lautstark. 27.01.2023

Medienkompetenz: In Schule muss es endlich vorangehen

ChancengleichheitDigitale AusstattungDigitalität im UnterrichtMedienkompetenz

Was läuft gut? Wo hakt’s?

So richtig kommen Schule und Medien gemeinsam nicht in den Tritt. NRW ist immer mindestens einen Schritt zu spät, wenn es um Digitalisierung und Digitalität von Schule und Unterricht geht – das meinen Lehrkräfte und Ausbilder*innen genauso wie Schüler*innen. Wie aber steht es um die Medienkompetenz der Kollegien und um die digitale Ausstattung? Das verraten uns fünf Gewerkschafter*innen aus ihrer Perspektive.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2023 | Medien – Kritisch und kompetent konsumieren
  • Autor*in: Sherin Krüger
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Kinder und Jugendliche sollen bis zum Ende der Pflichtschulzeit einen kreativen und verantwortungsvollen Umgang mit Medien lernen und eine informatische Grundbildung erhalten. Dafür ist der Medienkompetenzrahmen NRW seit Oktober 2017 in sechs Bereichen Leitlinie: Bedienen und Anwenden, Informieren und
Recherchieren, Kommunizieren und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren, Analysieren und Reflektieren sowie Problemlösen und Modellieren.

Er ist in den jüngsten Kernlehrplänen für die Grundschulen und Berufskollegs sowie in der Sekundarstufe I fest verankert. Für die Fachleitungen und Lehramtsanwärter*innen (LAA) in den Seminaren gibt der Orientierungsrahmen für die Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung in NRW die Richtung vor. Doch wie steht es um die Umsetzbarkeit der Konzepte im Bildungssystem?

Medienkompetenz in Zeiten Künstlicher Intelligenz, aber ohne Glasfaseranschluss

„Alles, was in den letzten Jahren an Schule passiert ist, ist in unkoordinierter Reaktion passiert. Schule war nie da, wo Veränderungen durch Digitalität und Digitalisierung in Gesellschaft und Wirtschaft mittelfristig eine
große Rolle spielen werden. Ich möchte jetzt nur ein Beispiel nennen, um das zu illustrieren. Und das ist der Bereich der Künstlichen Intelligenz.“ Ludger Remus ist stellvertretender Schulleiter am Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG) in Köln. Seine Wunschliste an die für Bildung zuständigen Institutionen und die Politik ist lang.

Dabei gehörte seine Schule 2021 zu den ersten, die in allen Klassen- und Kursräumen mit Touchpanels ausgestattet wurden. „Das hat Strukturen an der Schule geschaffen. Zum Beispiel regelt eine feste Gruppe von acht Lehrkräften unsere IT-Administration und für die Vermittlung von Medienkompetenz sind wir in den Stundenplänen gut aufgestellt. Personell ist das ein großes Glück! Ich höre durchaus von Kolleg*innen, dass das an
vielen Schulen nicht der Fall ist.“

Heute können wir Lernprozesse auf eine Art und Weise individualisieren, die ohne digitale Mittel gar nicht möglich wäre. Ich halte das für eine der wichtigsten Aufgaben in Zukunft.

Medienkompetenz in der Ausbildung versus Realität an NRWs Schulen

Ein anderer Kollege ist Johannes Segerath. Mit 3.000 Schüler*innen und 180 Lehrkräften ist seine Tätigkeit als Schulleiter am Berufskolleg Ehrenfeld (BKE) in Köln mit der eines Managers eines mittelständischen Unternehmens vergleichbar: „Die Kolleg*innen werden mit einem differenzierten, aber nicht sehr praxisorientierten
Medienkompetenzrahmen sich selbst überlassen.

Und dabei liegt die Wochenarbeitszeit jetzt schon bei deutlich über 41 Stunden.“ So erlebt er den digitalen Wandel an seiner Schule seit Jahren: „Der technische Support für unser riesiges System beläuft sich gerade mal auf durchschnittlich fünf Stunden pro Woche – viele Geräte sind über Wochen außer Betrieb. Noch nie war eine Entwicklung so wichtig und die Schulen gleichzeitig so auf sich gestellt“, sagt der Schulleiter.

