine Ahnung haben, wie es weitergehen soll.“ Studierende mit Zukunftssorgen gehören zum Alltag der 20-Jährigen. Als Referentin für Soziales und Internationales im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität Köln ist sie fast täglich mit der Wohnungsnot ihrer Kommiliton*innen konfrontiert. „Gerade zum Semesterstart sind die Onlineplattformen zur Wohnungssuche überfüllt. Dann bekommt man entweder gar keine Antwort oder man kämpft bei Massenbesichtigungen um ein Zimmer, das man eigentlich ohnehin nicht bezahlen kann.“

Der Trend auf dem studentischen Wohnungsmarkt: viel Geld für wenig Wohnraum

Fehlender Wohnraum und hohe Mieten treffen viele der rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland. Der Studentenwohnreport 2022, den das Institut der deutschen Wirtschaft im Auftrag des Finanzdienstleisters MLP angefertigt hat, zeichnet eine in mehrfacher Hinsicht schwierige Situation. Nicht nur, dass der Wohnungsmarkt in vielen Groß- und beliebten Universitätsstädten seit Jahren angespannt sei. Inflation und hohe Nebenkosten ließen die Konkurrenz um kleine Wohnungen steigen, während sich die Zahl der WG-Zimmer reduziere – weil größere Wohnungen stärker als bisher an andere Gruppen vermietet würden. 

Auch das Angebot an günstigen Wohnheimplätzen habe anteilig abgenommen. So lebten dort bundesweit nur 9,5 Prozent der Studierenden; in beliebten Unistädten liege die Quote sogar deutlich darunter. Dort wiederum sind laut der Untersuchung vor allem WG-Angebote verbreitet, die in Orten mit niedrigem Mietniveau weitaus seltener vorkommen. In Bochum etwa gebe es wenige, dafür aber vergleichsweise teure WG-Zimmer –
vermutlich, weil dort häufiger ganze Wohnungen vermietet würden. 

Überhaupt macht der Bericht deutliche regionale Unterschiede aus – so auch bei den Kosten für ein Muster-WG-Zimmer. Die Spanne reicht von 186 Euro in Chemnitz bis zu 545 Euro in München. Der Trend geht an allen 38 untersuchten Standorte jedoch eindeutig nach oben: So stiegen die Preise für studentischen Wohnraum laut dem Report im vergangenen Jahr um durchschnittlich 5,9 Prozent, für WG-Zimmer sogar um 9,4 Prozent. Hohe Preisaufschläge in NRW verzeichnet dabei vor allem Münster.

Diese Tendenz vermeldet auch das Hochschulstädtescoring 2022 des Moses Mendelssohn Instituts und des Portals WG-Gesucht.de. Hier wurden die Wohnungsmärkte in 95 Hochschulstädten mit mehr als 5.000 Studierenden untersucht. Laut der Analyse kostete 2022 ein WG-Zimmer durchschnittlich 435 Euro im Monat. Das ist ein Anstieg von 11,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In München, dem teuersten Standort im Bundesvergleich, überschritten die Mieten für eine studentische Musterwohnung sogar die 700-Euro-Grenze, heißt es in der Untersuchung. Doch auch in den NRW-Städten Köln und Düsseldorf legten die Preise stärker zu als im Durchschnitt, um 13,3 beziehungsweise 17,6 Prozent. 

Hohe Mieten und lange Wohnungssuche gefährden das Studium

Besonders problematisch: Laut dem Studentenwohnreport konnten im Jahr 2021 lediglich 15,9 Prozent der Studierenden auf eine Förderung im Rahmen des BAföG zurückgreifen. Zudem sei die damit verbundene Wohnpauschale von 360 Euro nur noch in jedem dritten Fall ausreichend, betont das Deutsche Studierendenwerk – und fordert eine zügige BAföG-Erhöhung. Dem stimmt Andreas Jansen uneingeschränkt zu: „Die hohen Mietpreise stehen nicht mehr im Verhältnis zu dem, was Studierende durchschnittlich zur Verfügung haben“, betont der Bezirksjugendsekretär beim DGB Nordrhein-Westfalen. Das BAföG müsse substanziell erhöht und darüber hinaus elternunabhängig gewährt werden. „Nur so haben alle jungen Menschen die Chance auf ein Studium, das ihren Wünschen und Vorlieben entspricht.“

