lautstark. 14.04.2022

Ehrenamt: Ein Sprung ins kalte Wasser

BildungsgewerkschaftWissenschaft und ForschungHochschullehrePrekäre Beschäftigung

Was engagierte Kolleg*innen brauchen

Viele Mitglieder bringen sich aktiv in die GEW NRW ein und prägen die gewerkschaftliche Arbeit. Was es bedeutet, als Ehrenamtler eine leitende Position zu übernehmen, im Landesvorstand mitzuarbeiten, und was ihn antreibt, erzählt Frédéric Falkenhagen. Er gehört seit 2016 zum Leitungsteam des Referats Wissenschaft und Hochschule. Auf dem Gewerkschaftstag im Mai 2022 kandidiert er erneut.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2022 | Mehr für Bildung: Deine Stimme zählt
  • Autor*in: Denise Heidenreich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

„Eigentlich wollte ich mir die Gewässer der GEW NRW in Ruhe anschauen – doch plötzlich war ich mittendrin und musste schwimmen“, schmunzelt Dr. Frédéric Falkenhagen über seine Anfänge bei der GEW NRW. Seit 2016 engagiert sich der 40-Jährige im Leitungsteam des Referats Wissenschaft und Hochschule. Im Hauptberuf ist er im Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Siegen tätig, wo er sich um Themen wie Akkreditierung, Strukturentwicklung und Qualitätsentwicklung kümmert. Vor seiner Mitgliedschaft in der GEW NRW war er drei Jahre in der GEW Niedersachsen aktiv. „Mein Plan, langsam zu starten, stellte sich als realitätsfern dar – es mangelte an Nachwuchs. Als 2016 das neue Leitungsteam des Referats gewählt wurde, habe ich mich deshalb ohne Mandat für den Gewerkschaftstag aufstellen und wählen lassen.“

Durch Nachfragen in die neue Aufgabe hineinwachsen

Es ging direkt ins „kalte Wasser“. Unterstützung erhielt Frédéric Falkenhagen von älteren Kolleg*innen, die sich trotz Pensionierung für das Leitungsteam engagierten: „Das war mein helfender Rettungsring – vor allem, weil ich direkt die Arbeit im Landesvorstand übernommen habe.“ Nach dem kalten Wasser kam Neuland: „Ich musste mich nicht nur in einen großen Berg von Aufgaben, Formalitäten und Prozessabläufen einarbeiten, sondern auch in die Struktur des Landesvorstands. Hinzu kamen mein junges Alter – nur die Studierendenvertreter*innen und drei andere Mitglieder waren jünger – und als Nichtlehrer die beruflichen Unterschiede. Herausfordernd war zu entscheiden, welche Themen wirklich wichtig sind und welche nicht.

Auch kannte das Gremium die Themen Hochschule und Wissenschaft kaum: Zum Beispiel kam 2016 die Wissenschaftszeitvertragsgesetznovelle – da konnten sich viele aus ihrer Perspektive zur Arbeitsrealität nicht vorstellen, dass dies für uns ein Fortschritt war. Und natürlich gab es auch für mich Themen wie JA13, die ich zuvor als nicht so relevant eingestuft hätte.“

Fragen, fragen und nochmals fragen wurde zu Frédéric Falkenhagens Strategie, um kleinere und größere Hürden zu überwinden. „Am Anfang habe ich ständig zum Telefon gegriffen, weil einfach viel Wissen vorausgesetzt wird. Und mit jeder Antwort bin ich ein Stück mehr in meine Aufgaben hineingewachsen.“

15 Tage Urlaub und stundenlanges Aktenstudium

Seit seinem Einstieg bei der GEW NRW ist der Alltag von Frédéric Falkenhagen prall gefüllt. Um diesen Zustand fassbarer zu machen, hat er ausgerechnet, wie viel Zeit sein Engagement pro Jahr in Anspruch nimmt: „Ich bin auf 15 Tage Urlaub plus unzählige Stunden Aktenstudium gekommen. Ein großer Vorteil ist, dass die Papierberge, die ich am Anfang auf den Tisch bekam, entscheidend reduziert wurden und dass viele Sitzungen digital stattfinden.“

Ein Leben ohne ehrenamtliches Engagement kann er sich trotzdem nicht vorstellen: „Die prekären Beschäftigungsverhältnisse in Hochschule und Wissenschaft werden sich nicht ändern, wenn Menschen wie ich sich nicht dafür einsetzen. Ich brauche nur auf die Anzahl meiner Arbeitsverträge und Rentenversicherungsträger zu schauen, dann weiß ich, warum ich so viel Herzblut und Zeit investiere.“ Zudem treiben die Erfolge ihn an: „Hochschule und Wissenschaft werden sehr viel öfter mitgedacht, als es früher im Landesvorstand der Fall war. Das Bewusstsein dafür, dass es sich um ein Querschnittsthema für alle Bildungsbereiche handelt, steigt kontinuierlich.“

Nachwuchs und Generationenwechsel dringend erforderlich

Der Gewerkschaftstag und die nächste Wahlperiode nahen – was heißt das für Frédéric Falkenhagen? „Ich mache natürlich weiter – allerdings nicht mehr mit dem Leitungsteam, sondern jetzt allein im Boot als Referatsleiter. Wir brauchen dringend Nachwuchs und einen Generationenwechsel. Ich bin als vormals jüngstes Mitglied jetzt der alte Hase“, erklärt Frédéric Falkenhagen und macht zugleich deutlich: „Viele Dinge werden vom Ehrenamt angestoßen und bearbeitet. Es wäre jedoch nötig, dass im Hauptamt mehr Kapazitäten zur Verfügung stünden. Im Gegensatz zum Lehrer*innenbereich gibt es bei uns keine Bezirks- und Hauptpersonalräte und somit keine (teil-)freigestellten Kolleg*innen, deren Tätigkeitsbereich sich über ihre Hochschule hinaus erstreckt. Hier wünschen wir uns mehr Unterstützung.“