lautstark. 11.02.2022

Vater sein: Gelernt ist gelernt?

Die (neue) Rolle der Väter

Väter sind präsenter und wollen mehr Sorgearbeit übernehmen. Dennoch scheitern sie häufig an alten Rollenbildern. Falk Becker, Jürgen Kura und Sanja Zündorf glauben, dass die alten Muster überwunden werden können. Aber eben nicht ganz mühelos.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2022 | Familie und Sorgearbeit: Zeit für Veränderung
  • Autor*in: Mirjam Baumert
  • Funktion: freie Journalistin
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Sie sind mittlerweile fester Bestandteil jedes großstädtischen Panoramas: Die Väter, die mit ihrem Säugling im Tragetuch vor dem Bauch durch den Park spazieren gehen, das Kind im Lastenrad von der Kita abholen, auf dem Spielplatz eine Brotdose bereithalten. Aktive Väter genießen Anerkennung. Doch noch sind es die Mütter, die häufiger wickeln, trösten und den Bauklotz unermüdlich wieder aufheben. Gegenüber der Hans-Böckler-Stiftung gaben 69 Prozent der befragten Frauen an, dass sie sich hauptsächlich selbst um die Kinder kümmerten. Wieso hält sich diese Rollenverteilung so beharrlich in heterosexuellen Kleinfamilien – trotz Aufwertung des fürsorglichen Vaters?

Das alte Versorgermodell überwinden

„Wenn man als Junge lernt, dass der Vater am Wochenende zum Fußballspielen da ist und sonst halt auf Arbeit, und man trotzdem eine glückliche Kindheit erleben kann“, erklärt Falk Becker, „dann denkt man vielleicht, dass der Vater dafür da ist, dass die Familie etwas zu essen hat.“ Es sei dieses alte Versorgermodell, das junge Väter dann wiederholen, ohne es zu hinterfragen. So erklärt sich der Blogger und IT-Berater, warum Väter noch immer weniger Sorgearbeit übernehmen. „Dann rutscht man da so rein, bums, drei Jahre sind rum. Wenn der Vater dann sagt, ich würde mich jetzt auch gerne ums kranke Kind kümmern, dann ist es schwer, das nachträglich aufzubrechen.“ Denn mit bereits eingeschliffener Arbeitsteilung der Eltern fehle dann die Bindung zwischen Vater und Kind.

Einfach so irgendwo hineinzurutschen kam für das Paar aus Berlin-Moabit nicht infrage: „Für meine Frau war klar, dass sie weiter in Vollzeit arbeiten will, weil ihr Job das erfordert. Ich bin im Osten aufgewachsen, meine Eltern haben beide in Vollzeit gearbeitet. Da habe ich das so vorgelebt bekommen.“ Falk Becker arbeitet im Moment 80 Prozent und hat so etwas mehr Zeit für Hausarbeit und eigene Projekte als seine Frau. Mit seinem Blog, Podcast und Instagram-Kanal „Papa macht Sachen“ ist er angetreten, um Väter zu ermutigen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.

50 : 50 bleibt für viele Väter ein Wunsch

Die Sachen, die Falk Becker so macht, fangen an einem kurzen Lohnarbeitstag für ihn damit an, dass er um sechs Uhr aufsteht und die Kinder für die Kita fertig macht. Seine Frau bringt die Kinder dort hin. Um 15 Uhr ist Falk Beckers Bürotag vorbei und mit Essen im Gepäck holt er die Kinder wieder ab. Die Regel des Paars: Wer holt, der bringt nicht. Für Falk beginnt dann um 15 Uhr der Sorgearbeitstag.

Einen solchen Entwurf, in dem beide Partner*innen zu gleichen Anteilen erwerbstätig und für die Sorgearbeit verantwortlich sind, wünschen sich knapp die Hälfte der Väter. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander: Nur jeder vierte Vater gibt an, dass er dieses Ideal auch lebt, während nur jede zehnte Mutter die Aufgabenteilung in ihrer Partnerschaft als ausgeglichen bewertet.

Väter haben Fragen – und das ist gut

„Es gibt eine unsichere Vätergeneration und eine Muttergeneration, die es kann, weil sie es lernen musste“, erläutert Jürgen Kura das Problem. Er ist Vorsitzender des Vereins Väter in Köln e. V. und organisiert mit seinen Mitstreitern Vätercafés und Beratungen. Die Verunsicherung der Väter, die ihn kontaktieren, bewertet Jürgen Kura erst einmal positiv. Sie hätten Fragen. Die vorherige Vätergeneration habe den autoritären Vater verworfen, aber eine Leerstelle hinterlassen. Wie sind sie denn nun, die modernen Väter? Sie wünschen sich, mehr Sorge für ihr Kind zu übernehmen, scheitern aber nach Jürgen Kuras Erfahrung noch immer an dem Männlichkeitsideal, stets funktionieren zu müssen und die Problemlöser zu sein. „Wir möchten gerne, dass Väter präsenter sind, dass sie fürsorglich sind, dass sie gleichberechtigt an der Seite ihrer emanzipierten Partnerinnen im Familienalltag bestehen können.“

