lautstark. 12.03.2021

Schulverpflegung: Frisch gekocht oder kalt geliefert?

Nachhaltigkeit

Nachhaltige Ernährung in Schulen

Ob Ganztagsschule, Hort oder Nachmittagsbetreuung: Immer mehr Schüler*innen nehmen ihr Mittagessen in der Schule ein. Bei der Speisenauswahl spielt nicht nur der Geschmack der Kinder und Jugendlichen eine Rolle, sondern auch das Thema Nachhaltigkeit nimmt zunehmend Fahrt auf. Dabei stellt sich die Systemfrage: Schneidet die Frischeküche oder das Catering-Unternehmen besser ab?

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2021 | Nachhaltig leben, lehren und lernen
  • Autor*in: Rüdiger Kalhke
  • Funktion: freier Journalist
Min.

Zwischen Tür und Angel noch schnell das Pausenbrot eingesteckt. Meist eine Stulle mit Leberwurst, eingewickelt in Pergamentpapier. Dazu manchmal ein Apfel. Das reichte, um den Vormittag in der Schule zu überstehen – zu meiner Schulzeit jedenfalls. Mit den Ganztagsangeboten ist Schulverpflegung, besonders wenn sie durch das Adjektiv nachhaltig geadelt wird, zum komplexen Thema geworden.

Bis zu 1.000 Essen inklusive Büffet geben Mensaleiter Stefan Striegl und sein 17-köpfiges Team an der Gesamtschule Paderborn- Elsen an Spitzentagen aus. Die Schüler*innen können dabei zwischen Nudelstraße, Salatbüffet und Snackbereich wählen. Stehen Bratwürstchen auf dem Speiseplan, gibt es sie in den Varianten Schweinefleisch, Geflügel oder vegetarisch. Die Backwaren fürs Frühstück kauft der Koch bei heimischen Betrieben. Das verkürzt die Transportwege und stärkt die regionale Wirtschaft. Stefan Striegl kocht frisch, hochwertig und preiswert. Das Monatsabo fürs Essen an fünf Tagen pro Woche kostet für die Schüler*innen 45 Euro.

Selbst gekocht dank Förderverein

„Mischküche mit hohem Frischeanteil“, nennt Sigrid Beer das Konzept. Die Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen ist Vorsitzende des Fördervereins, der die Mensa betreibt. Nachdem Versuche mit verschiedenen Caterern gescheitert waren, nahm der Förderverein die Schulverpflegung selbst in die Hand und stellte einen Koch ein. Die Stadt Paderborn als Schulträger investierte rund eine Million Euro in die Zubereitungsküche. „Wir kaufen sehr bewusst Convenience-Produkte ein“, sagt Sigrid Beer. Tiefkühlgemüse helfe, Arbeitsabläufe zu optimieren. Zudem baue man „sukzessive das Thema Nachhaltigkeit und ökologische Beschaffung aus“. Bei Milch und Milchprodukten gibt es „eine Kooperation mit einem kleinen Milchbauern vor Ort“. Obst liefert ein Biohof, der auch Bildungsprojekte mit Kindern anbietet. Der Förderverein setzt auf Nachhaltigkeit, sieht aber auch Grenzen. Die liegen vornehmlich in der Verfügbarkeit der Produkte – und im Preis. Weil für das Essen auch Kosten eine Rolle spielen, kauft Stefan Striegl im Großhandel zu. Vernetzung vor Ort soll für mehr Verlässlichkeit beim Wareneingang sorgen. Sigrid Beer befürwortet das: „Was regional bewusst in der Landwirtschaft angebaut werden kann, das hat für uns Vorrang vor der Biotomate, die wir aus Spanien einführen.“

Frischkost spart Folienverpackungen

Ähnlich argumentiert Stephan Hammes, der in der Gesamtschule Kierspe kocht. Wenn die Möhren vom Feld ohne Umweg über die Tiefkühlkette in seine Küche kommen, sei das ein Beitrag zum Klimaschutz, „weil weniger CO2 in die Luft geblasen wird“. Höherer Arbeitsaufwand relativiere sich. „Wir kennen in der Küche keinen Abfall“, sagt er und schiebt Gemüsereste, Tomaten- und Gurkenkerne in einen Messbecher. Mit Gewürzen versehen wird daraus ein feines Dressing oder ein Fond als Basis für Suppen oder Soßen. Für Stephan Hammes ist klar: Selbst gemacht ist deutlich günstiger und umweltschonender als zugekauft. Allein beim Gemüse hat er 2020 rund 34 Kilogramm an Folien eingespart. Tiefkühlkost zu lagern, würde jährlich 1.500 Euro an Energiekosten für den Froster ausmachen, rechnet er vor.

Auf Verpackungsmaterial achten, Speisereste reduzieren, wenig verarbeitete Produkte integrieren – für Christin Hornbruch von der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW sind das Bausteine einer nachhaltigen Schulernährung. Dazu gehören neben saisonalen und regionalen Angeboten auch Bioprodukte. Durch Reduzierung von Fleischanteilen ließen sich Kosten sparen oder Mittel für Produkte aus artgerechter Haltung einsetzen. Die Vernetzungsstelle bietet individuelle Beratung für die Akteure in Sachen Schulverpflegung an. „Ein Blick in die internationale Küche lohnt sich“, rät Christin Hornbruch. Produkte wie Kichererbsen, Linsen oder Bulgur „bieten eine klimafreundliche und gesunde Vielfalt“.

