lautstark. 11.02.2022

Mütter und Väter brauchen gleiche Möglichkeiten

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Erwerbs- und Sorgearbeit gerecht aufteilen

Wird eine Familie gegründet, ist die Rollenverteilung meist so: Die Frau arbeitet in Teilzeit und übernimmt den größten Teil der unbezahlten Sorgearbeit, der Mann bleibt vollzeitbeschäftigt. Volkswirtin Aline Zucco erklärt die strukturellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen für diese klassische Aufteilung und zeigt, was sich ändern muss, um mehr Gleichberechtigung herzustellen.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2022 | Familie und Sorgearbeit: Zeit für Veränderung
  • Autor*in: Dr. Aline Zucco
  • Funktion: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Referat für Verteilungsanalyse und -politik am WSI
Min.

In Deutschland arbeitet nach Angaben des Statistischen Bundesamtes jede*r dritte Beschäftigte in Teilzeit. Teilzeitarbeit ist also deutlich mehr als ein Randphänomen. Das gilt insbesondere für Frauen, von denen knapp jede zweite in Teilzeit arbeitet. Warum betrifft Teilzeitarbeit vor allem Frauen? Was bedeutet das für den Gender Pay Gap¹ beziehungsweise die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern einerseits und für den Unterschied im Zeitaufwand für Kinderbetreuung zwischen Müttern und Vätern andererseits? Was muss passieren, damit die gesellschaftlichen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern  dauerhaft verschwinden?

Frauen tragen die Hauptverantwortung für Sorgearbeit

Teilzeitarbeit wird meist von Frauen ausgeübt – aber erst dann, wenn sie Kinder bekommen. Das zumindest lässt die Verteilung über das Alter vermuten: Der Anteil der in Teilzeit beschäftigten Frauen steigt unter den 28- bis 40-jährigen, also in der Lebensphase, in der die meisten Frauen kleine Kinder haben, mit jedem Altersjahr deutlich an. So lag der Teilzeitanteil der 40-Jährigen im Jahr 2014 mit 62 Prozent fast doppelt so hoch wie der der 28-Jährigen. Ganz anders sieht die Entwicklung unter den Männern gleichen Alters in 2014 aus: Ihre Teilzeitquote ist sogar um sechs Prozentpunkte auf 11 Prozent gefallen. Interessant ist außerdem, dass die Teilzeitquote der Frauen auch unter den über 40-Jährigen, also dann, wenn die Kinder älter werden, kaum zurückgeht. Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Frauen mit der Geburt der Kinder ihren Erwerbsumfang reduzieren, während Männer ihn noch weiter ausbauen.

Anders ausgedrückt: Frauen tragen in Deutschland noch die Hauptverantwortung für die Sorgearbeit, also für die Erziehung der Kinder und die Pflege von Angehörigen. Aber warum ist das so? Erstens weil Frauen meist bereits vor der Geburt der Kinder das geringere Einkommen haben. Das liegt unter anderem wiederum daran, dass sie häufiger in Berufen arbeiten, die im Schnitt schlechter bezahlt werden. Zweitens weil gerade in Deutschland der Wunsch nach einer traditionellen Rollenverteilung noch sehr ausgeprägt ist. Und drittens weil insbesondere Väter noch mit großen betrieblichen Hürden konfrontiert sind, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren möchten, was die Existenz gesellschaftlicher Normen unterstreicht.

Schieflage bei Einkommen und Rente

Diese ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit hat direkte Folgen auf die Verteilung von Einkommen: Einerseits weil logischerweise das durchschnittliche Einkommen einer Vollzeitstelle höher ist als das einer Teilzeitstelle. Andererseits kann die Teilzeitarbeit – zumindest in manchen Berufen – einen direkten Effekt auf den Stundenlohn haben. So gibt es Berufe, zum Beispiel in der Gesundheits- und Krankenpflege, in denen der Stundenlohn unabhängig von der Stundenzahl immer gleich hoch ist. In diesen Berufen ist Teilzeitarbeit also nicht mit geringeren Stundenlöhnen verbunden. Anders hingegen sieht es beispielsweise in Berufen im Bereich der Unternehmensorganisation und -strategie aus: Hier steigt der Stundenlohn mit der wöchentlichen Arbeitszeit an – auch weil gerade gut bezahlte, verantwortungsvolle Tätigkeiten meist vermeintlich nur in Vollzeit möglich sind. Teilzeitarbeit ist somit in diesen Fällen mit überproportionalen Einbußen verbunden. Da vor allem Frauen in Teilzeit arbeiten, tragen auch die geringeren Löhne in Teilzeit zum Gender Pay Gap bei.

