lautstark. 03.02.2021

Jung, engagiert, nicht ernst genommen?

NachhaltigkeitPolitische Bildung

Nachwuchs in der Politik

Wie ist es, als junger Mensch den Weg in die Politik zu wagen? Verena Schäffer war als 23-Jährige 2010 die jüngste Abgeordnete im nordrhein-westfälischen Landtag, inzwischen ist sie Fraktionsvorsitzende der Grünen. Christina Schliesky gründete 2019 als 14-Jährige die Fridays for Future-Ortsgruppe in Mönchengladbach. Sie sprechen im Interview über die Herausforderungen, aber auch von den Chancen beim Einstieg ins politische Geschehen.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2021 | Lebensphasen: Jedes Alter gut gestalten
  • im Interview Verena Schäffer, Christina Schliesky
  • Funktion: Fraktionsvorsitzende der Grünen, Gründerin der Fridays for Future-Ortsgruppe in Mönchengladbach.
  • Interview von: David Peters
  • Funktion: freier Journalist
Min.

Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Christina Schliesky: Bei Fridays for Future bin ich aktiv geworden, weil ich bei den Räumungen im Hambacher Forst dabei war und mich deswegen immer mehr mit der Klimakrise und deren Folgen beschäftigt habe. Ich hatte schon länger das Gefühl, politisch etwas tun zu müssen und dann waren Greta Thunberg und ihre Streiks quasi der Auslöser. Daraufhin habe ich eine Fridays for Future-Ortsgruppe in Mönchengladbach gegründet. Kürzlich bin ich zwar in eine Partei eingetreten, habe aber erst mal nicht vor, irgendwelche Ämter dort zu übernehmen. Mein Hauptaugenmerk liegt weiter auf Fridays for Future und dem Bündnis Alle Dörfer bleiben – und ich verstehe mich als Schnittstelle zwischen dem Straßenprotest und den Abgeordnet*innen in den Parlamenten. Ich denke, dass es den Protest auf der Straße braucht, um Politiker*innen daran zu erinnern, dass das wirtschaftliche Interesse nicht über dem Wohl der Bevölkerung stehen sollte.

Verena Schäffer: Ich bin 2004 in der Grünen Jugend aktiv geworden und ein Jahr später in die Partei eingetreten. Ich wollte gerne politisch aktiv sein und mich für die Themen wie Frauenpolitik, Integration und die Arbeit gegen  Rechtsextremismus, die mir am Herzen liegen, einsetzen. Aufgrund dieser Themen habe ich mich entschieden, in die Grüne Partei einzutreten.

Wie wird man als junger Mensch in der Politik wahrgenommen?

Christina Schliesky: Man wird nicht von allen ernst genommen, aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass unser Anliegen gehört wird. Allerdings werden wir auch gerne ignoriert. Gerade am Anfang gab es ja die Diskussion, ob wir nicht zu jung oder naiv wären und ob wir überhaupt Ahnung vom politischen Geschehen hätten. Uns wurde abgesprochen, dass wir uns überhaupt mit dem Klimawandel beschäftigt haben. Es gibt viele Menschen, die uns nicht zutrauen, dass wir auch Expert*innen für gewisse Themen sind. Das hat sich allerdings gewandelt. In der Öffentlichkeit wurde dann immer stärker deutlich, dass man nicht mehr an uns vorbeikommt. Immer mehr Leute von uns saßen dann auch in Talkshows oder Podiumsdiskussionen und konnten zeigen, dass wir uns wirklich intensiv mit unseren Themen auseinandersetzen.

Verena Schäffer: Bei meinem Ortsverband in Witten wurde ich sehr herzlich begrüßt. Es fanden alle gut, dass jemand Junges kommt und mitmachen will. Ich war lange Zeit Landessprecherin der Grünen Jugend in NRW und habe 2009 für die Landesliste der Landtagswahl 2010 kandidiert. Damals war allen in der Partei klar, dass es wieder mehr junge Menschen auf der Liste benötigt. 2005 hatte man die Wahl verloren und da war die jüngste Abgeordnete Mitte 40. Innerparteilich gab es also keine großen Schwierigkeiten, auch in der späteren Landtagsfraktion spielte das Alter keine große Rolle. Schwierig wurde es eher im Zusammenspiel mit den anderen Fraktionen. Im eher männerdominierten Innenausschuss war es schwierig, sich als junge Frau durchzusetzen. Ich wurde dort oft nicht ernst genommen.