Die KI gehört in die Hände von Referendar*innen und Schüler*innen, um ihre Medienkompetenz zu stärken.

„Leider gibt es immer noch sehr viele dieser Beispiele, wo Schulen gar nicht in der Lage sind, eine Kultur der Digitalität zu entwickeln. Weil ihnen schlichtweg jede Ressource dafür fehlt“, weiß auch Björn Dexheimer aus Erfahrung. „Dabei kommen die aktuellen LAA-Jahrgänge mit einem sehr guten Fundament aus dem Studium und wir können ihnen zeigen, wie sie Schüler*innen befähigen, medienkompetent zu werden“, sagt Catrin
Ingerfeld-Bloemertz. Für beide Fachleitungen vom Zentrum für schulpraktische Lehrerbildung (ZfsL) Mönchengladbach ist das eine der zentralen Forderungen:

Gleiche Bedingungen für alle schaffen! Denn während die ZfsL mit Hard- und Software sehr gut ausgestattet sind, warten auf Referendar*innen an den Schulen oft andere Welten. „Und dort müssen sie eine Prüfung ablegen, die extrem entscheidend ist für ihren weiteren beruflichen Werdegang. Spätestens hier müssen wir ganz klar Ungleiches ungleich behandeln und eine klassische Unterrichtsstunde, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Beste rausholt, genauso bewerten wie eine extrem fein ausgearbeitete, digitale Unterrichtsstunde“, sagt Björn Dexheimer.

Medienausstattung: ohne Ressourcen keine Chancengleichheit

Neben den mangelhaften Ressourcen treibt viele Schulen die Frage nach der Chancengleichheit um: „Ich sehe mit Erschrecken, dass die soziale Schere bei unseren Schüler*innen nicht zuletzt durch die Digitalisierung
immer weiter auseinandergeht“, sagt Johannes Segerath. „Das zersplitterte Handydisplay ist für viele leider die Grundausstattung.“ Und Alexandra Malinovic berichtet: „Während Corona mussten wir feststellen, dass wir viele Schüler*innen digital gar nicht erreichen können, weil im Elternhaus der Internetzugang oder die Geräte fehlen.“

Immerhin: Mit Unterstützung durch die Medienberatung der Bezirksregierung hat die GGS Lilienthalstraße ihr Medienkonzept an die Anforderungen im Medienkompetenzrahmen NRW anpassen und damit den Antrag auf IT-Investitionen beim Schulträger stellen können. Im Oktober 2022 wurden Tablets für alle Schüler*innen geliefert, finanziert aus dem Förderprogramm REACT EU. „Meine Kollegin ist seitdem mit Auspacken beschäftigt und wickelt Schutzhüllen um die Geräte. Jedes einzelne muss registriert und einem Kind zugeordnet werden“, erzählt die stellvertretende Schulleiterin. Für diesen Aufwand erhält die Schule eine Entlastungsstunde pro Woche. Diese Regelung gilt für alle Schulen in NRW.

Personelle Ausstattung: ohne Freiräume keine Innovation

So auch für die zwei weiterführenden Kölner Schulen: eine Stunde weniger Unterrichtszeit für den Digitalisierungsbeauftragten des BKE, der den gesamten Digitalisierungsprozess der Schule steuert, und die acht
Kolleg*innen am AMG – wohlgemerkt eine für alle zusammen. „Jedes mittelständische Unternehmen hat eine eigene IT-Abteilung. In Schule sollen Lehrkräfte das einfach so nebenbei erledigen für 850 Schüler*innen und 100 Lehrkräfte“, sagt Ludger Remus. Alle heben das besondere Engagement der Kollegien hervor und erkennen die Wichtigkeit in der Vermittlung von Medienkompetenzen. Im Kern aber haben alle ähnliche Schwierigkeiten: „Die Schlüsselfrage im Schulbereich ist für mich die personelle Ausstattung.

