lautstark. 19.09.2019

Interview: HIV-positiv am Arbeitsplatz

Antidiskriminierung

„Wir können uns alle entspannen.“

Unter Therapie ist eine Übertragung von HIV nicht möglich. Hätten Sie’s gewusst? Die Kenntnis über HIV und AIDS hat sich deutlich verbessert. Bedenken in der Zusammenarbeit mit HIV-positiven Kolleg*innen sind dennoch weit verbreitet. Umso wichtiger ist es, in Organisationen und Unternehmen aufzuklären. Die GEW NRW hat deshalb die Deklaration #positivarbeiten unterschrieben. Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe erklärt, was dahintersteckt.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2019 | Auf geht's: Neuanfang!
  • im Interview: Holger Wicht
  • Funktion: Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe Berlin
  • Interview von: Sherin Krüger
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Kaum jemand würde bestreiten, dass es grundsätzlich wichtig ist, über HIV und AIDS informiert zu sein. Dennoch möchten viele am liebsten nicht mit dem Thema in Berührung kommen. Woran liegt das?

Holger Wicht: Nun ja, Viren und Infektionserkrankungen sind erst einmal kein angenehmes Thema. Ein bisschen Distanz ist da völlig verständlich. Bei HIV kommt noch hinzu, dass Tabuthemen wie Sexualität, insbesondere Homosexualität, und Drogenkonsum berührt werden. HIV-positiven Menschen wird dabei oft unterstellt, sie hätten sich irgendwie verantwortungslos verhalten. Damit sind wir schon beim Thema Diskriminierung. Das Schöne ist: Wenn Menschen sich mit dem Thema HIV näher beschäftigen, etwa indem sie HIV-positive Kolleg*innen kennenlernen, führt das fast immer dazu, dass sich Ängste und Anspannungen lösen. Sie stellen fest, dass sie ein veraltetes Bild von HIV im Kopf haben. Es wird sehr schnell deutlich: Da sitzt mir ein Mensch wie du und ich gegenüber. Mit HIV kann man heute leben und alt werden. Im Alltag ist HIV nicht übertragbar. Unter Therapie ist es nicht einmal mehr beim Sex übertragbar. Kurz gesagt: Wir können uns alle entspannen und ganz selbstverständlich miteinander umgehen. Das Thema mag zuerst unangenehm sein, der Kontakt damit ist aber oft befreiend.

Jedes Jahr am 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag, steht das Thema im Fokus von TV- und Radiosendungen, Konzerten und anderen Veranstaltungen. Wie schaffen wir es, ein ständiges Bewusstsein zu schaffen und dabei insbesondere Akzeptanz im Arbeitsalltag bei Einstellung und Umgang mit infizierten Kolleg*innen?

Holger Wicht: Im Arbeitsalltag sollte HIV überhaupt keine Rolle spielen müssen, weil es für die Arbeit völlig irrelevant ist. Die Probleme entstehen ja in aller Regel nur in den Köpfen. Da es aber noch Diskriminierung und Vorurteile gibt, müssen wir eben doch darüber reden. Es hilft enorm, wenn HIV-positive Kolleg*innen sich entscheiden, offen von ihrem Leben mit HIV zu berichten. Da das nicht überall möglich ist, erzählen wir solche Geschichten auch medial, zum Beispiel im Rahmen der Aktion #positivarbeiten,
rund um die Deklaration. Es geht darum, deutlich zu machen, dass sich beim Thema HIV viel geändert hat und dass es gute Nachrichten sind, die zur Entspannung beitragen. Daran sind die meisten Menschen sehr interessiert (lacht).

Und wie sehen die rechtlichen Rahmenbedingungen aus?

Holger Wicht: Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind schnell umrissen: HIV ist in aller Regel für den Beruf irrelevant. Benachteiligung von Menschen mit HIV ist deswegen unzulässig. Wenn der Gesundheitszustand an sich für einen Job eine Rolle spielt, dann ist HIV nicht der entscheidende Punkt: Es gibt Menschen mit HIV, die topfit sind, und Menschen ohne HIV, die für bestimmte Berufe die körperlichen Voraussetzungen nicht mitbringen.