Wie konnten Sie diese Ablehnung ausräumen?

Verena Schäffer: Meine Strategie war und ist es, besonders gut vorbereitet zu sein. Ich habe mich gut in die Themen eingearbeitet und mir über dieses Wissen bei anderen einen gewissen Respekt verschafft. Das zeigt aber auch, dass man als jüngerer Mensch und gerade als Frau mehr arbeiten muss, um ernst genommen zu werden – auch und vor allem in der Politik. Und darüber ärgere ich mich auch heute noch. Es ist ungerecht, dass Menschen aufgrund bestimmter Merkmale, wie Alter und Geschlecht, nicht als gleichwertig angesehen werden und sich deshalb doppelt und dreifach anstrengen müssen, um anerkannt zu werden. Ich setze mich dafür ein, dass sich das ändert.

Welche Vorteile haben junge Menschen in der Politik?

Christina Schliesky: Junge Menschen können besser einschätzen, welche Fragen für ihre Generation wichtig sind. Alte weiße Männer wissen nicht wirklich, was die junge Generation gerade interessiert oder was sie braucht. Jugendlichen sollte mehr zugehört und diese Perspektiven auch mitgedacht werden.

Verena Schäffer: Man hat ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, aber abseits der persönlichen Vorteile finde ich es sehr wichtig, dass alle Generationen in den Parlamenten vertreten sind, damit eben auch die Perspektiven von jungen Menschen in der Politik beachtet werden.

Gibt es Themenfelder, die gerade von jungen politisch Engagierten besetzt werden sollten?

Christina Schliesky: Die Klimakrise ist ein brennendes Problem und dazu gehören auch Faktoren wie die Verkehrs- oder die Energiewende. Aber auch soziale Fragen sind wichtige Themen. Jeder sollte sich nach seinen eigenen Interessen engagieren. Es ist wichtig, das zu machen, woran man Spaß hat und wofür man brennt. Ich glaube, dass junge Leute besser einschätzen können, welche Fragen für ihre Generation wichtig sind, welche Interessen sie hat und was sie braucht.

Verena Schäffer: Nein, eher im Gegenteil. Wenn junge Menschen Politik machen, dann sollten sie sich nicht mit beispielsweise Jugendpolitik abspeisen lassen. Das ist natürlich ein wichtiges Themenfeld, aber man sollte das machen, wofür man sich interessiert, und sich dort einbringen.

Welche Tipps haben Sie für junge Menschen, die sich politisch engagieren wollen?

Christina Schliesky: Da gibt es natürlich keine universelle Antwort. Mir persönlich hat es geholfen, mir Leute zu suchen, die ähnliche Ansichten zum selben Thema vertreten wie ich, und mich mit ihnen zusammenzuschließen. Für diejenigen, die politische Ämter anstreben, ist es vielleicht sinnvoller, in eine Partei zu gehen. Ich denke aber, dass man mit dem Engagement in einer sozialen Bewegung mehr Lebenserfahrung sammelt. Dort muss man sich selbst Strukturen und Strategien überlegen, einfach anfangen und mit der Zeit lernen, mit Problemen umzugehen. Man muss auch mal Fehler machen, um daraus zu lernen. Niemand muss perfekt sein, um was bewirken zu können. Jeder Schritt ist ein guter Beitrag, um politisch aktiv zu werden.

Verena Schäffer: Es muss nicht unbedingt eine politische Partei sein, es gibt auch genügend andere Möglichkeiten, wie Fridays for Future oder andere Jugendorganisationen. Es klingt etwas abgedroschen, aber es geht ja darum, die eigene Zukunft zu gestalten und das nicht nur den Älteren zu überlassen. Niemand darf sich einreden lassen, er oder sie sei zu jung für Politik.