Doch gerade in begehrten Studienstädten wie Köln kann der Mangel an bezahlbaren Unterkünften zum vorzeitigen Studienabbruch führen. Rund 105.000 Studierende leben nach Angaben der Verwaltung in der Domstadt; das seien gerundet knapp unter zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie alle kämpften um den begehrten Wohnraum – und stünden dabei auch unter Zeitdruck, wie Vivien Hagner berichtet. „In den meisten Studiengängen gibt es inzwischen wieder Präsenzveranstaltungen. Da darf man zwei- bis dreimal fehlen und danach nicht mehr teilnehmen“, erzählt die Jurastudentin. Doch innerhalb weniger Wochen ein Zimmer zu finden, sei in Köln schlichtweg unmöglich. „Man kann sich schon glücklich schätzen, wenn man nach einem halben Jahr etwas gefunden hat.“ 

Ähnlich schildert es der Pressesprecher des Kölner Studierendenwerks Dr. Klaus Wilsberg. „Fast jede*r Studierende wird auch in Köln etwas finden – die Frage ist nur wann und zu welchem Preis“, sagt er. Die Wohnheime des Studierendenwerks seien mit ihren vergleichsweise niedrigen Mieten seit jeher begehrt. Rund 5.000
Zimmer stehen dort aktuell zur Verfügung; etwa 3.000 werden pro Jahr neu vermietet. „Wir haben im Schnitt drei Bewerber*innen für ein Zimmer – daran hat auch die Pandemie nichts geändert.“

So müssten sich viele Studienanfänger*innen von Übergangslösung zu Übergangslösung hangeln, berichtet Vivien Hagner. „Manche nehmen extrem weite Wege auf sich und pendeln – teilweise sogar aus Frankfurt, wenn dort die Eltern wohnen.“ Eine andere Option sind Notschlafstellen, die der AStA über viele Jahre zusammen mit der Stadt Köln angeboten hat. Das Angebot zum Semesterstart musste seit 2019 pausieren – erst durch die Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie, dann aufgrund der Folgen des Ukraine-Kriegs.

Bezahlbarer Wohnraum für alle Studierenden: Land und Kommunen in der Verantwortung?

Seit dem vergangenen Wintersemester kooperiert die Studierendenorganisation mit der Katholischen Hochschulgemeinde Köln: Fußläufig zur Uni können dort 30 Studierende in einem Saal auf Luftmatratzen
übernachten. Eine Küche zur gemeinsamen Nutzung gibt es direkt vor Ort; in den nahegelegenen Räumen des Hochschulsports können Studierende die Sanitäranlagen nutzen. „Internationale Studierende werden bevorzugt aufgenommen – ebenso wie Studienanfänger*innen“, sagt Vivien Hagner. Doch langfristig sei das Engagement für den AStA nicht stemmbar. „Wir müssen Nachtschichten mit jeweils ein bis zwei Personen besetzen. Länger als drei Wochen können wir das nicht leisten.“ Die Studierendenvertretung sehe vor allem das Land NRW und die Stadt Köln in der Pflicht, eine Lösung zu finden. 

Doch die Stadtverwaltung weist die Kritik zurück. „Die Stadt Köln hat ein hohes Interesse daran, dass sich die Studierenden in der Stadt wohlfühlen und ihre Zukunft auch nach Abschluss ihres Studiums in Köln finden“, heißt es in einer Stellungnahme. Im Gespräch mit Projektträgern werbe man deshalb immer wieder dafür,
bezahlbaren Wohnraum für Studierende zu schaffen und dafür Landesmittel in Anspruch zu nehmen. Denn ein eigenes städtisches Förderprogramm sei nicht vorhanden. 

Auch das Kölner Studierendenwerk hoffe, weitere Landesmittel zu erhalten, erklärt Dr. Klaus Wilsberg. Die
Studierendenwerke in NRW hätten in einer Selbstverpflichtung beschlossen, die Quote der Wohnheimplätze für Studierende landesweit auf zehn Prozent zu steigern. So laufe auch in Köln die Erweiterung bestehender Objekte. „Doch das bringt nur einen Anstieg um 500, vielleicht 1.000 Zimmer. Wir sind also noch weit davon entfernt, die Quote zu erfüllen.“ 

Fortschritte könnten aus Sicht von Andreas Jansen durch eine Veränderung der Förderstruktur beim sozialen Wohnungsbau erreicht werden. „Klamme Kommunen können Fördermittel oft gar nicht abrufen, weil sie dazu einen Eigenanteil erbringen müssten“, betont der DGB-Bezirksjugendsekretär. Hier gelte es, eine Lösung für die Altschulden betroffener Kommunen zu finden. Darüber hinaus müssten alle Akteur*innen miteinander ins
Gespräch kommen. Denn ein gesamtgesellschaftliches Problem wie das studentische Wohnen verlange eine gemeinsame Lösung aller Beteiligten.