lautstark. 27.02.2020

Überprüft: Gleichbehandlung bei Schulleitungsstellen

SchulleitungFrauenAntidiskriminierung

Studie zum Besetzungsverfahren

Welche Kriterien bei der Besetzung von Schulleitungsposten zum Tragen kommen und inwiefern Diskriminierungen dabei eine Rolle spielen, hat Prof. Dr. Katja Kansteiner in einer Studie untersucht.

Download pdf | 3 mb
  • Ausgabe: lautstark. 02/2020 | Zusammenhalt macht stark
  • Autor*in: Prof. Dr. Katja Kansteiner
  • Funktion: lehrt an der Pädagogischen Hochschule Weingarten
Min.

Während einerseits der Aufstieg von Frauen in Führungspositionen im Schulsystem insgesamt den Eindruck erweckt, dass die Idee der Gleichstellung verwirklicht ist, finden sich andererseits noch unterschiedliche Relationen von Männern und Frauen in der Schulleitung, vergleicht man die Schulformen. Außerdem wurden mir im Rahmen meiner Forschungstätigkeit zum Thema Schulleitung immer wieder Fälle erzählt, in denen es um die Bevorzugung männlicher Bewerber ging. Auch bestand der Eindruck, junge Bewerber*innen würden weniger gerne gesehen. Da das Schulleitungsbesetzungsverfahren wissenschaftlich noch kaum beleuchtet ist, lag es angesichts solch diskrepanter Beobachtungen nahe, den Umgang mit Differenzkategorien und die Frage nach möglicher Diskriminierung empirisch zu verfolgen.

Vor dem Hintergrund der Gleichstellungsstrategie des Gender Mainstreaming und dem auch andere Differenzkategorien beachtenden Ansatz des Diversity Management wurden in einem ersten Studienschritt Erfahrungen rund um das Schulleitungsbesetzungsverfahren von verschiedenen beteiligten Personengruppen eingeholt: Befragt wurden angenommene und abgelehnte Bewerber*innen sowie Vertreter*innen von Kommunalverwaltung, Personalrat und Schulaufsicht.

Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragte wurden aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für je eine spezifische Differenzkategorie in diesem ersten Studienschritt nicht befragt. Die Stichprobe (28 Personen, männlich/weiblich, aus zwei Bundesländern) entstand aufgrund datenschutzrechtlicher Einschränkungen auf eher unübliche Weise: Personen wurden angefragt, ob sie wiederum ihnen bekannte Personen hinsichtlich einer möglichen Beteiligung anfragen würden. Diese meldeten sich im Falle ihrer Bereitschaft ihrerseits beim Projektteam beziehungsweise gaben die Erlaubnis zur Kontaktaufnahme. Die Studienergebnisse sind im Hinblick auf das Zustandekommen der Stichprobe zu lesen. Interviewt wurden die Proband*innen zu ihrem Verständnis der Schulleitungsarbeit, Merkmalen von Bewerber*innen, ihren Kenntnissen und dem Nutzen von Gender Mainstreaming und Diversity Management sowie zu (möglichen) konkreten Diskriminierungsmomenten, von denen sie wissen. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der von der Max-Traeger-Stiftung geförderten Studie zusammengefasst.

Zentrale Differenzmerkmale: Geschlecht und Alter

Den Befragten ist der Anspruch an ein faires, den Vorgaben entsprechendes Bewerbungsverfahren bewusst. Mit dem Gender Mainstreaming fühlen sich die meisten vertraut, die wenigsten mit dem Diversity Management. Zentrale Differenzmerkmale, die die Befragten von sich aus nennen, sind vornehmlich Geschlecht und teilweise Alter. Mit Blick auf Frauen steht im Bewerbungsverfahren nicht die Kompetenz infrage, sondern teilweise der familiäre Status und die damit möglichen Versorgungszeiten für Kinder oder Angehörige. Vereinzelt kommt die Sorge zum Ausdruck, ob sich eine Frau mit jüngeren Kindern mit der Leitungsaufgabe zu viel zumute. Die Kategorie Alter wird mit dem Bezug zu jungen Bewerber*innen und dem damit einhergehenden geringeren Erfahrungsschatz genannt. Andere Differenzmerkmale wurden erst dann thematisiert, als sie den Proband*innen direkt als Wortkärtchen vorgelegt wurden.

Stereotype beeinflussen Entscheidungen

Derart eingeladen, direkt über Merkmale wie Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung und Ausbildung nachzudenken, zeigt sich ein anderes Phänomen. Neben der grundsätzlichen Führungskompetenz finden spezielle Personenmerkmale Beachtung, aus denen die Entscheider*innen die (Nicht-)Passung zum jeweiligen Schulfall ableiten. So wird beispielsweise von der Überlegung berichtet, ob ein homosexueller Bewerber in eine sehr konservative Region bestellt werden sollte oder eine Bewerberin mit Migrationshintergrund besser an eine Schule mit vielen Jugendlichen gleicher Herkunft. Im Hintergrund der Überlegungen stehen offensichtlich Fragen nach Akzeptanz beziehungsweise Durchsetzungsfähigkeit im Schulkontext, und Differenzmerkmale werden zur vermeintlich besseren Einschätzung dazu in Relation gesetzt. Das gut Gemeinte eröffnet so allerdings auch einen Bewertungsspielraum, in dem stereotype Vorstellungen Einfluss auf die Entscheidung nehmen können und die Vielschichtigkeit von Diversität, wie von Christine Riegel in Bildung – Intersektionalität – Othering (2016) dargelegt, nicht berücksichtigt wird.

