lautstark. 27.01.2023

Medienkompetenz entsteht durchs Machen

ChancengleichheitMedienkompetenzMitbestimmung

Jugendredaktion Salon5 fördert Teilhabe

Jugendlichen eine Stimme geben und sie zu einem aktiven Teil der Gesellschaft machen: Mit diesem Ziel ist vor knapp drei Jahren Salon5 in Bottrop gestartet. Die Jugendredaktion des Recherche-Netzwerks CORRECTIV vermittelt jungen Menschen das journalistische Handwerkszeug und fördert ihr Verständnis für politische Prozesse. Das Interesse an dem Angebot wächst – nicht nur bei den Jugendlichen selbst.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2023 | Medien – Kritisch und kompetent konsumieren
  • Autor*in: Anne Peterson
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Schon der Gedanke an ihre Arbeit lässt Gökce strahlen. „Salon5 hat mich einfach voll gecatchet“, sagt die 20-Jährige. Über das Bottroper Jugendparlament fand die Abiturientin vor einem Jahr in die Jugendredaktion des Recherche-Netzwerks CORRECTIV. Seither kommt sie einmal die Woche hierher, um Beiträge zu produzieren und Zeit mit Gleichgesinnten zu verbringen. „Es fühlt sich immer an wie ein Treffen mit guten Freunden. Ich bin viel offener geworden – eine richtige Laberbacke.“

Zeitvertreib und Redaktionsalltag gehen Hand in Hand

Auf ebensolche Entwicklungen hatten Redaktionsleiterin Hatice Kahraman und ihre Mitstreiter*innen gehofft, als sie "Salon5" im März 2020 ins Leben riefen. Als Volontärin bei CORRECTIV baute die 28-Jährige die Jugendredaktion in der Bottroper Innenstadt mit auf: gestaltet wie ein Café, das ungezwungenen Zeitvertreib und Redaktionsalltag vereint. „Der Name „Salon5“ spiegelt dabei den zentralen Grundgedanken wider: Er bezieht sich auf den Artikel 5 des Grundgesetzes – auf die Meinungs- und Pressefreiheit“, erklärt Hatice Kahraman.

Jugendliche ab 13 Jahren sollten die Redaktion als Ort kennenlernen, an dem sie sich austauschen und mit den Lebenswelten anderer Menschen in Kontakt kommen können. „Bei uns bekommen sie das Rüstzeug, um über ihre Themen zu sprechen und sie lernen, die Nachrichten anderer Medien einzuordnen. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist ein zentrales Thema“, sagt Hatice Karaman.

Dazu erhält jedes Mitglied der Nachwuchsredaktion die individuelle Betreuung eines Profis: Ein 14-köpfiges Team aus festangestellten Redakteur*innen und studentischen Hilfskräften steht den Jugendlichen von Beginn an zur Seite. Die ausgebildeten Journalist*innen besetzen klassische Ressorts und Aufgabengebiete wie etwa Politik, Sport oder Social Media. Sie helfen den Jugendlichen, Themenideen zu entwickeln, Ansprechpartner *innen zu finden und Beiträge zu produzieren, die Gleichaltrige ansprechen – über Videos, Podcasts, Social Media und ein eigenes Webradio.

Lernen mit Spaßfaktor 

„Am Anfang steht für alle Jugendlichen ein einjähriges Ausbildungsprogramm“, sagt Hatice Kahraman. In Workshops wird den Nachwuchs-Journalist*innen das journalistische Handwerkszeug vermittelt – immer freitagnachmittags, im Anschluss an Schule oder Ausbildung. Die Veranstaltungen decken vielfältige Themen ab: von Recherche und Faktencheck bis hin zu Videoschnitt und Moderationstraining. „Genau wie unsere Themenkonferenzen sind auch die Workshops als Events gestaltet: sehr interaktiv, sodass die Jugendlichen viel Spaß haben.“

Einmal im Monat legen die Redaktionsmitglieder gemeinsam fest, welche Themen sie in den kommenden Wochen behandeln möchten. Dabei können die jungen Reporter*innen in der praktischen Arbeit herausfinden, wo ihre persönlichen Stärken und Interessen liegen. Vor der Ausstrahlung durchläuft jeder Beitrag eine Endabnahme – so wie bei jedem klassischen Medium auch.

