lautstark. 27.02.2020

Hochschule und Forschung: „Gemeinsam für ein gesamtsolidarisches System“

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Erfahrungsbericht von GEW-Mitglied Mia Feldmann

Zeitverträge mit kurzen Vertragslaufzeiten, unsichere Berufsperspektiven und unberechenbare Karrierewege – das ist die Realität für Beschäftigte an Hochschulen und in der Forschung. Wie wird unter diesen Bedingungen Solidarität an Hochschulen gelebt? GEW-Mitglied Mia Feldmann berichtet von den Erfahrungen, die sie in ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn gemacht hat.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2020 | Solidarität – Zusammenhalt macht stark
  • Autor*in: Mia Feldmann
  • Funktion: Expertin der GEW NRW für Hochschule, Forschung und Wissenschaft
Min.

Solidarität ist im universitären Alltag aus meiner Sicht immanent, wird aber zugleich nur unbewusst gelebt. Wenn wir uns vorstellen, dass ein*e Wissenschaftler*in sich in der Regel in einer persönlichen Qualifizierungsphase befindet, wundert es nicht, dass sich der- oder diejenige in dieser Phase nicht für eine*n Kolleg*in oder sich zusammen mit anderen für ein gemeinsames Ziel einsetzt – denn das verstehe ich unter Solidarität. Die meisten Wissenschaftler*innen sind Einzelkämpfer*innen – sie suchen sich Projekte, in denen sie beispielsweise im Rahmen ihrer Promotionsarbeit oder auch losgelöst davon arbeiten können.

Auswirkungen auf Privatleben

Mehr als 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals an deutschen Hochschulen ist befristet beschäftigt. Das bedeutet, dass die oben genannte Qualifizierungsphase, in der die Wissenschaftler*innen nach einem Projekt suchen, mehrmals hintereinander folgt. Das erfordert ein gewisses Maß an Flexibilität. Dabei spielen unter anderem folgende Überlegungen eine Rolle: Suche ich nur in meiner Heimatstadt? Oder bin ich bereit wegzuziehen, und was bedeutet das für meine private Lebens- und Familienplanung? Das unfreiwillige Single-Dasein oder auch ungewollte Fernbeziehungen sind nicht selten die Folge dieser Rahmenbedingungen. Insbesondere Frauen schließen ihre Qualifizierung vermutlich aus diesem Grund seltener ab als Männer – je höher die Qualifizierungsstufe, umso niedriger ist der Frauenanteil – das ist nichts Neues.

Kollektive Ziele aus den Augen verloren

Aber was hat das mit Solidarität zu tun? Ein Beispiel: Angenommen, ich habe ein Projekt, in dem ich gerne arbeite und sogar das Gefühl habe, mich persönlich weiterentwickeln zu können, entweder durch ein passendes Dissertationsthema oder durch die Möglichkeit, verschiedene Texte zu publizieren. Konkret befasse ich mich im Arbeitsalltag mit persönlichen Themen oder widme mich in einem Verbundprojekt bestimmten Fragen, arbeite gemeinsam mit anderen daran und kann die Ergebnisse bestenfalls kollektiv veröffentlichen. Denke ich im Sinne eines Solidaritätsprinzips an andere oder denken die anderen Mitstreiter*innen an meine persönlichen Erfolge? Außerhalb von engen Freundschaften passiert das eher nicht. Es ist vielmehr so, dass wir in immer interdisziplinärer werdenden Teams kollektive Ziele aus den Augen verlieren, beispielsweise Arbeitszeitregelungen, allgemeine Arbeitsbedingungen sowie gleichberechtigte projektinterne Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Solidarität gegenüber Kolleg*innen wird aus meiner Erfahrung nicht offen vermittelt.

Auch, dass sich Vorgesetzte – häufig die Professorin oder der Professor des Fachbereichs – für eine mitarbeitende Person einsetzt, geschieht eher in Einzelfällen. Insbesondere Professorinnen, die lediglich knapp ein Viertel aller Professuren innehaben, haben sich selbst durch den akademischen Dschungel gekämpft und erwarten dies auch von ihren Schützlingen. Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Ich möchte nicht alle in der Wissenschaft Tätigen als egoistische Einzelkämpfer*innen abstempeln. Sicherlich habe ich schon erlebt, dass sich eine Gruppe von Wissenschaftler*innen in einem Projekt zusammengetan hat, um beispielsweise eine Kollegin mit Familienaufgaben zu beraten, zu stärken und sich für ein faire Behandlung dieser Person einzusetzen. Die Mehrheit der Kolleg*innen hat die Brennpunkte an den Hochschulen zwar erkannt, aber gehen wir gemeinsam dagegen vor? Nein! Wir sollten besser einmal mehr als zu wenig von uns auf andere schließen und auch mal rechts und links hören, wie es der Kollegin oder dem Kollegen geht. Vielleicht ist es so möglich, innerhalb des Wissenschaftsbetriebs sensibler für die Belange anderer zu werden und gemeinsam für ein anderes, gesamtsolidarischeres System einzustehen.

Forderungen der GEW

Die GEW fordert eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und dass mit den Mitteln aus dem „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ tatsächlich Dauerstellen für Daueraufgaben in der Lehre geschaffen werden.

Mit dem Templiner Manifest, im September vor zehn Jahren beschlossen, fordert die GEW:

  • Promotionsphase besser absichern und strukturieren
  • Postdocs verlässliche Perspektiven geben
  • Daueraufgaben mit Dauerstellen erfüllen
  • Prekäre durch reguläre Beschäftigung ersetzen
  • Im Gleichgewicht lehren, forschen und leben
  • Ausgeglichenes Geschlechterverhältnis durchsetzen
  • Gleichberechtigt mitbestimmen
  • Mobilität fördern, nicht bestrafen
  • Hochschule und Forschung bedarfsund nachfragegerecht ausbauen
  • Alle Beschäftigungsverhältnisse tarifvertraglich aushandeln

Das Templiner Manifest
tinyurl.com/Templiner-Manifest