Ungleiche Transparenz über den informellen Austausch

Relevant erscheint außerdem das Geschehen in informellen Gesprächen vor dem eigentlichen Verfahren. Einige Male wird berichtet, dass dort ungleich viel Transparenz und Ermutigung zur Bewerbung geboten wird, allerdings auch, weil Bewerber*innen unterschiedlich intensiv den Kontakt zur Schule oder Schulaufsicht suchen. Deutlich wird ferner, dass aufgrund des Netzwerks, das bereits über berufliche oder private Aktivitäten besteht, ein Teil der Bewerber*innen im Vorfeld gut bekannt ist und sich daraus individuelle, nicht vergleichbare Kontakte ergeben. Dies kann zu positiven oder negativen Einschätzungen über die Person führen, bevor sie sich im Verfahren überhaupt zeigen kann. Ein paar Proband*innen berichten außerdem, dass es im Vorfeld der Vorstellungen nicht selten vorkommt, dass die Bewerbung unerwünschter Kandidat*innen abgewendet würde. Die Empfehlung, die Bewerbung zurückzuziehen – unter anderem um negative Eindrücke zur Person (in der Personalakte) zu vermeiden –, gilt offenkundig als bekannte Praxis. Allerdings werden die Vorgespräche von den Interviewten nicht infrage gestellt und nicht als diskriminierend eingestuft.

Neue Gestaltungsmöglichkeiten bei Schulleitungsstellen

Diese ausgewählten Befunde zeigen, dass die Frage nach möglicher Diskriminierung im Schulleitungsbesetzungsverfahren nicht eindimensional zu beantworten ist. Zunächst ist festzuhalten, dass Frauen als selbstverständliche Kandidatinnen für die Leitungsaufgabe gesehen werden. Andererseits schiebt sich vor das Bild kompetenter weiblicher Führungskräfte mitunter die Verbindung von Frau und familiären Verpflichtungen. Anstelle sich jedoch dafür auszusprechen, Schulleitung so zu gestalten, dass eine solche Verbindung den Aufstieg in diese Position nicht einschränken muss, wird von manchen Befragten eher an einen Aufstieg nach der Kinderzeit gedacht. Damit kippt Gleichstellung.

Jungen Bewerber*innen wird mitunter eine gewisse Skepsis entgegengebracht, in der letztlich die Kompetenz für die Berufsausübung eher aus der Warte der Erfahrung als aus der Warte möglicher (und eingeforderter) Zusatzqualifikation eingeschätzt wird. Nicht nur aufgrund der darin liegenden Ungleichbehandlung, sondern auch wegen des derzeitigen Führungskräftebedarfs sowie der Möglichkeiten geteilter Führung wäre zu diskutieren, inwiefern wirklich die Schulerfahrung (mehrheitlich Jahre als Lehrkraft) für heutige Führungsaufgaben qualifizierend ist.

Mehr Informationsstruktur und Kontexttransparenz

Deutlich wird, dass das offizielle Anforderungsprofil an eine Schulleitung nur ein vorläufiger Versuch ist, möglichst allen Bewerber*innen zu gleichem Recht zu verhelfen. Bestimmte Konstellationen in regionaler und einzelschulbezogener Hinsicht führen dazu, eine Auswahl entlang weiterer Kriterien und damit entlang von Personenmerkmalen zu treffen. Geschlecht ist darunter nur eins; zum Tragen kommen auch andere, immer mit dem Risiko stereotyper Kategorisierung. Um zu vermeiden, dass solche undifferenzierten Schlussfolgerungen subtil dominieren, sollte weiterentwickelt werden, wie Kommissionen ihre Perspektiven auf Differenz und Vielfalt reflektieren können. Am Schulleitungsbesetzungsverfahren zeigt sich die übergreifende Problematik, einerseits Nichtdiskriminierung über Gleichbehandlungsvorgaben verwirklichen und zugleich Einzelschulen in ihrer Verschieden­heit angemessen versorgen zu wollen. Nicht von ungefähr berichten die Befragten von einigen Momenten der Ungleichbehandlung, deren Problematik sie sehen, die sie dennoch nicht als diskriminierend einstufen. Außerdem erscheint es unrealistisch, im Netzwerk den informellen Raum schließen zu wollen. Dieser müsste entsprechend gestaltet werden, damit alle Bewerber*innen von einer klareren Informationsstruktur und mehr Kontexttransparenz profitieren könnten. Bedenkenswert ist zuletzt, dass nichterfolgreichen Bewerbungen immer noch der Geschmack persönlichen Misserfolgs anhängt und Mechanismen der Verschleierung begünstigt werden. Wenn sich Personalmanagement kompetitiver Verfahren bedient, in denen auch Spezifika des jeweiligen Schulfalls zu berücksichtigen sind, dann kann nicht jede sich bewerbende Person passen. Deshalb wäre es empfehlenswert, es würde offensiver wertschätzend mit dem „Unterliegen“ umgegangen.

Die Geschichten, die mir erzählt werden, seit diese Studie zum Schulleitungsbesetzungsverfahren veröffentlicht wurde, legen nahe, empirisch einzelne Fälle genauer anzuschauen sowie mit Expert*innen die Weiterentwicklung dieses Bereichs des Personalmanagements zu beraten.

Mehr Wissen

Klick dich schlau!

Interview mit Prof. Dr. Katja Kansteiner