lautstark. 19.11.2019

Kommunale Mitbestimmung: Die Welt, wie sie uns gefällt

Mitbestimmung

Wuppertaler Bürger*innen bauen einen Spielplatz

Mit dem Bürger*innenbudget hat der Wuppertaler Bekir Cakin seine Idee von einem Spielplatz realisiert. Die Stadt hatte bei diesem Projekt nur wenig Mitspracherecht und hat den Einwohner*innen die Entscheidung überlassen.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2019 | Mitbestimmung: Gemeinsam viel bewegen
  • Autor*in: Iris Müller
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Mara läuft auf der blauen Drehscheibe auf dem Spielplatz Zur Waldkampfbahn in Wuppertal-Vohwinkel. Die Vierjährige wird immer schneller. Joscha und Anton, die ein Jahr älter sind, hängen sich von außen dran und lassen sich mitreißen. Die Kinder jubeln vor Freude. Ihre Eltern schauen entspannt zu. Auch Bekir Cakin ist an diesem Herbsttag zum Spielplatz gekommen. „Manchmal setze ich mich auf eine Bank, lehne mich zurück und schaue dem Treiben zu – das ist schon Erfüllung genug“, erklärt der 40-Jährige. Er hat großen Anteil daran, dass die Kinder hier unbeschwert spielen können, dass es zwei neue Spieltürme umgeben von frischem Sand gibt, dass die Seilbahn neu gespannt wurde und dass es spezielle Bänke für Jugendliche gibt. Im Sommer seien oft an die hundert Menschen auf dem Spielplatz.

Bürger*innen realisieren eigene Projekte

Die Sanierung des Spielplatzes wurde durch das Bürger*innenbudget ermöglicht, das die Stadt Wuppertal 2017 eingeführt hat. „Der Spielplatz war damals nicht bespielbar“, erklärt Ideengeber Bekir Cakin. Es habe Sicherheitsmängel gegeben, Spielgeräte waren abgesperrt und die Seilbahn hing durch. Eine Katastrophe für die Kinder in den angrenzenden Wohnsiedlungen, des Kindergartens und des Jugendzentrums. Der Elternbeirat des Kindergartens "Zur Waldkampfbahn" hatte sich an die Stadt gewandt, doch die hatte abgewunken: Kein Geld, die Stadt befinde sich im Nothaushalt. Doch dann wurden Bekir Cakin und der Elternbeirat auf das Bürger*innenbudget aufmerksam. Die Regeln: Jede*r kann ein Projekt vorschlagen, das nicht mehr als 50.000 Euro kostet. Es muss dem Gemeinwohl der Stadt dienen und innerhalb von zwei Jahren umzusetzen sein. Insgesamt standen 150.000 Euro zur Verfügung. Es konnten also mehrere Projekte profitieren.

„Das Bürger*innenbudget bietet einen niedrigen Einstieg in Beteiligung, schließlich haben viele Bürger*innen Ideen für ihre Stadt“, erklärt Clara Utsch von der Stabsstelle Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement der Stadt Wuppertal. Das sei ein Wohlfühlthema, anders als beispielsweise Bebauungspläne, bei denen es oft um Konflikte geht. Volker Vorwerk vom Bonner Netzwerk Bürgerbeteiligung berät Städte und Gemeinden: „Die Politiker*innen sind formell zuständig, beschränken sich aber selbst und reden den Bürger*innen nicht rein.“ Der Vorteil sei, dass Entscheidungen so näher an die Bürger*innen gebracht werden. Das wirke einer Politikverdrossenheit entgegen.

Bekir Cakin tat sich mit rund zehn Unterstützer*innen zusammen und reichte seinen Vorschlag ein. „Wir haben alles relativ konkret gemacht, hatten einen Kosten- und einen Zeitplan aufgestellt und wussten, welche Spielgeräte wir brauchen.“
Der Spielturm etwa sollte für viele Altersgruppen sein. Mara kommt mit ihren vier Jahren zum Beispiel gut die Strickleiter hoch und die Rutsche wieder herunter. Ältere können sich an den Ringen zum Hangeln probieren. Und für die ganz kleinen Kinder wurde ein separater Turm mit kleineren Elementen angeschafft.

