lautstark. 12.03.2021

Corona: Expert*innen aus Kita und OGS berichten

CoronaRegelbetriebBelastungOffene GanztagsschuleFrühkindliche BildungGehaltMPT – Fachkräfte im multiprofessionellen Team

Verschärfung des angespannten Status quo im Arbeitsalltag

Während der Corona-Pandemie stehen Beschäftigte ständig vor neuen Regelungen und veränderten Bedingungen. Über aktuelle Herausforderungen* während der Corona-Pandemie im Offenen Ganztag (OGS) und in den Kitas sprechen die GEW-Expert*innen Alexandra Klöckener und Berkan Kar.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2021 | Nachhaltig leben, lehren und lernen
  • im Interview: Berkan Kar | Alexandra Klöckener
  • Funktion: Erzieher, Betriebsratsmitglied, aktiv bei der GEW NRW | OGS-Leiterin, Mitglied im OGS-Ausschuss
  • Interview von: Roma Hering
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Wie hat sich eure Arbeit durch die Corona-Situation verändert und welche Herausforderungen bringt euer Arbeitsalltag mit sich?

Berkan Kar: Viele der städtischen Kitas in Köln sind derzeit mit 60 Prozent ausgelastet, wir haben die Betreuungszeit auf 35 Stunden reduzieren müssen. Die Kitas sind nicht im Notbetrieb wie im ersten Lockdown, auch wenn in der Presse oft der Eindruck erweckt wurde. Ab dem 22. Februar erwarten wir eine Auslastung von 100 Prozent.* Das stellt uns in Sachen Betreuungsschlüssel und Anzahl der benötigten Räumlichkeiten vor weitere Probleme: Die Kinder müssen in festen Gruppen, bei gleichbleibendem Personalstamm von mindestens zwei Pädagog*innen betreut werden – all das erschwert eine angemessene Umsetzung der Corona-Schutzverordnung. Positiv sind unsere Erfahrungen mit den Alltagshelfer* innen, die das Fachpersonal bei Desinfektions- und Reinigungsaufgaben unterstützen. Das würde ich mir auch für die OGS-Kolleg*innen wünschen, für die wir uns im GEW-Stadtverband Köln ebenfalls einsetzen. Die OGS ist von der Gesellschaft gewollt und systemrelevant. Das muss mit besseren Arbeitsbedingungen einhergehen!

Alexandra Klöckener: Es ist schön zu hören, dass die Kitabeschäftigten uns als Kolleg*innen wahrnehmen. Das Helfer*innenprogramm läuft bei uns ebenfalls an, allerdings ist die genaue Umsetzung noch nicht geregelt. Das Programm ist nur bis Ende dieses Schuljahres ausgelegt und müsste zügig realisiert werden, um wirklich für Entlastung zu sorgen. In meiner OGS werden Grundschulkinder seit jeher in konstanten Gruppen und festen Räumen betreut. Seit einem Jahr arbeiten wir hoch flexibel: Homeoffice, Notbetreuung, rotierende Systeme, Wechselunterricht, Wochenenddienste und Ferienbetreuung. Am Montag startet wieder das Wechselmodell: Eine halbe Grundschulklasse hat vormittags Präsenzunterricht und wird nachmittags in der OGS betreut. Für viel Unmut unter den Kolleg*innen sorgt der Vorschlag vieler Schulen, OGS-Kräfte am Vormittag einzusetzen. Das ist für viele Mitarbeiter*innen nicht ohne Weiteres möglich, weil sie neben ihrer OGS-Teilzeitstelle ohne Tarifbezahlung noch anderen Tätigkeiten nachgehen müssen, um ein Auskommen zu haben. Außerdem fehlen die Kolleg*innen dann am Nachmittag.

Welche Forderungen stellt ihr an die Politik?

Berkan Kar: Ich wünsche mir, dass das Land NRW endlich merkt, wie systemrelevant wir sind, und die Rahmen- bedingungen unserer Arbeit verbessert. Dafür brauchen wir eine flächendeckende Tarifbezahlung nach TVöD für Mitarbeiter*innen von OGS und Kitas. Der letzte Tarifabschluss von 3,7 Prozent honoriert nicht annähernd die Leistung der Beschäftigten. Die Stilisierung zu Alltagsheld*innen reicht nicht. Es gibt keinen anderen Berufszweig in Deutschland, der ohne Abstand und Masken arbeitet, wie es bei Kitabeschäftigten der Fall ist. Auch die OGS-Mitarbeiter*innen versuchen, unter Pandemiebedingungen der Schule und den Kindern gerecht zu werden. Deswegen fordern wir eine Corona-Prämie für alle Kita- und OGS-Beschäftigten von 1.000 Euro – steuerfrei.

Alexandra Klöckener: Wir kämpfen seit Jahren für eine faire Tarifentlohnung. Der überwiegende Teil meiner Kolleg*innen ist bei freien Trägern angestellt. Dort wird nach Haustarif oder in Anlehnung an den Tariflohn bezahlt, das würdigt oft weder Arbeitserfahrung noch Qualifikation. Wir brauchen eine Trägerschaft, die verbindliche Mindeststandards für Personal und Infrastruktur gesetzlich regelt, eine hinreichende Finanzierung und einen Rechtsanspruch auf Schulkindbetreuung. Nach 17 Jahren ist der Offene Ganztag in Nordrhein-Westfalen noch immer in der Erlasslage und nicht im Schulgesetz festgeschrieben und geregelt. Die Wege zwischen Bildungsministerium, Schul- und OGS-Träger sind lang. Das zeigt sich in der aktuellen Situation deutlich.

Wie kann die GEW NRW die Interessen des OGS- und Kitapersonals besser vertreten?

Alexandra Klöckener: Als ehrenamtliche Gewerkschaftlerin kann ich keinen Bereich aufbauen und mobilisieren, dafür bräuchte es hauptamtliche Mitarbeiter* innen. Momentan sind wir schlecht aufgestellt: Uns fehlt Kontakt zu GEW-Mitgliedern des Ganztags, es mangelt an Erfassung und Strukturen. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Beschäftigte in die Arbeit der GEW NRW einbringen und so dafür sorgen, mitgedacht zu werden.

Berkan Kar: Ich unterstütze die Aussage der Kollegin. Die GEW lebt vom Ehrenamt. Alle Stadtverbände brauchen deshalb Abteilungen mit hauptamtlichen Mitarbeiter*innen, denn Lehrer*innen haben in der GEW NRW eine starke Lobby. Aber auch für die Beschäftigten von Kitas und OGS muss sich die Gewerkschaft intern, besonders aber im Konfrontationskurs mit Politik und den Arbeitgeber*innen, deutlicher einsetzen.

 

* Das Interview fand am 19. Februar 2021 statt. Am 22. Februar wurde der Appell, Kitakinder möglichst zu Hause zu betreuen, aufgehoben; in Grundschulen startete erneut das Präsenz-Wechselmodell. Am 23. Februar wurde die Impfreihenfolge für Lehrer*innen an Grundschulen und Kitapersonal bundesweit auf Stufe 2 geändert.