Dass Väter im Durchschnitt nur 3,7 Elternzeitmonate nehmen und Mütter dagegen 14,5 Monate, wundert Jürgen Kura nicht. „Wir blicken jetzt von einem sehr hohen Ross auf eine jahrzehntelange, verpasste psychosoziale Entwicklung.“

Aktiver Vater sein muss man sich leisten können

Auch familienpolitisch wurde lange nichts getan, um Eltern und insbesondere Väter zu stärken: Das Elterngeld wurde im konservativen Deutschland erst 2007 eingeführt. „Menschen, die nicht gelernt haben, mit einem Rettungsboot umzugehen, kann ich ja auch nicht vorwerfen, nicht krisenfest zu sein.“

Die Familienbildung erreiche nach wie vor fast nur Mütter und müsse sich endlich auch an mehr Väter richten und das Elterngeld gehöre aufgestockt. „65 Prozent des Gehalts sind für Geringverdiener*innen zu wenig“, kritisiert Jürgen Kura. Es zeige sich, dass das Elterngeld als Instrument zur Förderung der gehobenen Mittelschicht konzipiert sei. Der Klassenunterschied lässt sich auch an den Zahlen ablesen: Nur 29 Prozent der Väter mit einem sogenannten niedrigen sozialen Status nahmen 2020 Elternzeit, während es unter den Vätern mit hohem sozialem Status 49 Prozent waren. Auch Falk Becker erläutert, dass ihr egalitäres Modell nur mit Unterstützung eines Babysitters und aufgrund ihrer flexiblen Büroarbeitszeiten funktioniere.

Auch Männer leiden unter dem Patriarchat

Eine, die die Debatte um Sorgearbeit schon früher beginnen will, nämlich bevor Männer Väter werden, ist Sanja Zündorf. Die 28-jährige Gestalterin gibt das das POV Magazin heraus, für das ihr die Jury des Kölner Design Preises 2021 den dritten Platz verlieh. In der ersten Ausgabe dreht sich alles um Sorgearbeit. Es richtet sich explizit an männliche Millenials und Männer der Generation Z, die noch vor dem ersten Kind stehen. „Es zeigt sich: Wer schon einmal im System ist, kann das schwer verändern“, sagt Sanja Zündorf. Warum ein Heft explizit für Männer? „Es gibt kaum etwas zum Thema Care-Arbeit für Männer, aber viel für Frauen.“ Erstere seien jedoch diejenigen, die ihr gegenüber den Gender Care Gap eher abgetan hätten. „Ach nee, so schlimm ist das doch gar nicht.“ Aber Männer litten zugleich auch unter dem Patriarchat: „Wie viele Männer sind verletzt, weil ihr Kind nach der Mutter schreit, wenn sie es hochnehmen?“

Im Heft sprechen Männer über Feminismus, antworten auf Fragen zum Gender Care Gap, thematisieren Pflege. Ein Konzept sei in ihrer Arbeit darin augenöffnend für sie gewesen: der Mental Load. Er sei, frei übersetzt, die Last des Drandenkens, so die Autorin Patricia Cammarata im Interview. Diese Last trügen mehrheitlich die Frauen.

Mental Load und Maternal Gatekeeping

Auch für Falk Becker aus Berlin ist der Mental Load ein Schlüsselbegriff, wenn er zum Beispiel an eine Debatte aus dem Sommer 2021 zurückdenkt, die die Gemüter reichlich erhitzte. Ausgangspunkt war ein Artikel aus dem Spiegel, der suggerierte, Mütter seien eigentlich selbst schuld, dass Männer sich weniger an der Erziehungsarbeit beteiligten. Denn sie würden als Türsteherinnen ihre Domäne verteidigen, die Väter nicht ranlassen, weil diese die Aufgaben nicht nach ihren Vorstellungen erfüllen würden. Falk Becker räumt ein, dass es sicher solche Fälle gebe. „Mental Load ist aber in diesem Zusammenhang ein Thema, weil Männer häufig nur einen ganz kleinen Teil der Arbeit sehen und anfassen. Dann aber glauben, die Arbeit sei getan.“ Wenn daraufhin ihre Partnerin lieber selbst übernehme, folge der Rückzug. „,Ich würde ja gerne, aber ich darf nicht‘ – das ist eine ziemlich männliche Art, auf Kritik zu reagieren.“ Ihm sei dieses Phänomen des sogenannten Maternal Gatekeepings in Reinform noch nie begegnet.

Für Sanja Zündorf fungiert der Begriff als Deckmantel, um einer Debatte über die Verteilung von Sorgearbeit auszuweichen. Ihr ist wichtig, dass Väter gemeinsam im System mit ihrer Familie und ihrer Partnerin handeln. „Auch die Mütterrollen müssen sich unbedingt ändern.“ Mit ihrem Heft will sie die Männer dazu anregen, mehr über Sorgearbeit zu sprechen und sich auszutauschen. Doch das allein reiche nicht: „Wir können überlegen, wie wir das in unserem Universum besser machen, aber am Ende muss der Staat einschreiten. Zum Beispiel könnte er die 30-Stunden-Woche einführen, und zwar für Männer und für Frauen.“