Andere für die eigene Idee begeistern

Nach der Bewerbung ging es darum, Stimmen zu sammeln. Das Bürger*innenbudget fand großen Anklang bei den Wuppertaler*innen – 667 Ideen wurden eingereicht und von der Verwaltung im ersten Grobcheck abgesegnet. „Einer hatte vorgeschlagen, einen See mit Gondeln zu bauen“, erzählt Clara Utsch, das sei mit 50.000 Euro nicht machbar gewesen. Das Abstimmungsverfahren stellte ihre Abteilung vor ein Dilemma: Es sollte niedrigschwellig sein, damit viele teilnehmen, zugleich aber vor Manipulation geschützt sein. Also mussten für die Registrierung eine Mobilfunknummer und eine E-Mail-Adresse angegeben werden. Was für einige eine Hemmschwelle war, machten sich Bekir Cakin und sein Team zunutze: In den zwei Monaten der Abstimmungsphase platzierten sie sich mit Laptops beim Straßenfest, beim Familiengottesdienst, in der Moschee und im Stadion: „Wir haben Werbung gemacht und den Leuten direkt bei der Registrierung und Abstimmung geholfen.“ Ein schlauer Schachzug: Das Projekt kletterte immer weiter nach oben, bis es auf Platz eins landete.

Nach der Online-Abstimmung wurden die Projekte in einer Bürger*innenwerkstatt, zu der Interessierte kommen konnten, unter die Lupe genommen und eine Top-30-Rangliste erstellt. Die Verwaltung prüfte die Projekte ebenfalls detailliert, und mit einer Wahlparty, bei der die Verantwortlichen der Projekte Rede und Antwort standen, startete eine finale zweiwöchige Abstimmungsphase. „Die Leute sollen miteinander ins Gespräch kommen“, erklärt Clara Utsch das Vorgehen. Bekir Cakin und sein Team verteidigten den ersten Platz, aber auch die anderen Projekte haben noch eine zweite Chance. Sie landen in einem Ideentopf und werden innerhalb der Verwaltung an die Fachbereiche weitergegeben.

Gute Zusammenarbeit mit der Stadt

Nach dem Sieg ging es an die Umsetzung. Zu den 50.000 Euro Bürger*innenbudget gab die Stadt noch 70.000 Euro aus dem städtischen Spielplatzetat dazu. Im April 2018 rollten die Bagger an und im September wurde der Spielplatz mit einem Fest eröffnet. „Der Oberbürgermeister, der Kämmerer, die Kinder – alle waren hier und wir waren total stolz“, erzählt Bekir Cakin, der die Zusammenarbeit mit der Stadt in guter Erinnerung hat. Er wurde ernst genommen und konnte gut mit den Verantwortlichen kooperieren.

Mitbestimmung stärkt den Zusammenhalt

„Das Schöne war, den Zusammenhalt im Viertel zu sehen“, so Bekir Cakin, der glaubt, dass das Quartier nachhaltig gestärkt wurde. „Die Hemmschwelle, auf die Stadt zuzugehen, ist jetzt niedriger.“ Was sich auch gezeigt hat: Wenn die Bürger*innen sich für ein Projekt einsetzen, ist die Wertschätzung anders. „Wir sind regelmäßig hier und schauen auch nach dem Rechten“, erklärt der Projektinitiator. Kaum hat er das ausgesprochen, kommt ein neunjähriges Mädchen auf ihn zu. Es beklagt sich, von ihrem Cousin auf dem Spielturm geärgert zu werden.

Der Wuppertaler ist weder politisch aktiv noch verdrossen: „Jede Person sollte ihren sozialen Beitrag leisten. Das stärkt die Gesellschaft und das friedliche Zusammenleben. Die Kinder lernen das hier auf dem Spielplatz und werden hoffentlich als Erwachsene auch ohne Krieg, Hass und Gewalt auskommen.“

Hemmschwellen für Beteiligung

Die nächste Runde des Bürger*innenbudgets ist bereits abgeschlossen. Zur Verfügung standen diesmal 165.000 Euro. Die Abstimmungsmodalitäten wurden etwas geändert und es konnte per Wahlzettel abgestimmt werden. Insgesamt reichten die Wuppertaler*innen weniger Ideen ein, stimmten aber fleißiger ab. Ob der Hype anhält, ist fraglich: In Wesel wurde das Bürger*innenbudget zum Beispiel wegen mangelnder Beteiligung wieder abgeschafft.

Damit das nicht passiert, nennt Volker Vorwerk drei Schlüsselpunkte: genug Werbung machen, der Bevölkerung Zeit geben, sich mit dem Bürger*innenbudget auseinanderzusetzen und die Umsetzung der Projekte zu sehen, sowie das Verfahren richtig aufsetzen. „Man muss es so niedrigschwellig wie möglich machen, dann kann man es schaffen, dass die Beteiligung zunimmt.“

Bleibt die Frage, warum nicht alle Städte ein Bürger*innenbudget haben oder einführen. Bekir Cakin kann nur vermuten: „Die Bürger*innen mehr einzubeziehen, erfordert Umdenken und Arbeit. Wer fragt, kriegt Antworten, und um die muss man sich dann kümmern.“