Die Arbeitgeber*innen-Deklaration hat mittlerweile mehr als 60 Unterzeichner*innen – darunter international agierende Unternehmen sowie Organisationen mit nur wenigen Mitarbeiter*innen. Eine Unterschrift ist ja schnell gemacht. Warum ist die Deklaration dennoch wichtig und was soll in den Institutionen passieren?

Holger Wicht: Die Deklaration sorgt dafür, dass Menschen über HIV reden und sich informieren. Sie holt das Thema in die Öffentlichkeit und macht deutlich: HIV muss heute bei der Lebensgestaltung kein Hindernis mehr sein – nicht bei der Arbeit und auch nicht in allen anderen Lebensbereichen. Das allein ist schon viel wert. Doch die Unterzeichnenden verpflichten sich mit ihrer Unterschrift auch, ganz konkret etwas zu tun, zum Beispiel indem sie Führungskräfte zum Thema schulen und im Fall von Diskriminierung einschreiten. Viele sorgen mit Infoveranstaltungen und Berichten in ihren eigenen Medien für Aufklärung in der Belegschaft, bei ihren Kund*innen und Mitgliedern. Unser Eindruck: Die Unternehmen und Organisationen sind mit dem Herzen dabei, und zwar meist auch die Führungsetagen. Sie signalisieren dabei: „Wenn du HIV hast, bist du hier willkommen.“ Das ist enorm wichtig. Zu wissen: Mein Unternehmen steht hinter mir.

Welche Erfahrungen machen HIV-positive Menschen im Umgang mit Kolleg*innen und Vorgesetzten?

Holger Wicht: Das ist sehr unterschiedlich. Viele erfahren von Anfang an Unterstützung. Manche sind mit Unsicherheiten ihrer Kolleg*innen konfrontiert, die sich ausräumen lassen. Leider kommt es aber immer wieder auch zu handfester Diskriminierung – von Klatsch und Tratsch über Schuldzuweisungen und Anfeindungen bis hin zur widerrechtlichen Kündigung. Vorgesetzte fürchten manchmal, Menschen mit HIV seien weniger leistungsfähig und häufiger krank oder sie würden Unruhe ins Unternehmen bringen. Zugleich gibt es immer noch Unternehmen, die bei der Einstellungsuntersuchung HIV-Tests durchführen, obwohl es für den Job keine Rolle spielt. Das Problem ist: HIV-positive Menschen können sich nie  ganz sicher sein, wie andere reagieren.
Das macht Angst und führt dazu, dass viele lieber nichts sagen – auch wenn sie lieber offen mit ihrem HIV-Status umgehen würden.

Wissen über HIV und AIDS sollte im Idealfall schon in der Schule vermittelt und von Eltern unterstützt werden. Wie und wann funktioniert Aufklärung in der Schule am besten, Ihrer Erfahrung nach?

Holger Wicht: Am wichtigsten ist ganz allgemein eine gute Aufklärung über Sexualität, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Dabei sollten die Bedürfnisse der jungen Leute im Vordergrund stehen und Raum sein für Fragen und Unsicherheiten. Ziel muss sein, einen freudvollen, selbstbewussten Umgang mit der Sexualität zu fördern. Dazu gehören auch Informationen, wie man sich vor sexuell übertragbaren Infektionen schützen kann und wie sie im Falle des Falles behandelt werden können – ohne Ängste zu schüren und ohne erhobenen Zeigefinger. Dann ist das Interesse meist groß. Natürlich gehören auch zeitgemäße Informationen über das Leben mit HIV dazu. Idealerweise holen sich Lehrkräfte geeignete Unterstützung ins Haus. Die meisten Aidshilfen bieten Schulbesuche an.

Deklaration der Deutschen Aidshilfe

GEW NRW unterstützt #positivarbeiten

Die GEW NRW hat die Deklaration #positivarbeiten der Deutschen Aidshilfe unterzeichnet.

Mit ihrer Unterschrift setzt die Bildungsgewerkschaft ein Zeichen gegen jede Art von Diskriminierung in der Arbeitswelt, im Besonderen gegen HIV-positive Menschen.
Die GEW NRW gehört zu rund 60 Erstunterzeichner*innen der Arbeitgeber*innen-Deklaration.
Die Unternehmen, Organisationen und Verbände verpflichten sich, konkrete Maßnahmen für einen respektvollen und selbstverständlichen Umgang mit HIV-positiven Kolleg*innen umzusetzen.