lautstark. 12.03.2021

In frühester Kindheit die Zukunft gestalten

Frühkindliche BildungSozial- und ErziehungsdienstSozialpädagogikFachkräftemangel

Bildung für nachhaltige Entwicklung in Kitas

Eine Gesellschaft, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sein will, braucht ein gutes Fundament. Sie braucht Kinder mit stabiler Persönlichkeit, die emotionale Stärke zeigen, achtsamen Umgang mit sich und anderen pflegen, kommunikativ sind und ihre motorischen Fähigkeiten erprobt haben. Nachhaltigkeit in der Frühkindlichen Bildung ist heute also keine Frage mehr. Nur wie und wo anfangen?

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2021 | Nachhaltig leben, lehren und lernen
  • Autor*in: Klaus Hübner
  • Funktion: Lehrbeauftragter für Bildung für nachhaltige Entwicklung an der evangelischen Hochschule Nürnberg
Min.

Die Herausforderungen für Mensch und Planet im 21. Jahrhundert sind gewaltig: Klimawandel, Digitalisierung, Wüstenbildung, Überfischen der Meere, Artensterben, zunehmende globale Ungleichheit, weltweit steigender Ressourcenverbrauch oder Flucht- und Migrationsbewegungen – um nur einige Beispiele zu nennen.

Auseinandersetzung mit Wertesystem ist elementar

Am Anfang der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht die Auseinandersetzung mit unserem Wertesystem: Setze ich meine Kompetenzen ein, um mir Vorteile in dieser Gesellschaft zu verschaffen oder leiste ich mit dem, was ich kann, einen Beitrag dazu, das Leben für alle gleich lebenswert zu machen? Für den Elementarbereich heißt das, bei allen Angeboten zu überlegen, wie Offenheit, Verantwortungsbewusstsein, Wir-Gefühl, Vertrauen, Selbstachtung und vor anderen entwickelt und gefestigt werden können. Im Idealfall eingebettet in eine Matrix aus Lebensfreude als Grundhaltung, die es den Kindern ermöglicht, sich mit einem positiven Fokus auf das Leben motiviert und kraftvoll entwickeln zu können.

Schon die alten Griechen identifizierten vier Kardinaltugenden, die eine Gesellschaft zusammenhalten: Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung. Vor über 2000 Jahren erdacht, sind sie heute in der Nachhaltigkeitsdebatte aktuell. Wir können Klugheit als die Fähigkeit interpretieren, vernetzt zu denken und vorausschauend zu planen, Tapferkeit als Zivilcourage und Mäßigung als Aufforderung über ein gutes Leben nachzudenken, statt über immer mehr Besitz und Wachstum. 

Sind wir in Bezug auf unsere Kompetenzen in der gesamten Bildungslaufbahn schon sehr weit, so stecken wir bei der Wertevermittlung noch in den Kinderschuhen. Es genügt nicht, auf das Grundgesetz zu verweisen, in dem elementare Werte wie die Würde des Menschen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Gerechtigkeit oder Freiheit festgeschrieben sind.

Werte müssen in der täglichen pädagogischen Praxis nachhaltig angelegt, gefördert und vorgelebt werden. Denn mit kommunikativen und motorischen Kompetenzen sowie Teamfähigkeit lässt sich auch ein Mafiaunternehmen führen. Nachhaltige Bildung für eine lebenswerte Zukunft fängt in der Kita an und das pädagogische Personal begleitet Kinder dabei, sie zur Zukunftsgestaltung zu befähigen.

Wirtschaft, Ökologie und Soziales zusammen denken

Das Leitbild „Nachhaltige Entwicklung“ wurde auf dem Erdgipfel 1982 in Rio de Janeiro eingeführt. Auf der damaligen Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung definierte die Weltgemeinschaft als gemeinsames Ziel, allen Ländern und Völkern gleiche Entwicklungsmöglichkeiten zu ermöglichen, dabei auch die Interessen nachfolgender Generationen zu berücksichtigen und insbesondere den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu gewährleisten. 178 Staaten schlossen sich dem auf dieser Konferenz entwickelten Aktionsprogramm „Agenda 21“ an. Es enthält konkrete Handlungsempfehlungen für die Umsetzung von Nachhaltigkeit auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene.

Das grundlegend Neue an nachhaltiger Entwicklung ist, dass die wirtschaftliche Dimension unseres Handelns, die ökologische Dimension und die soziale Dimension zusammengedacht werden müssen. Dies gilt auf allen Ebenen: Mein persönliches Handeln hat Einfluss auf Wirtschaft, Umwelt und soziales Miteinander ebenso wie Beschlüsse eines Stadtrats, einer Landeskammer oder – im Falle der Bundesrepublik – unseres Parlaments.