Mehr Diversität und weniger Vorurteile

Gökce hat vor allem an Podcasts Gefallen gefunden. Gleich ihr erstes Interview zum Thema Bildungsgerechtigkeit führte sie mit der Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich. „Das war das beste Interview, das ich bisher hatte“, schwärmt die 20-Jährige. Heute setzt sie Themen um, die sie im Alltag beschäftigen – zuletzt etwa die wachsende Kinderarmut in Deutschland. „Ich habe bei der Tafel ausgeholfen und war erschrocken, wie viele junge Menschen dort zum Essen kamen. Da habe ich in der Redaktion eine Themenwoche vorgeschlagen.“ Ihr Anspruch sei es, auf Probleme aufmerksam zu machen und die Medienlandschaft vielfältiger zu gestalten. Denn vor allem im Fernsehen fehlten jugendrelevante Beiträge und Diversität, beklagt die junge Reporterin. „Dort werden so viele Vorurteile weitergegeben, dass ich inzwischen gar kein Fernsehen mehr schaue.“

Auch ihre Kollegin Nazra kann mit den konventionellen Medien wenig anfangen. „Man findet einfach wenig Content für Jugendliche – nichts, was unsere Herzensthemen behandelt“, sagt die 17-Jährige. Salon5 sei da ganz anders: „Es ist offen und zugänglich für jede Person. Das zeigt sich auch in den Podcasts und Social-Media-Accounts: Sie sind spielerisch, kreativ, divers – es macht einfach Spaß, sie anzuschauen.“ Nazra ist vor allem ihr Interview mit der Influencerin Defne in Erinnerung geblieben. „Ich habe sie immer als Vorbild gesehen. Dass ich dann persönlich mir ihr sprechen durfte, hat mich krass glücklich gemacht.“

Salon5 überzeugt mit Professionalität

Ihre positiven Erfahrungen geben die jungen Redaktionsmitglieder gerne weiter. Wohl auch deshalb findet Salon5 nicht nur im Ruhrgebiet immer mehr Zuspruch. Während die Redaktion in Bottrop gerade neue Räume bezogen hat, sind zwei weitere Standorte in Greifswald und Hamburg-Bergedorf entstanden. Rund 50 Jugend-Reporter*innen sind inzwischen im Einsatz – mit steigender Tendenz. Neben dem Kontakt über Freund*innen würden Jugendliche auch über soziale Netzwerke und die Kooperation mit Schulen auf das Projekt aufmerksam, erzählt Hatice Kahraman. „Wir sind in vielen Schulen präsent, um auch dort Medienkompetenz zu vermitteln.“

Während Jugendliche die wesentliche Zielgruppe der Salon5-Beiträge sind, nutzen zunehmend auch Erwachsene die Angebote, darunter viele pädagogische Fachkräfte. „In der Corona-Krise haben sie die Jugendlichen in ihren Einrichtungen verloren – wir erreichen sie. Das weckt Interesse.“ Auch andere Medienschaffende seien am Erfolg der Jugendredaktion interessiert. Doch anders als die meisten klassischen Medien sei Salon5 weitgehend unabhängig von Reichweite-Statistiken. „Bei uns stehen vor allem die Ausbildung und Entwicklung der Jugendlichen im Fokus“, betont Hatice Kahraman. Das würdigten auch viele Expert*innen, die den Jugendlichen ihr Wissen in Interviews zur Verfügung stellten. „Sie sind häufig überrascht, wenn sie das Alter unserer Reporter*innen erfahren.“

Mediale und politische Selbstwirksamkeit erfahren

Vor allem für die jungen Reporter*innen selbst habe Salon5 eine zentrale Funktion, betont Hatice Kahraman. „Wir merken, wie wichtig das Angebot für sie ist. Sie möchten Gleichaltrige treffen und gehört werden.“ Salon5 gebe den Jugendlichen nicht nur das Gefühl, etwas bewirken zu können – die Arbeit ermögliche auch eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen, oft zunächst unbekannten Themen. „Das schult ihr Verständnis für politische Prozesse.“ Eine journalistische Karriere sei in den seltensten Fällen Ziel der jungen Redaktionsmitglieder. „Wenn es aber doch darauf hinausläuft, vermitteln wir natürlich gerne, zum Beispiel bei der Suche nach Praktikumsstellen“, sagt Hatice Kahraman. Gökce und Nazra werden dieses Angebot vermutlich gerne annehmen. Denn auch wenn ihr Plan eigentlich ein anderer war: Dem Journalismus möchten sie auch in Zukunft treu bleiben.