Wenn man Innovation will, dann kann man das nur darüber regeln, dass man Freiräume schafft, die Innovation überhaupt erst möglich machen“, fasst der stellvertretende Schulleiter zusammen. An seinem Gymnasium ist das Medienkonzept ein Gemeinschaftsprojekt und wurde 2017 sowie in den darauffolgenden Jahren regelmäßig angepasst: „Ende Januar 2023 nutzen wir einen pädagogischen Planungstag, um das Konzept zu analysieren. Tatsächlich wissen wir durch den Distanzunterricht während der Lockdowns viel mehr über unsere
Schüler*innen. Wir müssen jetzt überprüfen, ob die sechs Bereiche des Medienkompetenzrahmens noch
sinnvoll verortet oder an anderer Stelle besser aufgehoben sind“, sagt Ludger Remus.

Die Umsetzung des Medienkompetenzrahmens NRW setzt verlässliche Technik durch externen Support voraus. Wir opfern dafür nicht unsere pädagogische Qualität.

Fortbildungen für Medienkompetenz diffus – Eigeninitiative ist gefragt!

An Fortbildungsoptionen für Lehrkräfte mangele es nicht. Fast täglich landen Angebote ganz unterschiedlicher Institutionen im E-Mail-Postfach von Alexandra Malinovic: „Sie wirken auf mich aber etwas strukturlos und
gehen oft an unseren Bedarfen vorbei.“ Deshalb hatte die GGS in Eigeninitiative unter anderem eine interne Schulung zu den Basics in der Tabletnutzung organisiert und ist im Januar/ Februar 2023 wieder bei den Digitalen Bildungswochen dabei. Schulleiter Johannes Segerath meint: „Ich glaube nicht, dass die Mitarbeitenden eines Automobilherstellers online nach Feierabend auf ein neues Produkt geschult werden.

So aber wird nach meiner Erfahrung im Schulbereich mit Fortbildungen für Medienkompetenz umgegangen.“ Die einzige Erklärung für das bestehende Fortbildungsangebot sei für ihn, dass versucht würde, der diffusen Realität an den Schulen zu entsprechen: „Ein Seminar, in dem darüber referiert wurde, wie wir mit VR-Brillen an unserer Schule Sozialkompetenz fördern können, hat mich allerdings nachdenklich zurückgelassen. Uns haben vor allen Dingen interne Maßnahmen von engagierten Kolleg*innen gerettet.“

Lehrer*innen müssen mit digitalen Lehrmitteln wie mit einem Buch umgehen können. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch fehlen uns die Kompetenzen.

Aus Frust über die Fortbildungslage hat Fachleiter Björn Dexheimer erst kürzlich ein Fernstudium im Bereich der Medienbildung absolviert. Auf eigene Kosten und in seiner Freizeit: „So sieht ein Großteil unseres Weges vor allem in den vergangenen zwei Jahren aus: Wir suchen uns relevante Fortbildungen zusammen, lesen im Twitterlehrerzimmer (#twlz) mit und stehen im engen Austausch mit Kolleg*innen“, sagt er. Anfang Januar hat er sich zusammen mit Catrin Ingerfeld-Bloemertz in einem Workshop zu ChatGPT wiedergefunden, einer textbasierten Künstlichen Intelligenz (KI), die mit jedem Dialog dazulernt.

„Ich werde die KI gleich im Seminar behandeln und die Referendar*innen ihre nächste Unterrichtsstunde mit ChatGPT im Co-Planning vorbereiten lassen“, erzählt die Fachleiterin. Ein drängendes Problem sei, dass die didaktische Ebene bei der Medienbildung sehr stiefmütterlich behandelt werde. „Und genau diese füllt zu 100 Prozent die Lehrkraft aus. Es gibt eine Menge didaktisch neu gedachte Ansätze, die dir keine KI beibringen kann. Aber nur in der Anwendung können wir Lehrer*innen auch die Grenzen von KI kennenlernen und sehen, wozu wir unbedingt gebraucht werden.“