Das deckt sich mit den Maßstäben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für eine ausgewogene Schulkost. DGE-Ökotrophologin Stephanie Klein empfiehlt „eine pflanzenbasierte Mittagsverpflegung“. Aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen sollten „beispielsweise Fleisch und Wurstwaren, mit Bedacht angeboten werden“.

Mit vielfältiger Menüauswahl und einer Ausweitung des vegetarischen Angebots richtet sich auch der externe Anbieter apetito nach den DGE-Maßstäben. Bei Systemen mit Tiefkühlung und punktgenauer Zubereitung vor Ort bleiben frisches Aussehen, Aroma und Geschmack erhalten. Sie ermöglichen vor Ort „eine portionsgerechte Planung, bedarfsgerechte Zubereitung und vermeiden so Essensreste“, so das Unternehmen, das NRW-weit rund 800 Schulen beliefert. Für Klaus Ludmann, Geschäftsführer der apetito kids & schools GmbH, gehört Nachhaltigkeit zum Konzept. Sein Fokus liegt auf saisonalem statt auf regionalem Bezug: „Wer im Winter frischen Salat möchte, kann diesen kaum regional beziehen.“ Der Einkauf von Fisch sei regional ebenfalls schwierig.

Nachhaltig können alle Systeme

Für Christin Hornbruch ist unstrittig: „Eine nachhaltige Verpflegung ist in allen Betreiberformen möglich.“ Es komme darauf an, alle Beteiligten für eine nachhaltige Idee zu gewinnen. Schulen, die selbst kochen, könnten „Angebote schneller und individueller“ anpassen. Wenn das Küchenteam morgens erfährt, dass einige Klassen nicht zum Essen kommen, „hat der Caterer die Sachen schon in der Pfanne“, nennt Stefan Striegl ein Beispiel.

Insgesamt geht es aber um mehr als das, was mittags auf den Teller kommt. Schulen werben mit Mensaangeboten oder deren Integration ins Schulprofil. Zur Nachhaltigkeit gehört auch Kontinuität. Die 1.000 Essen in der Gesamtschule Paderborn-Elsen zeigen das große Interesse. „Jeder kann so viel essen, wie er will. Das macht die Akzeptanz aus“, glaubt Stefan Striegl, der auch erklärt, was er kocht. Schüler*innen können beispielsweise selbst wählen, wie sie ihren Salat zusammenstellen. Das Ergebnis: Es fallen weniger Reste an. „Wenn ich erst mal probieren kann, ob mir etwas schmeckt, muss ich hinterher nicht so viel wegschmeißen“, sagt Sigrid Beer.

Nicht zuletzt geht es auch um Verbraucher*innenbildung und Ernährungsbewusstsein. Expert*innen zufolge sollte Schulessen „auch als ein Bildungsangebot verstanden werden“. Das Thema müsse sich durch alle Fächer ziehen, vom Schulgarten bis zum Politikunterricht. Diesen Punkt haben auch Caterer auf dem Schirm. Apetito setzt mit einer App am Alltag der Schüler*innen an, informiert digital über Schulthemen und Ernährung.

In der Gesamtschule Paderborn-Elsen gehört Verbraucher* innenbildung mit Hauswirtschaftsunterricht zum Profil. Für Sigrid Beer ist dies eine wichtige Verbindung, um in der Schule die Bedeutung von gutem Essen und gesunder Ernährung zu thematisieren. Die Mensa mit dem Unterricht zu vernetzen und so den Blick für gesundheits- und umweltpolitische Aspekte zu erweitern, ist auch Intention in Kierspe. Das Wissen über die Herkunft der Produkte und deren Wertschätzung sollen gefördert werden.

Lösung für jede Schule individuell

Bei einer Expert*innenanhörung im Schulausschuss des NRW-Landtags zur nachhaltigen Ernährung an Schulen im Februar 2020 wurde deutlich, dass jedes System Vor- und Nachteile hat. Die Lösung muss passen – für alle. Angesichts der Tatsache, dass von Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahre mehr als jede*r fünfte übergewichtig oder adipös ist, wird Schule zum „zentralen Ort für Prävention und Gesundheitsförderung“, so Stephanie Klein von der DGE zum Wert nachhaltiger Schulernährung. Dank hoher Reichweite bei der Schulverpflegung könnten viele Schüler*innen davon profitieren, „unabhängig von Einkommensgruppen oder Eltern“. Prof. Dr. Günther Hirschfelder (Uni Regensburg) hatte in der Anhörung angemahnt, Ernährungsbildung in Schulen ernst zu nehmen. So „betragen die gesellschaftlichen Folgekosten von Fehlernährung in Deutschland fast 80 Milliarden Euro pro Jahr. Mit jedem Euro, den wir in ein vernünftiges Ernährungssystem stecken, werden wir Folgekosten einsparen. Das sind Kosten, die sich rechnen.“