lautstark. 12.03.2021

Wenn Nachhaltigkeit in Schule und Unterricht erfahrbar wird

Nachhaltigkeit

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Büchertauschbörsen, Repair-Cafés und Schüler*innenfirmen mit fair gehandelten Produkten: Immer mehr Schulen etablieren Nachhaltigkeitsprojekte in ihrem Alltag und behandeln das Thema im Unterricht. Das Ministerium für Schule und Bildung NRW unterstützt diesen Prozess mit seiner Leitlinie Bildung für nachhaltige Entwicklung und plant langfristig, BNE in Lehrplänen sowie in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte zu verankern. Doch die systematische Umsetzung braucht noch Zeit.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2021 | Nachhaltig leben, lehren und lernen
  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Mit einem Schulgarten fing alles an: Als Referendar verwandelte René Jungbluth ein brach liegendes Gelände in einen naturnahen Ort mit Insektenhotel und Kräuterspirale. Heute unterstützt der Gymnasiallehrer andere Schulen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit – als pädagogischer Leiter des Landesprogramms Schule der Zukunft (SdZ).

Seit 2003 gibt es die gemeinsame Initiative des Schul- und des Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen. Im vergangenen Herbst wurde sie neu aufgelegt – als offizielles Landesprogramm mit einer neuen Website und strukturellen Veränderungen, die noch mehr Teilnehmende ansprechen sollen. Schulen können sich nun jederzeit online anmelden. Grundlage sind neue Ausschreibungskriterien, fußend auf der BNE-Leitlinie des Schulministeriums aus dem Jahr 2019. „Wir möchten Schulen motivieren, BNE-Aktivitäten durchzuführen und im Unterricht zu implementieren“, erklärt René Jungbluth. Dazu bietet das Programm Vernetzungsmöglichkeiten, Fortbildungen, Schüler* innenakademien und außerschulische Partnerschaften.

Die nordrhein-westfälische Leitlinie BNE basiert auf einer wissenschaftlichen Analyse bestehender Lehrpläne und soll BNE landesweit in der Schul- und Unterrichtsentwicklung verankern. Sie dient auch als Orientierung für zukünftige Lehrpläne und die Lehrerkräftefortbildung in diesem Bereich. Erste Umsetzungen gibt es in den Kernlehrplänen für die Sekundarstufe I der Gymnasien. In der BNE-Leitlinie finden Lehrkräfte auch Anregungen für die Umsetzung der Inhalte. Darüber hinaus schafft das 40-seitige Dokument Anreize für einen nachhaltigen Schulalltag – zum Beispiel durch das Programm Schule der Zukunft.

Vier Kriterien für eine Schule der Zukunft

Interessierte Schulen, die an dem Programm teilnehmen wollen, können ihre BNE-Aktivitäten online dokumentieren. Regionale Jurys beurteilen dann, ob eine Auszeichnung als Schule der Zukunft möglich ist. Die Bewertung erfolgt nach vier Kriterien: Hat die Schule eine bestimmte Zahl von Veranstaltungen initiiert, die sich an der BNE-Leitlinie orientiert? Gab es Kooperationen mit außerschulischen Partner*innen? Haben sich Lehrer*innen und Schüler*innen erfolgreich fortgebildet? Und schließlich: Haben sie ihre Aktivitäten öffentlichkeitswirksam kommuniziert? Je nach Erfüllung dieser Kriterien wird die Bewerberschule einer von drei möglichen Entwicklungsstufen zugeordnet. Sie erhält ihre Auszeichnung für zwei statt wie bisher für vier Jahre – eine der wichtigsten Neuerungen im aktuellen Programm. Der verkürzte Auszeichnungszeitraum soll Schulen animieren, kontinuierlich an ihren BNE-Aktivitäten zu arbeiten und sie weiterzuentwickeln. Nach zwei Jahren können sie sich erneut um eine Auszeichnung als Schule der Zukunft bewerben und Projekte aus dem ersten Zyklus intensivieren. Das bietet die Chance, eine höhere Entwicklungsstufe des Landesprogramms zu erreichen.