In Kapitel 36 der Agenda 21 ist die Bedeutung der Bildung in Hinblick auf Nachhaltigkeit umschrieben: „Bildung ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Forderung einer nachhaltigen Entwicklung und die Verbesserung der Fähigkeit, den Menschen sich mit Umwelt und Entwicklungsfragen auseinanderzusetzen“.

Kita als Keimzelle nachhaltiger Entwicklung

Das grundlegend Neue an nachhaltiger Entwicklung ist, dass die wirtschaftliche Dimension unseres Handelns, die ökologische Dimension und die soziale Dimension zusammengedacht werden müssen. „Heute nicht auf Kosten von morgen und hier nicht zu Lasten von anderswo leben“ ist ein Leitsatz, den wir dabei anwenden können. Im Alltag ist es nicht immer einfach, auch danach zu handeln. Wenn wir aber damit beginnen, wie es auch die Agenda 21 der Vereinten Nationen festschreibt, „zum frühestmöglichen Zeitpunkt überall auf der Welt und in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Umwelt- und Entwicklungsbewusstsein zu entwickeln“, haben Kinder eine große Chance nachhaltig etwas zu verändern, sprich: ihre Zukunft in einer vielfältigen Welt zu gestalten.

Das institut futur der Freien Universität Berlin hat Gestaltungskompetenz als Fähigkeit definiert, „Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können“. Auf den Elementarbereich angewendet heißt das, Kinder zu befähigen, in ihren Wirkungskreisen mitgestalten zu können, sie einzubeziehen in Vorbereitung und Durchführung von Projekten und Tagesabläufen. Das Zauberwort ist Partizipation: die Kinder ernstnehmen, sie ihre eigene Stärke und die der Gruppe erleben lassen. 

Die Natur als optimaler Lernort

Kindliche Fähigkeiten und Fertigkeiten lassen sich mit Themen der nachhaltigen Entwicklung hervorragend verbinden. Als ganzheitlich hat sich insbesondere der Lernort Natur zur Vermittlung von Kompetenzen und zur Werten erwiesen. In natürlicher Umgebung lassen sich motorische und soziale Kompetenzen sowie Gestaltungskompetenz optimal fördern sowie Werte wie Achtsamkeit mit sich, anderen und der Natur oder Gerechtigkeit vermitteln. Das menschliche Gehirn hat sich am Lernort Natur entwickelt, das heißt im Umkehrschluss, dass diese natürliche Umgebung perfekte Reize für die Entwicklung unserer Fähigkeiten und Fertigkeiten bietet. 

Hugo Kükelhaus, der Initiator des Erfahrungsfeldes zur Entfaltung der Sinne hat beispielsweise die Bedeutung von motorischer Entwicklung so formuliert: „Alle Organe des Menschen sind auf Bewegung hin ausgelegt.“ Je breiter also das Bewegungsangebot ist, das wir Kindern machen, desto besser entwickeln sie sich. Aus der Psychomotorik wissen wir auch, wie eng der Zusammenhang zwischen motorischer und geistiger Entwicklung ist. Bewegungsbaustellen wie ein abwechslungsreich gestaltetes Außengelände oder Spielgeräte mit hohem Aufforderungscharakter bieten vielfältige Möglichkeiten sich zu erproben. Aber eine große Wiese, ein Waldgrundstück oder ein Bachlauf toppen solche Angebote: Das Kind achtet mit allen Sinnen auf unterschiedliche Untergründe und Hindernisse sowie die Wahrnehmung vielfältiger Eindrücke.

Ganzheitliche Erlebnisse wie diese lohnen den Aufwand, naturnahe Lernorte aufzusuchen, und beispielsweise regelmäßige Treffen mit Förster*innen im Wald zu organisieren oder mit Bäuer*innen oder einem Obst- und Gartenbauverein über die Benutzung eines Wiesengrundstückes oder einer Streuobstwiese.

Kinder stellen Fragen nach gut, richtig, falsch, fair oder unfair, denn sie begegnen diesen täglich in den Verhaltens- und Wertesystemen von Eltern, Geschwistern, Verwandten, Spielgefährt*innen, Erzieher*innen und der Kita-Gruppe. In der Regel werden solche Wertvorstellungen im Alter von null bis sechs Jahren wesentlich von der Familie geprägt: Wie gehen wir miteinander um? Wie wirkt mein Verhalten auf andere? Wie halte ich andere Einstellungen aus? Deshalb ist gerade beim Thema Werte die Erziehungspartnerschaft Eltern-Kita essenziell. Alle Erwachsene im Leben der Kinder nehmen beim Thema Werte eine Vorbildfunktion ein und sollten nicht moralisieren.