Diese geschlechtsspezifische Lohnlücke im Stundenlohn ist mit 18 Prozent im Jahr 2020 erheblich. Zusammen mit dem deutlich geringeren Stundenumfang von Frauen und den längeren Erwerbsunterbrechungen nach der Geburt der Kinder hat das zur Folge, dass der Unterschied im Lebenserwerbseinkommen zwischen Männern und Frauen noch viel größer ausfällt: So zeigen Berechnungen der Bertelsmann Stiftung in 2020, dass das Erwerbseinkommen, das Frauen über ihr gesamtes Leben verdienen, im Schnitt 45 Prozent geringer ist als das der Männer. Folglich beziehen Männer eine deutlich höhere Rente als Frauen, was zum Gender Pension Gap führt. Dieser Unterschied im Renteneinkommen zwischen Männern und Frauen beträgt knapp 40 Prozent.

Traditionelle Rollenverteilung vor und während der Corona-Pandemie

Diametral zur Lücke im (Renten-)Einkommen und zur Erwerbsarbeit existiert auch eine Lücke im Zeitaufwand für unbezahlte Sorgearbeit: der sogenannte Gender Care Gap. So liegt die Zeit, die erwerbstätige Frauen täglich für unbezahlte Arbeit aufwenden, mit 3:29 Stunden 81 Minuten über der Zeit der Männer. Das liegt einerseits daran, dass Frauen durch einen geringeren Erwerbsumfang natürlich mehr Zeit haben, die sie für unbezahlte Arbeit aufwenden können. Oder genau umgekehrt: Frauen können wegen der anfallenden, unbezahlten Sorgearbeit nicht in größerem Umfang der bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen. Andererseits verbringen aber auch in Vollzeit beschäftigte Frauen im Schnitt mehr als 30 Minuten mehr mit unbezahlter Arbeit als vollzeitarbeitende Männer (2:43 Stunden gegenüber 2:07 Stunden).

Dieses Ungleichgewicht könnte sich durch die Corona-Pandemie noch weiter verstärken. Zumindest deuten Zahlen aus dem Jahr 2020 darauf hin, dass seit April 2020 mehr Frauen nicht nur den größeren Teil der Kinderbetreuung übernommen haben, sondern auch deutlich häufiger ihre Arbeitszeiten reduzierten, um die Kinder zu betreuen. Vor diesem Hintergrund wurde die Retraditionalisierung gesellschaftlich breit diskutiert. Allerdings können diese Befunde auch als eine Offenbarung der bereits vorhandenen traditionellen Strukturen gewertet werden: Denn mit der Schließung der Kitas und Schulen zu Beginn der Pandemie hat sich recht eindeutig gezeigt, welcher Elternteil die ausgefallene institutionelle Kinderbetreuung kompensiert.

Ansätze für mehr Gleichberechtigung

Was kann getan werden, damit die hier beschriebenen Ungleichheiten reduziert und schließlich komplett abgebaut werden? Ein erster wichtiger Schritt ist der Ausbau der 30-Stunden-Woche: Die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern kann nur gelingen, wenn der Vollzeit-40-Stunden-Norm der Rücken gekehrt wird. Nur wenn beide Eltern die Möglichkeiten haben, einerseits ihre beruflichen Ziele zu verfolgen und andererseits ausreichend Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, können Ungleichheiten bei der Zeitaufteilung für bezahlte und unbezahlte Arbeit abgebaut werden. Hierfür benötigt es auch betriebliche Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Elternteile erleichtern.

Weiterhin bedarf es des Ausbaus der Partnermonate des Elterngeldes von zwei auf vier und weiter auf sechs Monate. Denn Forschungsergebnisse legen nahe, dass während der Elternzeit der Grundstein für die Aufteilung der Sorgearbeit gelegt wird: Je ausgewogener die Verteilung der Elternzeitmonate ist, desto gleicher wird die Kinderbetreuung von Elternteilen langfristig übernommen. Zu guter Letzt bedarf es außerdem einer Reformierung des Ehegattensplittings, denn die momentane, ungleiche Besteuerung von Ehegatten hindert Frauen häufig daran, in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu gehen (gegenüber einem Minijob) oder ihren Arbeitsumfang weiter auszubauen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die jetzige Bundesregierung diesen Themen widmet. Zumindest haben es die beiden letztgenannten Punkte in den Koalitionsvertrag geschafft.

 

¹Die binäre Aufteilung der Geschlechter in diesem Beitrag ist der Tatsache geschuldet, dass sich die dargestellten Zahlen auf administrative Daten des Statistischen Bundesamtes beziehen, die nur zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Zudem wird von heterosexuellen Paaren ausgegangen, da das Geschlecht der/des Partner*in in den Daten nicht bekannt ist und der überwiegende Teil der Familien in Deutschland in heterosexuellen Paarkonstellationen lebt.