In der jüngst abgeschlossenen Projektrunde von 2016 bis 2020 waren fast 600 Schulen erfolgreich. Das sind etwa zehn Prozent aller Schulen in NRW. „Mit dieser Bilanz sind wir sehr zufrieden“, sagt René Jungbluth. Schon jetzt sei außerdem eine positive Weiterentwicklung absehbar. „Trotz der Corona-Krise haben wir seit Oktober schon 164 Anmeldungen verzeichnet.“ In Zeiten der Pandemie finden sämtliche SdZ-Veranstaltungen online statt. Zumindest die nächsten Auszeichnungsfeiern für Schulen im Jahr 2022 könnten aber wieder regulär organisiert werden, hofft René Jungbluth: „Diese Feiern mit Presse und Politik haben immer einen hohen Stellenwert. Hier bemerken wir ein Rieseninteresse der Schüler*innen.“

Wettbewerb stellt Ressourcenschonung in den Mittelpunkt

Einen ähnlichen Effekt hat sich ein Wettbewerb der Deutschen Umweltstiftung zunutze gemacht. In Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt hat sie 2020 erstmals das Projekt Einfach machen – Suffizienzdetektive ins Rennen geschickt. „Suffizienz ist eine der drei Nachhaltigkeitsstrategien, die in der Öffentlichkeit noch nicht so bekannt ist – und die gerade deshalb möglichst früh vermittelt werden sollte“, erklärt Michael Golze, Pressesprecher der Umweltstiftung.

Anknüpfend an eine bundesweite Medienkampagne unter dem Motto Kaufnix – Schluss mit unbedachtem Konsum entstand ein umfassendes Unterrichtspaket für Schüler*innen der Sekundarstufe I – mit Lernfilmen, Broschüren und altersgemäßer Begleitung über Social Media. Die Idee: Schüler*innen adaptieren vorhandene Ideen zur Ressourcenschonung, setzen sie in eigene Projekte um und dokumentieren das Ganze in kurzen Videoclips. „Der Wettbewerbscharakter war ein großer Ansporn für die Schüler*innen“, sagt Michael Golze. Vier Wochen vor dem Einreichungsschluss gab es bereits 95 Anmeldungen und 45 vollständige Einreichungen, darunter viele aus NRW. Auch ein erster Austausch mit beteiligten Lehrer*innen habe durchweg positive Rückmeldungen hervorgebracht. „Wir planen deshalb, aus dem Projekt einen jährlichen Wettbewerb zu machen, und suchen dafür starke Partner.“ 

Mehr Struktur für BNE-Umsetzung gewünscht

Neben landes- und bundesweiten Initiativen gibt es auch regionale, wie das Netzwerk Zero Waste in Köln. Mit seiner Idee einer müllfreien und nachhaltigen Zukunft tritt der Verein an alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens heran – so auch an Schulen. Vier Lehrerinnen haben dazu im Juli 2019 das Schulnetzwerk für Nachhaltigkeit gegründet. „Wir streben einen Austausch über Unterrichtskonzepte und Materialien zu Nachhaltigkeitsthemen an und wollen auch neue Konzepte entwickeln“, sagt Hanna te Heesen, eine der Initiatorinnen. Zunächst aber gehe es um einen Forderungskatalog an die Schulträger. Denn Nachhaltigkeit müsse in den Schulprogrammen verankert und von den Schulträgern gefördert werden, betont die Gymnasiallehrerin. „Es gibt ein großes Interesse bei den Schüler*innen und viele gute Ansätze. Aber am Ende hängt der Erfolg vom Engagement einzelner Lehrer*innen ab.“ Es brauche deshalb strukturelle und finanzielle Voraussetzungen.

BNE wird Thema in Fort- und Ausbildung

Dem stimmt auch Wulf Bödeker, BNE-Berichterstatter der Kultusministerkonferenz, zu. „Schulen und Schulträger haben eine große Verantwortung für das Gelingen von BNE. Schule ist ja nicht nur Lernort, sondern auch Lebenswelt der Schüler* innen, wo nachhaltige Entwicklung unmittelbar erfahrbar wird“, sagt Wulf Bödeker. Konkrete Lernanlässe entstehen, wenn Bildungsbereich und kommunale Nachhaltigkeitsprozesse verknüpft werden. Es bieten sich vielfältige Anknüpfungspunkte, bei denen Schulen und Träger zusammenwirken können: eine „grüne“ Gestaltung des Schulgeländes, ein niedriger Ressourcenverbrauch, ein energiearmer Betrieb der Schule oder nachhaltige Mobilität auf dem Schulweg.

