lautstark. 03.02.2021

Kürzer lernen. Länger arbeiten.

RenteBildungsgewerkschaft

Ferngesteuerte Bildungspolitik

Jahrelang trommelten Lobbyist*innen und beklagten den Verfall der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Bildungsbiografie und Arbeitsleben sollten neu getaktet werden: Bildung, Ausbildung und Studium seien zu schlecht und zu lang, Lebensarbeitszeit sei zu kurz. Kein Talkshow-Format konnte sich in den Jahren nach 2000 leisten, dies zu ignorieren.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2021 | Lebensphasen: Jedes Alter gut gestalten
  • Autor*in: Michael Schulte
  • Funktion: Geschäftsführer der GEW NRW
Min.

Die Rente mit 67 setzte ein sozialdemokratischer Arbeitsminister durch. Den Rest besorgten die Bildungspolitiker*innen. In der Regierungszeit von CDU und FDP zwischen 2005 und 2010 konnte Vollzug gemeldet werden – gewerkschaftlicher Protest half nicht. Regeleinschulungsalter mit fünf Jahren, Verkürzung des Bildungsgangs bis zum Abitur mit Alleinstellungsmerkmal für die Schulform Gymnasium und – Bologna sei Dank – der erste akademische Abschluss nach kurzem Bachelorstudiengang. Das ergibt folgende Gleichung: 5 plus 12 plus 3 gleich 20. In diesem Alter sollte also akademisch qualifiziertes Personal dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Änderungen ohne Erfolg

Und heute: SPD und Grüne haben nach der Regierungsübernahme 2010 die weitere Vorverlegung des Einschulungsalters gestoppt. Wieder den Schuljahresanfang als Stichtag zu nehmen, dafür fehlte der Mut. Die völlig missratene schwarz-gelbe Schulzeitverkürzung revidiert zu haben, gilt heute in vielen Kommentaren als einziger Erfolg der Schulpolitik von CDU und FDP nach 2017. Ironie des Schicksals.

Die Berufsperspektiven für Bachelorabsolvent*innen sind immer noch nicht so wie versprochen, der Prozess dauert. Zynisch könnte man sagen, dass allein die Verlängerung der Lebensarbeitszeit im Sinne der Lobbyist*innen dauerhaft von Erfolg gekrönt blieb. Mehr noch: Nun geht es um die Rente mit 70.

Es geht schon wieder los

Wen interessiert das? Ist doch gut, dass es wieder fast so ist wie zuvor. Zu kurz gedacht. Interessieren muss die Willfährigkeit nicht weniger Bildungspolitiker*innen, die zwar entwicklungspsychologische und erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse vortrugen und vortragen, letztlich aber ferngesteuert wurden und werden oder sich dem Mainstream beugten und beugen. 

Das ist nicht vorbei. Ein Beispiel: Ein weiteres Manko nordrhein-westfälischer Schulpolitik ist angeblich die mangelnde „Freiheit“ der einzelnen Schule. Nun soll ein „Schulfreiheitsgesetz“ Abhilfe schaffen. Die Wirtschaft mache vor, wie es geht. Die FDP ist Feuer und Flamme, sie hat es ins Wahlprogramm für die Landtagswahl 2017 geschrieben. Die CDU zögert. Wiederholt sich das Muster? Besser nicht! Die GEW weiß, Schulen brauchen nicht mehr „Freiheit“ zur Mängelverwaltung, sondern mehr Lehrkräfte und Unterstützung.