Nachhaltigkeit im Kita-Alltag

BNE hat das Potenzial die Kompetenz- und Werteentwicklung der Kinder mit Themen wie Wasser, Erde, Biodiversität oder Ernährung in den Kitaalltag einzubinden. Kitas als familienbegleitende Einrichtungen können im intensiven Austausch mit den Eltern Akzente für nachhaltige Entwicklung setzen und umgekehrt. Konkrete Handlungsansätze in Kitas gibt es an folgenden Stellen:

  • Träger der Kita: Viele nachhaltige Entscheidungen werden auf Ebene des Trägers getroffen.  Im Idealfall schafft dieser die notwendigen Voraussetzungen für ein nachhaltiges Konzept der Einrichtung, unterstützt die Erzieher*innen und geht als Vorbild voran – sei es durch Nutzung von Ökostrom, einer naturnahen Außengeländegestaltung oder entsprechende Weiterbildungsangebote.
  • Nachhaltigkeit als neuer Schwerpunkt in der Aus- und Weiterbildung von Erzieher*innen: Trotz vorhandener Rahmenrichtlinien zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, sind ihre Inhalte und Methoden bisher nicht nicht prüfungsrelevant. Prüfungsrelevanz würde für eine flächendeckende Implementierung im Ausbildungskanon der Erzieher*innen sorgen. Die momentane Freiwilligkeit wird der Bedeutung nachhaltiger Entwicklung nicht gerecht.
  • Akteure in der Gemeinde: Ganz nach dem Motto „Gemeinsam etwas bewirken“ können Kitas als Teil eines Netzwerks bestehend aus Vertreter*innen der Verwaltung, Eine-Welt-Läden, Landwirtschaft, Förster*innen, Handwerk, Medien, Imker*innen oder Firmen aktiv werden und BNE-Projekte initiieren, unterstützen und verstetigen. 

Für die Umsetzung von BNE in der Kita müssen ausreichend Ressourcen im personellen und finanziellen Bereich bereitgestellt werden – hier ist die Politik dringend gefragt. Denn schließlich sollte schon in der Frühkindlichen Bildung gelten: unite behind sience. Expert*innen aus Gehirnforschung, Psychologie und Pädagogik weisen seit Jahren auf die zentrale Bedeutung der ersten Lebensjahre für eine gelungene Entwicklung hin. Würden die Erkenntnisse aus der Forschung bereits im Kita-Alter von Profis in ihrem Bereich regelmäßig umgesetzt, wäre eine stabile Grundlage für eine nachhaltige Zukunft geschaffen. Investitionen in unsere Jüngsten sind Investitionen in unsere Zukunft: für unsere Gesellschaft, in unser Klima, in unsere Wirtschaft, in unser Gesundheitssystem.

 

Die Kita Glückspilz

Insektenschutz, Klima und Nachhaltigkeit – für all diese Themen sensibilisiert die Kita Glückspilz Kinder und ihre Familien mit vielfältigen Aktionen. Der Lernort Natur spielt dabei eine besondere Rolle. Das neu gestaltete Außengelände beispielsweise bietet mit Käferhöhle, bienenfreundlicher Wildblumenwiese, selbst gebauter Getränkestation für Bienen (Foto) und Vogelhäusern viel Lebensraum für heimische Tiere. Durch Obst- und Gemüseanbau lernen die Kinder, wo ihre Nahrung herkommt. So entwickeln sie von Anfang an Empathie für Lebewesen und Pflanzen.

Das Fantasielabor

Das Fantasielabor ist ein Bildungs- und Projekthaus, hinter dem der Gedanke steckt, Nachhaltigkeit und Kreativität zusammenzubringen. Im Materiallager werden vermeintliche Abfälle gesammelt, geordnet und ästhetisch ansprechend präsentiert. Diese Materialien können Kinder in Ateliers und Werkstätten erforschen, über sie philosophieren und sich mit ihnen auf kreative Art auseinandersetzen. Ein besonderer Fokus wird im Fantasielabor auf kulturelle Bildung gelegt, also auf kreatives Denken und Gestalten, künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten, Gemeinschaftlichkeit, Individualität und kulturelle Teilhabe.

Farbe aus Pflanzen

Die Villa Kunterbunt Dinslaken

Die Grundsätze einer Bildung für nachhaltige Entwicklung spielen in der Villa Kunterbunt eine bedeutende Rolle. So werden den Kindern unter anderem Möglichkeiten geboten, sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur sowie mit Fragen der Gerechtigkeit auseinanderzusetzen. Im Rahmen des Färbergarten-Projekts (zusammen mit dem Netzwerk sevengardens), bei dem die Kinder zu Expert*innen in der Farbherstellung aus Pflanzen werden, steht beispielsweise die Vermittlung von Selbstwirksamkeit und Gestaltungskompetenz im Mittelpunkt. Damit wird die Grundlage gelegt, die Kitakinder zu befähigen, als Erwachsene die Zukunft der Welt so mitzugestalten, dass sie lebenswert bleibt.