Grundsätzlich hätten viele Schulen in NRW bei der Umsetzung von BNE einen Schritt nach vorne gemacht, betont Wulf Bödeker. „Mit der BNE-Leitlinie hat NRW das Thema systematisch verankert. Zum Beispiel wurde ein Hochschulnetzwerk gegründet, um BNE auch im Studium stärker zu berücksichtigen. Nun wird an einem großen Programm zur Schulung der Lehrkräfte gearbeitet – es wird jedoch noch dauern, bis BNE umfassend in die Fortbildung implementiert ist.“ Die Vermittlung von BNE sei eine hochkomplexe Aufgabe, es gehe schließlich um den Wissens- und Fähigkeitserwerb zur Gestaltung unserer Zukunft. „Bis solche Kompetenzen messbar zunehmen, ist es ein langer Weg. Aber wir sind schon viel weiter als vor fünf Jahren“, so der BNE-Berichterstatter aus NRW.

Nachhaltige Schreibwaren an der Lippetalschule

In seinem Schreibwarenladen Be-fair bietet das B-Team der Lippetalschule Schüler*innen und Lehrkräften in den Pausen verschiedene fair gehandelte und nachhaltige Schreibmaterialien an. Damit wollen die Schüler*innen einen Beitrag für Umwelt und Gesundheit zugleich leisten. Denn das B-Team möchte den Stress im Schulalltag reduzieren, den fehlende Materialien auslösen können. Gegründet wurde die Schüler*innenfirma 2018 im Rahmen eines Projekts des Landesprogramms Bildung und Gesundheit. Betreut wird der Shop von zwölf Schüler*innen der Jahrgänge 7 bis 10 und zwei Lehrerinnen.

Klimaschutzprojekte am Julius-Stursberg-Gymnasium

Die Schüler*innen der Protect-Our-Planet-Gruppe (POP) möchten ihre Schule nachhaltiger gestalten und haben mit Schulleitung und Klimaschutzmanagement der Stadt schon verschiedene Maßnahmen umgesetzt. So wurden beispielsweise Smartboards und Wasserhähne energie- und wassersparend eingestellt, zum Kopieren und im Schriftverkehr wird ausschließlich Recyclingpapier verwendet und auf dem Schuldach erzeugt eine Fotovoltaikanlage Energie. Neuester klimafreundlicher Clou ist die Handyladung via Smartbench, einer Sitzbank auf dem Schulhof mit integriertem Solarmodul. Zudem nimmt die Gruppe an Energiemessen und Klimawettbewerben teil.

Demokratieerziehung und globales Lernen an der Gesamtschule Scharnhorst

Als UNESCO-Projektschule engagiert sich die Gesamtschule Scharnhorst seit Jahrzehnten für Menschenrechtsbildung und Demokratieerziehung, interkulturelles Lernen, Umwelterziehung und globales Lernen. Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele spielen dabei natürlich auch eine Rolle. Um den Schüler*innen beispielsweise schon früh demokratische Strukturen und ihr Recht auf Mitbestimmung bewusst zu machen, hat die Schule den Klassenrat fest im Schulalltag integriert. In ihrem Fairen UmweltSCHulLaden FUSCHL bieten Schüler*innen in den Pausen fair gehandelte Waren sowie umweltfreundliche Schulmaterialien an – und das seit über zehn Jahren.

Lernen im energetischen Gebäude am Max-Born-Berufskolleg

Seit zehn Jahren ist das Max-Born-Berufskolleg im Rahmen des Projekts Schule der Zukunft im Bereich Nachhaltigkeit aktiv. Darüber hinaus lehren und lernen Lehrkräfte und Schüler*innen in einem Gebäude, das mit einem besonderen Energiekonzept ausgestattet ist. Die Doppelglasfassade, das Energiemanagement der Lüftung und die Regenrückgewinnung für die Toilettenspülungen zeigen die nachhaltigen Ansätze der Architektur. Innovatives Element ist zudem die Bauteiltemperierung über in die Decken integrierte, innenseitig gerippte Rohre aus Leichtmetall, die als Zuluftkanäle in eine mechanische Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung eingebunden sind. Die helle, mit Holzböden und -decken ausgestattete Schule bietet zudem eine ansprechende Lernatmosphäre.