lautstark. 12.03.2021

Schule: Zur Debatte um Sozialwissenschaften

Politische BildungWissenschaft und Forschung

Aussichten? Ungewiss!

Nachdem der Wechsel an einigen weiterführenden Schulen bereits stattfand, soll nun auch das Lehramtsfach Sozialwissenschaften dem Fach Wirtschaft/Politik weichen. Neben der Kritik am Fach selbst stellt vor allem die Frage nach der Zukunft von derzeitigen Lehrer*innen und Studierenden der Sozialwissenschaften ein Problem dar.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2021 | Nachhaltig leben, lehren und lernen
  • Autor*in: Tobias Löttgen
  • Funktion: Masterstudent Sozialwissenschaften auf Lehramt in Bochum, Leitungsteam der jungen GEW NRW
Min.

Die vor einem Jahr erfolgte Einführung des Faches Wirtschaft/ Politik in der Sekundarstufe I führt jetzt, mit der damit verbundenen Änderung der Lehramtszugangsverordnung (LZV), zu großer Unsicherheit unter den Studierenden und stößt auf breite Kritik. Die Studienfachbezeichnung Sozialwissenschaften soll durch Wirtschaft/Politik ersetzt und das Fach neu profiliert werden. Zwar hat das Schulministerium NRW inzwischen klargestellt, dass alle Abschlüsse im Fach Sozialwissenschaften ihre Gültigkeit behalten und angehende Lehrkräfte demnach alle Voraussetzungen erfüllen, um das neue Fach unterrichten zu können. Doch es bleiben viele Fragen ungeklärt.

Ich selbst studiere Sozialwissenschaften im Studiengang Master Education Gymnasium/Gesamtschule an der Ruhr-Universität Bochum und möchte Lehrer werden. Die Argumentation der Landesregierung kann ich nicht nachvollziehen: Einerseits heißt es, dass ich alles mitbringe, um das neue Schulfach unterrichten zu können. Andererseits sollen die aktuellen Studiengänge inhaltlich verändert werden und Lehrkräften wird geraten, eine Zusatzqualifikation zu absolvieren. Solche widersprüchlichen Aussagen entwerten nicht nur völlig unbegründet meine fachlichen Kenntnisse, sondern erzeugen durch die Schaffung zweier separater Studiengänge für ein Schulfach Angst bei mir und vielen anderen Studierenden vor zusätzlicher Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.

Schwammige Zukunft: Was passiert mit SoWi?

Wie viele Akteure der politischen Bildung sorge ich mich um die Zukunft meines Studienfaches: Die Interdisziplinarität der Studiengänge soll zwar beibehalten, die Teildisziplin der Soziologie jedoch nur noch als Element studiert werden. Es ist zu befürchten, dass die Lehramtsstudiengänge so zunehmend von den Fachwissenschaften entkoppelt und insbesondere um soziologische Inhalte gekürzt werden. Dies würde zu einem erheblichen Qualitätsverlust des Studiums führen. Aber nicht nur das: Auch in den Schulfächern Wirtschaft/Politik und Sozialwissenschaften sind viele soziologische Inhalte zentral. Angehende Lehrkräfte brauchen hierfür eine adäquate wissenschaftliche Ausbildung. Diese Ausbildung wird jedoch mit der geplanten LZV ausgehöhlt, mit gravierenden Folgen für die Qualität des späteren Unterrichts.

Ich habe mich bewusst für das Studienfach Sozialwissenschaften entschieden, weil mir eine interdisziplinäre Ausbildung wichtig war und ist. Die multiperspektivische Betrachtung von gesellschaftlichen Phänomenen ist konstitutiv für die Sozialwissenschaften. Durch die geplanten Änderungen besteht die Gefahr, dass sich Studieninteressierte in Zukunft gegen das Studienfach entscheiden. Dies wäre fatal, denn keine andere Fächergruppe wird bereits jetzt so häufig fachfremd unterrichtet.

Integrative politische Bildung stärken

Es ist Zeit, sich fernab ökonomischer Verengung und beruflicher Instrumentalisierung zu fragen, was (sozialwissenschaftliche) politische Bildung leisten kann und muss. Angesichts zunehmender antisemitischer sowie rassistischer Taten sowie einer wachsenden Zustimmung für autoritäre Politik weltweit ist es unverständlich, dass die Landesregierung, wenn es um politische Bildung geht, auf Kenntnisse über Mobilfunkverträge und Institutionenkunde setzt. Sozialwissenschaftlicher Unterricht sollte Schüler*innen befähigen, sich kritisch mit gesellschaftlichen Strukturen und der persönlichen Verstrickung in eben diese auseinanderzusetzen. Schule ist nicht der Ort marktförmiger Anpassung, sondern der Ort der Förderung eines kritisch-demokratischen Bewusstseins.

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